Rebsorten sind ein weites Feld. Doch es lohnt sich, dieses genauer zu erkunden.
Die Weinrebe gehört zur Pflanzengattung Vitis innerhalb der Familie der Lianengewächse namens Vitaceae. Diese Form der Schlingpflanzen ist deutlich älter als die Spezies Mensch. Sie unterteilt sich in rund 70 unterschiedliche Gattungen, von denen die überwiegende Zahl in Nordamerika (z. B. Vitis labrusca,
Man geht heute davon aus, dass sich aus der Spezies im Laufe der Jahrtausende teils durch natürliche Mutation, teils durch gezielte Kreuzung und Züchtung rund 8’000 bis 10’000 unterschiedliche Sorten entwickelt haben. Der VIVC, der offizielle Vitis International Variety Catalogue, umfasst sogar 18'000 Rebsorten, wobei man aber von vielen doppelten Nennungen ausgehen kann, da es bei vielen Sorten sehr schwierig ist, ihre Identität zu erkennen. Abgesehen davon sterben auch Rebsorten aus. Von diesen so vielen unterschiedlichen Rebsorten wird heute nur ein Bruchteil kommerziell genutzt. Und um diese Rebsorten soll es hier vor allem gehen.
Von der Wildrebe zur Kulturpflanze
Wann genau Menschen damit begonnen haben, Weinreben anzubauen und zu kultivieren, weiss man nicht genau. Zu Beginn der 1990er Jahre waren die bis dahin ältesten Vorkommnisse von verbreiteten Trauben im iranischen Godin Tepe (3’500–2'900 v. Chr.) gefunden worden. Später fand man Hinweise auf die Verarbeitung von Trauben in der Shulaveri-Shomutepe-Kultur in Georgien (5’800–5'400 v. Chr.). Schliesslich hat man noch Steinschalen mit Resten von Weinsäure im vorkeramischen Körtig Tepe (ca. 9'600 v. Chr.) im Südosten der Türkei entdeckt. Mit der Nutzung der Weintraube wird damals auch schnell die Kultivierung der Pflanze durch Selektion begonnen haben. Ihre Nutzung in der Jungsteinzeit dürfte dabei an verschiedenen Stellen im asiatischen Raum, im Vorderen Orient und im Kaukasus stattgefunden haben. Davon kann man schon deshalb ausgehen, weil es in diesen Regionen eine grosse Anzahl unterschiedlicher Sorten gibt. In Georgien werden rund 800 Rebsorten gezählt, in der Türkei mehr als 1’200. Es gibt Ampelographen, also Rebsortenkundige, die davon ausgehen, dass auch die heute gebräuchlichen mitteleuropäischen Sorten oder zumindest ihre Vorfahren aus dem vorderasiatischen Raum stammen. Wie die Sorten miteinander verwandt sind, erforscht man erst, seit DNA-Analysen für diesen Bereich erschwinglich geworden sind.
Historische Quellen und Ausgrabungen legen nahe, dass eine Sämlingsselektion, also eine Auslese der Rebsorten, bereits bei Etruskern, Griechen und Römern, aber auch bei Ägyptern, Hethitern und Babyloniern stattgefunden hat. Wann genau damit begonnen wurde, auch bewusst Sorten zu kreuzen, Sorten also mit Pollen anderer Sorten zu bestäuben, ist nicht bekannt. Nachweise dazu gibt es erst für das Mittelalter, als burgundische Mönche mit dem professionellen Weinbau begonnen hatten und die Weinkultur entscheidend geprägt haben. Rebforschungsanstalten vor allem in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Frankreich haben im 19. Jahrhundert mit der Züchtung neuer Sorten begonnen. Teilweise erfolgte die Züchtung zu Forschungszwecken, teils gezielt, um besondere Bedürfnisse abzudecken.
Europäische Kulturrebsorten
Auch wenn es vom Kaukasus bis in die Türkei deutlich mehr Rebsorten gibt als in Mittel- und Südeuropa, so sind es doch vor allem Rebsorten aus Frankreich, Spanien und Italien, welche die Gruppe der Cépages nobles, der hoch angesehenen Kultursorten, bilden. Diese gehen auf eine vergleichsweise kleine Zahl von Leitrebsorten zurück, welche die Basis des gesamten europäischen Weinbaus bilden. Die wichtigste Sorte ist dabei der Gouais blanc, zu Deutsch der Weisse Heunisch. Diese Sorte, die für sich genommen keine komplexen Weine erzeugt und kaum noch zu finden ist, ist ein Elternteil von mehr als 100 europäischen Rebsorten wie Riesling, Chardonnay, Silvaner oder Xinomavro. Ähnliche Spuren hat der Savagnin blanc, der Traminer, hinterlassen, der allerdings auch als eigenständige Sorte eine Rolle spielt. Kinder des Savagnin sind beispielsweise der Chenin blanc, der Sauvignon blanc oder auch der Pinot noir. Der wiederum ist selbst sehr mutationsfreudig. Aus ihm haben sich viele andere Rebsorten wie Pinot blanc, Pinot gris, Frühburgunder oder Samtrot ohne andere Elternteile entwickelt. Vor allem mit Gouais blanc aber ist der Pinot noir beteiligt an einer Vielzahl von Rebsorten wie Aligoté, Chardonnay, Gamay oder Romorantin. Zu weiteren Leitrebsorten gehören Cabernet Franc, Cayetana blanca, Chasselas, Rèze, Garganega, Listán Prieto, Luglienga Bianca, Muscat, Nebbiolo, Teroldego und Tribidrag (Primitivo, Zinfandel). Der Schweizer Ampelograph José Vouillamoz fasst die europäischen Rebsorten in 13 Gruppen zusammen.
Vom Aussterben der Vielfalt
Obwohl es eine so grosse Menge unterschiedlicher Rebsorten gibt, belegen 13 verschiedene Rebsorten heute 33 % der gesamten Rebfläche weltweit. Die am häufigsten angebaute Sorte ist die chinesische Kyoho, die nur als Tafeltraube Verwendung findet. Die wichtigste für den Weinbau genutzte Sorte ist der Cabernet Sauvignon mit rund 340'000 Hektar Rebfläche. Es folgen Sultanina (eine Tafeltraube), Merlot, Tempranillo, Airén (vor allem für Weinbrand genutzt) und Chardonnay.
Die Reduzierung der Vielfalt bewirkt nicht nur eine Abnahme der Geschmacksvarianten, sie hat auch Folgen für den Weinbau; denn Reben werden heute fast ausschliesslich geklont, wodurch man die genetische Vielfalt zunehmend verliert. Es gibt heute nur noch wenige handwerklich auf hohem Niveau arbeitende Betriebe, die ihre Rebstöcke in der sogenannten Selection massale vervielfältigen, bei der aus altem, besonders gutem Rebmaterial Reiser geschnitten werden, um diese Stück für Stück zu kultivieren. Diese Art der Vermehrung bewahrt die genetische Vielfalt, die bei einer Monokultur wie dem Weinbau genauso wichtig ist wie die Biodiversität in einem Weinberg, weil die mit den Reben korrespondiert.
Bis ins 19. Jahrhundert hinein war diese Vielfalt schon dadurch gegeben, dass Weinberge normalerweise im Gemischten Satz, also mit vielen unterschiedlichen Rebsorten kultiviert wurden und dass diese wiederum durchmischt waren mit vielen weiteren Pflanzenarten, die heute meist mit chemischen Mitteln weggespritzt werden, ferner mit verschiedenen Baumarten oder auch anderen Kulturpflanzen.
Das 19. Jahrhundert brachte mit dem Einfallen der Reblaus sowie des Echten und Falschen Mehltaus aus Amerika einen harten Umbruch. Im Zuge der weitgehenden Vernichtung des europäischen Weinbaus durch diese Parasiten und Infektionen starben nicht nur viele der bis dahin gebräuchlichen Rebsorten aus, sondern andere wurden danach auch nicht mehr wieder angebaut. Diejenigen, die überlebten, mussten nun auf reblausresistente Rebstöcke, sogenannte Unterlagsreben, gepfropft werden, und die chemische Industrie übernahm zunehmend das Management bei konventionell betriebenem Weinbau.
Immer mehr geklonte Reben erkrankten durch Bakterien oder Viren, was gerade in den Überseeanbaugebieten wie Südafrika oder Kalifornien ein Problem ist; denn dort wurde der Weinbau von nur sehr wenigen unterschiedlichen aus Europa importierten Rebstöcken begründet. In den nördlichen Weinbaugebieten nun verbreitet sich seit den 1990er Jahren zunehmend die das Holz zersetzende Esca-Krankheit, die durch Pilze verursacht wird. Mit den Veränderungen im Weinbau des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurde auch die Rebforschung begründet.
Neue Rebsorten wurden erzeugt, indem man gezielt vorhandene Sorten kreuzte. Am bekanntesten ist wahrscheinlich die Sorte Müller-Thurgau des Schweizer Botaniker Hermann Müller-Thurgau, der lange an der Forschungsanstalt für Garten- und Weinbau in Geisenheim tätig war. Damals entstand auch die Forschung zu pilz- wie auch frostresistenten Rebsorten, sogenannten Piwis. Diese Sorten haben meist eine amerikanische oder asiatische Wildrebe als Elternteil und nehmen besonders im biologischen Anbau eine ständig bedeutendere Rolle ein. Schliesslich gibt es auch immer mehr handwerklich arbeitende Winzer, die für mehr Vielfalt sorgen, weil sie alte Sorten rekultivieren. Diese Arbeit findet fast ausschliesslich in Europa und rund um das Schwarze Meer statt, wo es, wie obern erwähnt, die meisten unterschiedlichen Rebsorten gibt. In den Überseegebieten werden vor allem die klassischen europäischen Edel-Rebsorten verwendet. Lediglich in Südafrika findet man mit dem Pinotage eine dort gezüchtete Sorte. Aber auch in den USA werden inzwischen regional autochthone Wildreben kultiviert und ausgebaut.