Die Weine der Schweiz – Weinbau im Herzen der Alpen
Mit 14'800 Hektar ist die Schweiz ein kleines Weinbauland. Gemessen an der Gesamtfläche liegt das kleine Land gerade mal auf Platz 162 aller Staaten. Was aber die Weinbaufläche angeht, rückt die Schweiz allerdings auf Rang 20 vor – und das, obwohl 70 % so gebirgig sind, dass Weinbau kaum möglich ist. Für die Schweizer selber aber steht ihr Weinbau an erster Stelle und deckt 35 % des Gesamtbedarfs.
Für alle anderen Weinfreunde ist die Weinregion Schweiz eher eine grosse Unbekannte; denn lediglich ein Prozent des Schweizer Weines wird exportiert – des Prestiges wegen. Schaut man genauer hin, dann ist die Schweiz ein sehr dynamisches Weinbauland mit über 80 Rebsorten. Viele davon sind uralt, manche aber auch noch sehr jung, nicht zuletzt deshalb, weil einige der führenden Züchter von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten in der Schweiz beheimatet sind.
Die Geschichte des Weinbaus in der Schweiz
Der Weinbau in der Schweiz begann nach heutigen Erkenntnissen mit den Römern. Allerdings gibt es bereits Traubenfunde aus dem Neolithikum (ca. 5000 bis 200 v. Chr.) und Hinweise römischer Geschichtsschreiber, dass an der Rhône bereits Weinbau vorgefunden wurde, der von den keltischen Allobrogern betrieben wurde. Deren Siedlungsgebiet erstreckte sich bis zum Genfer See.
Mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im 5. und frühen 6. Jahrhundert und den darauf folgenden politischen Wirren verwaisten auch die meisten Weinberge. Doch schon im ausgehenden 6. Jahrhundert übernahmen die ersten Klöster Ordnungsfunktionen und reorganisierten den Weinbau. Dabei konnten etwa die Mönche von St. Maurice – dem ältesten Kloster Europas – im Kanton Wallis auf Terrassenanlagen aus römischer Zeit zurückgreifen. Ab Mitte des 8. Jahrhunderts ist der von Mönchen betriebene Weinbau auch im Churer Rheintal und am Bodensee verbrieft. Ab dem 12. Jahrhundert waren es vor allem die Zisterzienser, die den Weinbau beherrschten. Eines der wichtigen Zentren war das 1143 gegründete Kloster Haut-Crêt am Genfer See, wo man auch heute noch die berühmten Lavaux-Lagen findet.
Im Hochmittelalter wurde das gesamte Land christianisiert. Im Jahr 1291 erfolgte die Gründung der Eidgenossenschaft durch die drei Waldstätte Uri, Schwyz und Unterwalden. Beides war Grundlage dafür, dass sich der Weinbau flächendeckend verteilte. Im 19. Jahrhundert erreichte der Weinbau in der Schweiz dann seine grösste Ausdehnung mit rund 35'000 Hektar. Mit der Reblaus, die auch vor dem Alpenland nicht Halt machte, brachen grosse Teile des Weinbaus zusammen, und die Krise währte lange. Erst in den letzten 25 Jahren hat sich der Weinbau wieder erholt und belegt heute 14'800 Hektar.
Geografie, Klima und Böden
Die Schweiz ist ein klassisches Cool-Climate-Weinland, in dem fast alle Weinberge auf einer Höhe zwischen 270 und 1'100 Metern angesiedelt sind. Nach Albanien ist die Eidgenossenschaft das gebirgigste Land Europas. Die Alpen prägen den gesamten Weinbau, sowohl was die Böden als auch was das Klima betrifft. Die Rebflächen liegen vor allem entlang der drei Flusstäler von Rhône, Rhein und Tessin (Nebenfluss des Po) und in den Bereichen der grossen Seen wie dem Bodensee, dem Zürichsee, dem Genfer See und den drei Seen bei Neuchâtel.
Auch wenn das Klima grundsätzlich alpenländisch ist, gibt es doch grosse Unterschiede. So liegt die Durchschnittstemperatur in Zürich bei 13,4 °C, in Locarno bei 16,9 °C. Die Sonnenstunden liegen in Zürich pro Jahr bei 1'588 Stunden, in Locarno bei 2'103. Gleichzeitig sind die Niederschläge dort mit 1'811 mm viel höher als in Zürich, wo sie im Jahresmittel bei 1'123 mm liegen. In Genf dagegen ist die Niederschlagsmenge nur halb so hoch wie in Locarno. Die Böden in der Schweiz sind divers und können in 15 unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden. Unter Sand und Löss finden sich Urgestein, Mergel, Geröll, aber auch Tonschiefer oder Kalkstein.
Rebsorten in der Schweiz
Auch wenn es mittlerweile gut 80 Rebsorten gibt, die in der Schweiz angebaut werden, dominieren doch vier Sorten, die 71 % der Gesamtfläche belegen. Das sind Pinot noir (28 %), Chasselas (26 %), Gamay (9 %) und Merlot (8 %). Neben dem Chasselas, bei dem die Herkunft nicht zweifelsfrei erwiesen ist, machen die indigenen Sorten der Schweiz rund 9 % aus. Dazu gehören Cornalin d’Aoste und Cornalin de Valais (Rouge du Pays), Arvine bzw. Petite Arvine, Haida, Humagne Blanche, Amigne, Completer oder Lafnetscha.
Die wichtigsten neuen heimischen Rebsorten sind die roten Gamaret, Garanoir und Diolinoir (alle drei sind Neuzüchtungen) sowie die weisse Arvine. Neben den Klassikern, den heimischen Rebsorten und den Neuzüchtungen gibt es Sorten, die schon lange in der Schweiz heimisch sind. Dazu gehören französische Sorten wie Chardonnay, Syrah, Sauvignon blanc, Pinot blanc und Pinot gris, aber die Züchtung des aus dem Thurgau stammenden Rebforschers Dr. Hermann Müller, bis heute als Riesling x Sylvaner bezeichnet – auch wenn man mittlerweile weiss, dass die Eltern dieser Züchtung Riesling und Madeleine Royale waren. Ausserhalb der Schweiz ist diese Rebsorte als Müller-Thurgau oder Rivaner bekannt.
Immer mehr Bedeutung erhalten die pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, kurz PIWIs. Vor allem im biologischen Anbau sind Cabernet Jura und Regent, Maréchal Foch, Solaris und einige weitere Sorten beliebt. Der gesamte Rebsortenspiegel in der Schweiz verteilt sich übrigens auf 58 % rote Sorten und 42 % weisse Sorten.
Die Anbaugebiete der Schweiz
Das Land teilt sich grundsätzlich in die Anbaugebiete Westschweiz (sprachlich und weinbauhistorisch französisch geprägt), Ostschweiz (die deutsche Schweiz ist das Gebiet der roten Landweine) und Tessin (italienische Schweiz). Im Tessin herrscht der Merlot mit über 80 % vor, in der Deutschschweiz ist es der Pinot noir bzw. Blauburgunder, der rund 60 % der Fläche einnimmt. In der französischen Schweiz überwiegen Pinot noir und Chasselas, der je nach Region auch Dorin, Perlan oder Fendant genannt wird und in Deutschland vor allem als Gutedel bekannt ist. Die drei Sprachgebiete in den 26 Schweizer Kantonen teilen sich in sechs Anbaugebiete auf, in denen es insgesamt 62 Qualitätsanbaugebiete (AOC) gibt.
Region | Hektar | Gebiete | Rebsorten |
---|---|---|---|
Deutschschweiz | 2'852 Hektar (19 %) | Zürich, Schaffhausen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Sankt Gallen | 60 % Pinot noir, 16 % Müller-Thurgau, Merlot, Regent, Chardonnay, Sauvignon blanc, Räuschling |
Drei-Seen-Land | 975 Hektar (rund 5%) | Neuenburger See, Bieler See und Murtensee | Pinot noir mit 48 %, Chasselas mit 32 %, dazu Pinot gris, Chardonnay, Sauvignon blanc, Gammaret, Garanoir Neuenburg mit einem Anteil von 20 % biologischen Weinbaus |
Genf | 1'435 Hektar (10 %) | Genf | 25 % Gamay, 22 % Chasselas, Pinot noir, Gamaret, Garanoir, Merlot, Chardonnay, Pinot blanc, Pinot gris, Sauvignon blanc |
Tessin | 1'105 Hektar (7 %) | Tessin | 83 % Merlot, 5 % Chardonnay sowie Sauvignon blanc, Gamaret, Pinot noir und Cabernet Franc |
Waadt | 3'748 Hektar (25 %) | Bonvillars, Chablais, Lavaux, La Côte | 61 % Chasselas, 13 % Pinot noir, ferner Gamay, Chardonnay, Gamaret, Garanoir, Merlo |
Wallis (Valais) | 4'976 Hektar (34 %) | Wallis | 32 % Pinot noir, 19 % Chasselas, ferner Gamay, Syrah, Humagne, Cornalin, Amigne, Savagnin, Sylvaner |
Weinbau in der Deutschschweiz
Wie der Name schon suggeriert, ist die Deutschschweiz die Region, in der überwiegend Schweizerdeutsch gesprochen wird – eine Sammelbezeichnung für verschiedene alemannische Dialekte. Sie gliedert sich in das Mittelland, die Nordwestschweiz, die Ostschweiz, die Zentralschweiz und Teile der Alpen, die insgesamt rund zwei Drittel der Fläche der Schweiz mit 16 Kantonen ausmachen. Die rund 2'800 Hektar sind zu rund 80 % mit Rotweinsorten belegt – allen voran der Blauburgunder (Pinot noir).
Bei den Weissweinsorten belegt der Müller-Thurgau (Riesling x Sylvaner) den ersten Platz. Bei den roten Sorten spielen die Neuzüchtungen Gamaret und Garanoir eine Rolle, bei den weissen Sorten der Räuschling, der Gewürztraminer und der Grauburgunder. Der Gamaret und der Garanoir wurden 1970 aus den Elternsorten Gamay und Reichensteiner gekreuzt. Der Räuschling ist eine natürliche Kreuzung von Heunisch mit einer noch unbekannten Sorte.
Weinbau in Genf
Die 1'435 Hektar des Kantons Genf befinden sich meist auf tonigen, kalkigen und kiesreichen Böden und reichen vom südlichen Ende des Genfer Sees (Lac Léman) bis zum rechten Rhône-Ufer und zur französischen Grenze. Mehr als die Hälfte der Rebfläche ist mit Chasselas (hier Perlan genannt), Gamay und Pinot noir bestockt. Genf war die erste Region, die 1988 die Appellation d’Origine Contrôlée, also die kontrollierte Herkunftsbezeichnung AOC einführte.
Weinbau im Tessin
Das italienischsprachige Tessin rund um den Hauptort Bellinzona ist der südlichste Kanton der Schweiz. Das Klima ist mediterran, doch die recht hohen Niederschlagsmengen zeugen von weiteren Einflüssen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurden die meisten Weinberge durch die Reblaus zerstört, und viele Winzer des Tessins wanderten in die USA aus, wo es etwa die Italian Swiss Colony gibt, die zwischenzeitlich der führende Weinproduzent Kaliforniens war.
Die im Tessin verbliebenen Winzer führten ab 1907 vor allem Merlot aus Bordeaux ein, der heute auf über 80 % der Fläche steht. Die 1'105 Hektar werden von ca. 3'800 Winzern bearbeitet, welche die Flächen vor allem im Nebenerwerb bearbeiten. Ausser dem dominierenden Merlot, der als Qualitätswein unter dem Label Ticino DOC Merlot abgefüllt wird, gibt es Barbera, Bonarda, Bonsola und Freisa sowie die weissen Rebsorten Chasselas, Müller-Thurgau, Chardonnay oder auch Sauvignon blanc. Eine Besonderheit ist der Anbau der Amerikaner-Reben Isabella, Clinton und Noah. Diese sind Hybrid-Reben, die meist im 19. Jahrhundert mithilfe amerikanischer Wildreben gezüchtet wurden.
Weinbau in der Drei-Seen-Region
Das Anbaugebiet von 975 Hektar erstreckt sich über vier Kantone. Die Weinberge findet man vor allem an den Jura-Seen Bielersee (Lac de Bienne), Murtensee (Lac de Morat) und Neuenburger See (Lac de Neuchâtel). Die Appellation Vully liegt in zwei Kantonen, und zwar in Freiburg und Waadt, was in der Schweiz einmalig ist. Es dominiert der Pinot noir mit fast 50 %, gefolgt von Chasselas.
Weinbau im Waadt
Seit 1995 gibt es ein AOC-System mit Grand-Cru-Lagen. Viele dieser Lagen beinhalten die Begriffe Clos (für einen von Mauern umrahmten Weinberg), Château (Schloss), Domaine (Domäne) oder Abbaye (Abtei). Der Chasselas, der auf mehr als 60 % der 3'748 Hektar angebaut wird, heisst hier meist Perlan, während man die Weine aus dieser Rebsorte als Dorin oder Terravin (im Gegensatz zum Fendant im Wallis) bezeichnet. Rotweine aus Pinot noir und Gamay werden Salvagnin genannt (im Gegensatz zum Dôle im Wallis).
Weinbau im Wallis
Das Südschweizer Wallis, die Heimat des Matterhorns, ist das grösste Weinbaugebiet der Schweiz. Mit 4'976 Hektar umfasst es 34 % des gesamten Weinbaus. Die Hauptstadt ist Sitten (Sion). Die Weinberge erstrecken sich über eine Länge von rund 50 Kilometern vom deutschsprachigen Oberwallis bis ins französischsprachige Unterwallis entlang der Rhône bis zur französischen Grenze. Sie reichen von 450 Metern Seehöhe bis auf 650 Meter. Der Weinberg Riebe in Visperterminen im Oberwallis liegt sogar auf 1'100 Metern und gehört zu den höchsten Weinbergen Europas.
An den Rhône-Hängen sind die Weinberge meistens terrassiert, teils sogar als Tablare horizontal in den Hang geschnitten. Manche dieser Weinberge zählen zu den steilsten in Europa. Es dominieren Kalk-, Gneis-, Schiefer- und Schwemmlandböden, auf denen rund 60 verschiedene Rebsorten kultiviert werden. 90 % davon entfallen auf Pinot noir, Fendant (Chasselas), Gamay und Sylvaner. Der Syrah erzielt – vergleichbar der französischen Seite der Rhône – sehr gute Ergebnisse.
Ähnlich wie im benachbarten italienischen Aosta-Tal gibt es auch auf der Schweizer Seite der Grenze eine ungewöhnlich hohe Anzahl autochthoner Rebsorten, die oft nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden sind. Sie werden im Wallis als Alte Gewächse bezeichnet. Der heute noch vinifizierte 36 Plants, ein Gemischter Satz, bei dem ursprünglich 36 dieser Rebsorten in einem Weinberg standen und gemeinsam geerntet und vergoren wurden, zeugt von der alten Weinkultur.
Die bekanntesten Markenweine sind der Fendant (ein reiner Chasselas, der einer malolaktischen Gärung unterzogen wurde) sowie der Dôle, ein Rotwein, der normalerweise eine Cuvée aus Pinot noir und Gamay mit mindestens 51 % Pinot-Anteil ist. Es gibt diesen Wein selten auch weiss gekeltert. In der Deutschschweiz wird dieser Wein Süssdruck genannt. Eine weitere Spezialität des Wallis ist die süsse Spätlese (auch Flétri genannt) sowie der als Vin de Glaciers bezeichnete Gletscherwein. 1993 wurde auch im Wallis das AOC-System eingeführt. Einzelne AOC-Lagen werden als Grand Cru bezeichnet.