Müller-Thurgau, von einem Schweizer in Deutschland gezüchtet und rund um die Welt verbreitet
Der Müller-Thurgau bzw. Rivaner ist die erfolgreichste Rebsorten-Züchtung. Für manche ist der Müller-Thurgau ein Massenträger, der bessere Sorten verdrängt hat, für andere ist er die ideale Sorte für den unproblematischen Anbau und die Erzeugung frischer, jung zu trinkender, unkomplizierter Weine. Die Sorte hat seit ihrer Einführung für Diskussionen gesorgt. Aber unbestritten ist, dass die Qualitäten in den letzten Jahren immer besser geworden sind – vor allem wenn man die Sorte in ihrem Wuchs beschränkt und sich ihr mit der richtigen Anbauart wie etwa der Delinat-Methode widmet.
Ein noch junge Sorte
Die Sorte Müller-Thurgau hat ihren Namen vom Rebforscher Hermann Müller, der aus dem Schweizer Kanton Thurgau stammt. Im Jahr 1882 kreuzte er in der hessischen Forschungsanstalt Geisenheim zwei Rebsorten. Fälschlicherweise ging er davon aus, er habe Riesling und Silvaner gekreuzt, weshalb die Sorte in der Schweiz und teils auch in Neuseeland den Namen Riesling x Silvaner trägt. Auch das mittlerweile oft genutzte Synonym Rivaner erklärt sich aus der Verbindung von Riesling und Silvaner. Tatsächlich ist der Müller-Thurgau jedoch eine Kreuzung aus Riesling und Madeleine Royale. Madeleine ist eine seltene Sorte und das Ergebnis einer natürlichen Kreuzung aus Pinot und Vernatsch. Der Müller-Thurgau ist inzwischen selbst ebenfalls ein beliebter Kreuzungspartner. Aus dieser Sorte sind unter anderem Bacchus, Faberrebe, Optima, Ortega, Reichensteiner und Würzer entstanden. Ihren Weg hat die Rebsorte von Geisenheim aus nach Wädenswil in die Schweiz genommen. Dorthin kehrte Hermann Müller 1891 zurück, um dort eine Forschungsanstalt nach Geisenheimer Vorbild aufzubauen. Er liess sich eine Reihe von Sämlingen von seinem alten Arbeitsplatz aus dorthin schicken. Einer davon wurde als Riesling x Silvaner 1 in Wädenswil weiter kultiviert. 1913 brachte ein ehemaliger Mitarbeit von Hermann Müller eine Reihe von Setzlingen zurück nach Geisenheim und nannte sie Müller-Thurgau.
Von Geisenheim aus um die Welt
Mit einer Anbaufläche von inzwischen rund 20’000 Hektar ist der Müller-Thurgau bis heute die erfolgreichste Neuzüchtung weltweit. Allerdings sinkt ihr Stern. Noch im Jahr 2000 lag die Rebfläche bei rund 36’000 Hektar. Die Rückkehr edler Rebsorten macht dem Müller-Thurgau allerdings dort das Leben schwer, wo er selber früher Sorten wie den Riesling oder den Silvaner verdrängt hat, nämlich in den besten Lagen. Der Müller-Thurgau war vor allem in der dunklen Zeit des deutschen Weinbaus erfolgreich, wo er zwischen 1975 und 1995 die am häufigsten angebaute Rebsorte war. Sein Erfolg lässt sich daraus erklären, dass er sehr unkompliziert ist. Zwar ist er sehr empfindlich gegen echten und falschen Mehltau, roten Brenner und Botrytis, doch hat man dies in jener Zeit mit intensiver chemischer Behandlung in den Griff bekommen. Für den biologischen Anbau und vor allem jenen nach Delinat-Richtlinien benötigt man jedoch andere Voraussetzungen.
Damals also war der Müller-Thurgau die wichtigste Sorte in Deutschlands seinerzeit bekanntestem Wein, der restsüssen Liebfrauenmilch, die unter anderem in Tankwagen ins Ausland exportiert wurde, um dort zu einem Synonym für deutschen Wein zu werden. Die Weinbauschule Geisenheim war vom Müller-Thurgau so überzeugt, dass ihre Experten sie in alle Welt brachten. Doch nur selten war das Feedback wirklich positiv. In Neuseeland wäre die Wiederaufnahme des Weinbaus in den 1970er Jahren nach jahrzehntelanger Prohibition fast am Müller-Thurgau gescheitert. Zwar brachte der Wein gute Ergebnisse, und noch Mitte der 1980er Jahre war er die am meisten verbreitete Sorte, nur war er nicht exportfähig. Der Erfolg Neuseelands als Weinbauregion kam erst mit der Anpflanzung französischer Sorten. In Luxemburg ist der Rivaner, wie er dort genannt wird, immer noch die wichtigste Rebsorte. Das aber dürfte bald vorbei sein; denn für die letzten zehn Jahre sind dort keine Neuanpflanzungen mehr dokumentiert. Ähnlich sieht es in England aus, wo die Sorte ebenfalls zwischenzeitlich an Nummer eins des Rebsortenspiegels stand. Dass aus der Sorte auch anspruchsvolle und schöne Weine entstehen können, zeigt vor allem das Weinbauland Südtirol/Alto Adige in Italien. Dort gibt es bemerkenswert komplexe Exemplare. Dass die Höhenlagen der Sorte gut tun und die Weine dadurch komplexer werden, zeigt auch der Anbau in der Schweiz. Dort ist sie nach dem Chasselas oder Fendant die am zweithäufigsten angebaute weisse Rebsorte, wobei sie vor allem in der deutschsprachigen Schweiz vorkommt. In französischsprachige Regionen hat es die Sorte jedoch kaum geschafft.
Das Unkomplizierte sorgt für Erfolg
Es muss nicht immer ein komplizierter, anspruchsvoller Wein sein, wenn man sich einfach mal nach getaner Arbeit oder bei einem spontanen Essen mit Freunden ein Glas Weisswein gönnt. Dann verlangt man nach einem harmonisch balancierten Alltagswein mit frischer Frucht und meist auch mit einem zwar markanten, aber nicht ausgeprägten Säurespiegel. Genau da kommt der Müller-Thurgau ins Spiel. Er besitzt all diese Eigenschaften und liefert ein blumiges, auch ein wenig an Muskat erinnernden Bouquet. Der in der Regel strohgelbe, helle Wein ist leicht und wird jung getrunken. Gerade dann versprüht er seinen aromatischen Charme.