Mehr als Sonne, Regen und Boden – das französische Konzept «Terroir»
«Terroir» ist ein schillernder Begriff im Weinbau. Es gibt eine ganze Reihe von Büchern, die vom Terroir handeln oder das Wort gar im Titel tragen. Dennoch wirkt der Begriff häufig so, als sei er von einer Aura des Ungefähren, vielleicht sogar des Mythischen umgeben.
Das Konzept des Terroirs
Dass «Terroir» einen solches Status erhalten hat, hängt mit dem Konzept des Begriffs zusammen. Die aus Frankreich stammende Grundidee geht nämlich davon aus, dass das Terroir als Gesamtheit mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile. Mit anderen Worten, das Terroir repräsentiert die auf einen Wein bezogene Identität eines bestimmten Ortes.
Die einzelnen Teile dieser Summe stehen indes für eine grosse Vielfalt an primär naturgegebenen Einflussfaktoren. Das jeweilige Mikroklima spielt hier ebenso eine Rolle wie die geologische Situation, die Topographie und die Bodenbedingungen.
Für stärker naturwissenschaftlich orientierte Autoren ist mit dem Zusammenspiel dieser Elemente das Terroir hinreichend bestimmt. Der menschliche Faktor ist für sie nicht relevant. Tatsächlich jedoch spielt in der französischen Terroir-Idee der Mensch zumindest immanent eine entscheidende Rolle. Die Terroir-Idee liegt nämlich dem System der kontrollierten Herkunftsbezeichnungen zugrunde (AOC bzw. heute AOP) und wurde erstmals in den 1920er Jahren erprobt.
Grundlage für kontrollierte Herkunftsbezeichnungen
Baron Pierre Le Roy de Boiseaumarié begann damals in der Region um Châteauneuf-du-Pape mit seinen Überlegungen, wie man eine Herkunftsregion definieren und abgrenzen könne. Dafür untersuchte er Boden und Klima, zog eine imaginäre Grenze um ein Gebiet, das ihm einheitlich genug erschien, und bestimmte unter den vielen heimischen Rebsorten diejenigen, die sich am besten für den Standort eigneten. Das Resultat war mit der ersten französischen AOC im Jahr 1935 ein klar abgegrenzter Bereich mit dort zugelassenen Rebsorten.
Der Idealtyp einer auf das Terroir bezogenen Sichtweise ist ganz sicher das Burgund. In dieser Region werden nicht nur einige der angesehensten und teuersten Weine der Welt erzeugt, dort befindet sich auch die Keimzelle des klösterlichen Weinbaus im Mittelalter. Nicht zuletzt besitzt das Burgund auch das ausgeklügeltste System von Herkunftsbezeichnungen. Das Prinzip der dortigen Climats, die kleinen Lagen oder Gewannen entsprechen, zählt seit 2015 zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Terroir-Keimzelle Burgund
Im burgundischen AOC-System, das später als sogenannte VDP-Pyramide auch Einzug in deutsche Regelungen fand, stehen an der Spitze die Grands Crus. Dies sind Lagen, in denen aufgrund naturgegebener Voraussetzungen (Mikroklima, Boden, Exposition) und historischer Erfahrungen die hochwertigsten Weine entstehen. Eine Stufe darunter befinden sich die Premiers Crus, noch eine Stufe darunter die als einfach definierten Gewannlagen (lieux-dits). Grossräumiger sind die Ortslagen (villages) und schliesslich die allgemeinen Gebiets-Herkunftsbezeichnungen. Jene dienen sozusagen als Rückfalloption für weniger gute Lagen und Verschnitte aus verschiedenen Bereichen des Gebiets.
Interessanterweise wird dieser enorm differenzierte Herkunfts- bzw. Terroiransatz im Burgund durch eine bewusste Rebsortenarmut konterkariert. In den Bereichen der Grands und Premiers Crus gibt es nur Pinot Noir für Rotwein und Chardonnay für Weisswein. Dies liegt allerdings nicht daran, dass andere Rebsorten nicht angebaut werden könnten. Vielmehr sorgte ein rebstrategisches Dekret von Philipp dem Kühnen aus dem Jahr 1395 dafür, dass vor allem die als weniger hochwertig geltende Rebsorte Gamay aus den dortigen Weinbergen verbannt wurde.
Insofern bleibt Terroir als Konzept nicht exakt und für immer bestimmt. Vielmehr wohnt ihm eine (allerdings eher allmähliche) Wandelbarkeit inne, die eigentlich für alle dauerhaften, kulturell beeinflussten Ideen gilt.