Delinat-Weinwissen
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Süsse Weine und Dessertweine: einstmals Inbegriff edelster Gewächse, heute oft verkannt

Süsse Weine weisen eine riesige Bandbreite auf. Was ist also der süsseste Wein, und was bedeutet Vin doux naturel?

Die Weintraube gehört nach der Banane zu den Früchten mit dem höchsten Zuckeranteil. Werden Trauben zu Wein vergoren, kann das Ergebnis in der Praxis jedoch extrem unterschiedlich ausfallen. Es gibt trockene Weine mit 0 g Restzucker pro Liter auf der einen und Süssweine wie die Tokaji Eszencia als Rekordhalter mit bis zu 600 g Restzucker auf der anderen Seite. Die Grenze zwischen einem trockenen und einem süssen Wein ist dabei in den meisten Fällen gesetzlich festgelegt. Allerdings gibt es sehr unterschiedliche Bezeichnungen für süsse Weine. Manchmal wird dies durch entsprechende Angaben auf dem Etikett deutlich gemacht. Daneben existieren auch Weine, die es ausschliesslich in süsser Form gibt.

Wann ist ein Wein ein süsser Wein?

Das Wort süss – oder auch doux auf Französisch, dolce auf Italienisch und dulce auf Spanisch – wird auf Etiketten relativ selten genannt. Im Deutschen gibt es dafür die Synonyme mild und lieblich, im Französischen moelleux, aber häufiger verrät allein die Weinbezeichnung, wie süss ein Wein eigentlich schmeckt. Da Wein immer auch Säure enthält, welche die Süsse geschmacklich puffert, kommt es bei der Perzeption auf das Verhältnis dieser beiden Elemente an. Ein Wein mit 8 g Restzucker, der dem deutschen Weingesetz nach trocken ist, wird also mit 2 g Säure wesentlich süsser schmecken, als wenn er 8 g Säure hat.

Die komplizierte deutsche Süsse

In Deutschland gibt es zwei Systeme, die sich teilweise überlagern und deshalb gern zu Verwirrungen Anlass geben. Zum einen handelt es sich um Geschmacksangaben. Sie beziehen sich darauf, wie viel Restzucker im Wein enthalten ist. Das zweite System ist dasjenige der Prädikate, die sich danach richten, wie hoch der Zuckergehalt in den geernteten Beeren war – also das Mostgewicht nach Oechsle. In der Praxis betrifft dies fast ausschliesslich Weissweine.

Das Geschmackssystem besitzt die Abstufungen trocken, halbtrocken, lieblich und süss. Darüber hinaus gibt es noch die gesetzlich nicht geregelte Bezeichnung feinherb, die meist zwischen halbtrocken und lieblich anzusiedeln ist. Als süss gilt ein Wein dann, wenn er mehr als 45 g Restzucker besitzt.

Das Prädikatssystem hingegen hat die Abstufungen Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese (= TBA). Bis auf die beiden letzteren können die Prädikate alle Geschmacksrichtungen besitzen, also sowohl trocken als auch süss sein. Interessanterweise wird dabei der Geschmacksgrad oft nur dann explizit genannt, wenn der Wein nicht süss ist. Es gibt jedoch Bestrebungen, die Überlagerung der beiden Systeme zu verhindern, indem man die Beweislast einfach umkehrt. Danach wäre dann ein deutscher Wein ohne weitere Angaben trocken, wird also als Norm angesehen, ein deutscher Wein mit Prädikat hingegen süss.

Wie kommt die Süsse in den Wein?

Grundsätzlich ist es so, dass alles, was im Wein letztlich süss schmeckt, aus den gepressten Beeren stammt. Das ist das Prinzip des Restzuckers, synonym als Restsüsse bezeichnet – Rest deshalb, weil es sich um unvergoren gebliebenen Zucker aus den Beeren selbst handelt. Im unteren Qualitätssegment (in Deutschland beispielsweise unterhalb der Prädikate) darf ein Wein jedoch auch nach dem Ende der Gärung mit Zucker versetzt werden, um süss zu schmecken.

Süss kann ein Wein auch bleiben, wenn man die Gärung stoppt, bevor der Traubenzucker von den Hefen ganz in Alkohol und CO2 umgewandelt werden kann. Zunächst wird dabei der Most heruntergekühlt (bei Temperaturen unter 5 °C arbeiten Hefen nicht mehr), oft mit Schwefel versetzt (die Hefen sterben dadurch ab) und filtriert (keine Gefahr der Nachgärung auch bei wärmeren Temperaturen).

Ein Wein kann allerdings auch ohne diese Einflussnahme natursüss sein, wobei es sich dabei nicht um einen rechtlich definierten Begriff handelt. Natursüsse Weine besitzen bereits einen so hohen Zuckergehalt im Most, dass die Hefen irgendwann gesättigt sind, den restlichen Zucker also nicht mehr in Alkohol umwandeln können. Die Gärung stoppt auf diese Weise von selbst. Als natursüsse Weine (französisch Vin naturellement doux = VDN) bezeichnet man beispielsweise Ausbruch und Strohwein, Beerenauslese, Trockenbeerenauslese und Eiswein.

Portwein
Portwein ist nicht nur als Dessertwein perfekt, gut harmoniert er auch zu würzigem Blauschimmelkäse.

Der Sprit im Wein

Die Gärung des Traubenmosts kann auch dadurch gestoppt werden, dass dem Most hochprozentiger Alkohol zugefügt wird. Dabei sterben die Hefezellen ebenfalls ab, die Süsse im Wein bleibt erhalten – nur der Alkoholgehalt erhöht sich entsprechend. Auch wenn sich diese Technik zunächst recht manipulativ anhört, hat sie doch eine jahrhundertealte Tradition. Portwein wird nämlich genau auf diese Weise hergestellt ebenso wie Sherry oder französische Süssweine wie Banyuls oder Muscat de Rivesaltes. Interessant ist dabei, dass man diese Weine in Frankreich Vins doux naturels nennt, also ganz ähnlich wie die tatsächlich natursüssen Weine. Wie bei den deutschen Überschneidungen von Prädikat und Geschmack handelt es sich also um eine traditionsreiche Bezeichnung, die man sich mittlerweile auch etwas klarer formuliert vorstellen könnte.

Süsse Prickler

Bislang war im Bereich der süssen Weine ausschliesslich von Stillweinen die Rede. Tatsächlich spielt die Süsse jedoch auch bei Perlweinen und Schaumweinen eine bedeutende Rolle.

Ein Pétillant Naturel nach der Méthode ancestrale wird beispielsweise noch während des Gärvorgangs abgefüllt, also mit einer gewissen Süsse. In der Flasche verarbeiten die Hefen den traubeneigenen Zucker weiterhin zu Alkohol und CO2, das aber jetzt nicht mehr entweichen kann. Man kann den perlenden Wein herunterkühlen und die Hefe entfernen (wie z. B. beim Moscato d‘Asti). Der Wein wird dadurch klar und schmeckt fruchtig-süss bei wenig Alkohol. Man kann aber auch warten, bis die Hefen von selbst aufhören zu arbeiten. Das Ergebnis ist in diesem Fall ein naturtrübes, perlendes und meist (aber nicht immer) relativ trockenes Getränk.

Schaumweine und Zucker – eine enge Beziehung

Schaumweine, die nach der traditionellen Methode hergestellt wurden, haben immer mit Zucker zu tun. Ihr Ausgangspunkt ist ein alkoholarmer und völlig trockener Grundwein. Um die Zweitgärung anzuregen, die das Perlen hervorruft, wird der Wein mit dem sogenannten Liqueur de tirage versetzt, einem Gemisch aus Hefen und Zucker. Ist auch diese Zweitgärung beendet und das Getränk entsprechend schäumend, kann für die endgültige Flaschenfüllung noch ein Liqueur de dosage hinzugegeben werden. Auch hier handelt es sich um ein Wein-Zucker-Gemisch, diesmal aber ohne Hefe. Während nämlich die Tirage die Zweitgärung ermöglichen soll, sorgt die Dosage ausschliesslich für die Abrundung des Geschmacks.

Je nach Süssegrad des auf diese Weise gestalteten Schaumweins stehen auf dem Etikett die Begriffe Brut Nature (= ohne Dosage), Extra-Brut, Brut, Sec, Demi-Sec oder Doux. Letzteres heisst süss, und das bedeutet es auch. Nur ein Schaumwein mit mehr als 50 g Zucker wird als doux bezeichnet.

Rot- und Roséweine als Dessertweine

Was in Weiss geht, sollte doch mit roten Trauben ebenso möglich sein. Tatsächlich gibt es auch süsse Rot- und Roséweine, wenngleich mittlerweile deutlich seltener als ihre weissen Verwandten. Der grosse technische Unterschied zwischen Rot- und Weissweinen besteht darin, dass weisser Traubenmost sofort gepresst wird und ohne Schalen vergoren wird. Bei der Rotweinbereitung vergären die Trauben jedoch mit den Schalen. Das muss auch so sein; denn die Farbstoffe befinden sich nur in der Beerenhaut und nicht im Fruchtfleisch. Deshalb ist es auch ein wenig komplexer, süsse Rotweine auf die traditionelle Weise herzustellen. Dafür muss nämlich der Most einerseits noch genügend Traubenzucker, andererseits aber schon genügend Farbe besitzen. Mit sehr zuckerreichen Trauben funktioniert es auf diese Weise dennoch. Der grösste Teil süsser Rotweine auf dem Markt gehört allerdings dem Billigsegment an. Hier wurde dem durchgegorenen Rotwein einfach Zucker zugefügt.

Anders ist dies bei süssem Rotwein aus angetrockneten, sprich teilrosinierten Beeren. Bereits beim Amarone führt dies zu einer spürbaren Fruchtsüsse, stärker natürlich in seinem tatsächlich süssen Pendant Recioto. Noch konzentrierter wird die Süsse im Strohwein oder (bei künstlich gestoppter Gärung) im roten Port, Maury oder Banyuls.

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