Auf ein Glas dem Erfinder des Cradle-to-Cradle-Konzepts

Ein wirtschaftliches Produktionssystem, das keinen Abfall produziert. Cradle to Cradle (von der Wiege zur Wiege) strebt den perfekten natürlichen Kreislauf an. Wir sprachen mit dem Erfinder Michael Braungart aus Hamburg über das revolutionäre Konzept, die Schwierigkeiten bei der Umsetzung und eine mögliche Anwendung im Weinbau.

Cradle to Cradle steht für den perfekten natürlichen Kreislauf ohne Abfall. Wie soll das funktionieren?
Michael Braungart: Cradle to Cradle steht für zwei Kreisläufe: einen biologischen Kreislauf für Verbrauchsprodukte und einen technischen Kreislauf für Gebrauchsprodukte. Die Natur kennt keinen Abfall. Trotz seiner Intelligenz ist der Mensch das einzige Lebewesen, das Müll produziert. Das müssen wir ändern. Deshalb muss alles nochmals neu erfunden werden.

Wie soll das gehen?
Eigentlich ist es ganz einfach. Man entwickelt alle Dinge so, dass sie ein biologisches System unterstützen. Alle Zutaten werden so ausgesucht, dass sie zu Kompost werden und in biologische Kreisläufe (Biosphäre) zurückgehen können. Oder aber, da wir ja nicht einfach nur wie Ameisen leben, sondern auch Waschmaschinen, Fernseher und Computer haben wollen, entwickelt man technische Geräte so, dass sie in einen technischen Kreislauf (Technosphäre) geführt werden können. Wir müssen unsere Intelligenz in die Produktgestaltung und nicht in nachgeschaltete Einrichtungen wie Klär- und Kehrrichtverbrennungsanlagen stecken. Dann werden die Produkte nicht nur besser, sondern auch kostengünstiger.

Cradle to Cradle Erfinder Michael Braungart
Geht es nach Professor Michael Braungart, leben wir 2050 in einer Welt ohne Abfall.

Existieren denn bereits solche Neuerfindungen?
Wir beschäftigen uns seit Anfang der 1990er mit der Neugestaltung von Produkten. Eines der ersten Cradle-to-Cradle-Produkte ist in Heerbrugg in der Nähe von St. Gallen entstanden. Das sind kompostierbare, quasi essbare Möbelbezüge, die bis heute erfolgreich auf dem Markt sind. Wir haben dafür nur ungiftige Zutaten verwendet, die man theoretisch auch essen könnte. Die Möbelbezüge kommen aber in ihrem zweiten Leben als Nährstoffe, zum Beispiel als Torfersatz in Gärtnereien, zum Einsatz.

«Wir müssen alles nochmals neu erfinden.»

Cradle to Cradle ist nur wenigen Leuten ein Begriff. Weshalb setzt sich Ihr Konzept nicht schneller durch?
Ich bin völlig überrascht, wie schnell es sich durchsetzt. Es gibt weltweit schon 11‘000 Cradle-to-Cradle-Produkte. In Ländern mit einer fast perfekten Müllindustrie setzt sich unser Konzept natürlich langsamer durch. Da hat man gar kein Interesse, weil dann die teure Kehrrichtverbrennungsanlage plötzlich überflüssig wird. Ich bin aber gleichwohl extrem optimistisch und glaube, dass vor 2050 alles Cradle to Cradle sein wird.

Verraten Sie uns noch ein paar andere gute Beispiele von Cradle-to-Cradle-Produkten?
2006 haben wir zusammen mit dem Bekleidungsartikelhersteller Trigema das erste kompostierbare T-Shirt entwickelt. Viele gute Beispiele gibt es auch aus dem Baubereich. In den 1960er Jahren begann man, gutes Handwerk durch schlechte Chemie zu ersetzen. Heute gibt es wieder Farben oder Teppichböden, die nicht nur nicht giftig sind, sondern aktiv die Luft reinigen.

Macht die Wirtschaft da wirklich mit? Die ist doch profitorientiert, will möglichst viel produzieren und verkaufen.
Jede Designschule, die etwas auf sich hält, lehrt inzwischen Cradle-to-Cradle-Design. Auf diese Weise entstehen viel schönere und bessere Produkte. In vielen Familienunternehmen stellt die Nachfolgegeneration heute das Mengen- und Umsatzdenken infrage. Was produziert wird, soll nützlich und nicht einfach nur weniger schädlich sein. Cradle to Cradle umzusetzen bedeutet, auf Effektivität statt auf Effizienz zu setzen. Effektivität zielt darauf ab, das Richtige zu produzieren, nicht das Bestehende zu optimieren. Der Ansatz, klimaneutral sein zu wollen, ist für mich falsch. Wir sollten klimapositiv sein.

«Alles, was im Leben schön ist, ist nicht effizient, sondern effektiv.»

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Das schönste Beispiel für den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität liefert der Wein. Ein effizienter Wein ist ein billiges, undefinierbares Mittelmeergemisch aus der Tetrapackung. Ein effektiver Wein ist ein schön komponierter Tropfen aus der Flasche, bei dem ich mich in geselliger Runde über die Welt und Cradle to Cradle unterhalte. Alles, was im Leben schön ist, ist nicht effizient, sondern effektiv.

Persönlich
Prof. Dr. Michael Braungart, Jahrgang 1958, studierte Chemie und Verfahrenstechnik in Konstanz und Darmstadt und promovierte an der Universität Hannover. Parallel dazu engagierte er sich bei Greenpeace. 1987 gründete er die EPEA Internationale Umweltforschung in Hamburg, die er heute noch leitet. Das Cradle-to-Cradle-Konzept entwickelte Braungart Ende der 1990er Jahre zusammen mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough. Es propagiert eine Welt ohne Abfall. Erreicht werden soll das, indem nur noch Produkte hergestellt werden, die in einen natürlichen oder einen technischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Braungart lehrt an verschiedenen Universitäten und treibt konsequent die Entwicklung von Cradle-to-Cradle-Produkten voran, von denen es seinen Aussagen zufolge mittlerweile weltweit 11‘000 gibt. Jährlich findet in Berlin ein Cradle-to-Cradle-Kongress statt, für den Delinat den Wein sponsort.
Michael Braungart ist mit der deutschen SPD-Politikerin und Mitbegründerin von Greenpeace Deutschland, Monika Griefahn, verheiratet und hat drei Kinder.

Wie kann Cradle to Cradle im Weinbau konkret angewendet werden?
Bislang geht es beim Umweltschutz nur darum, Energie zu sparen, den Wasserverbrauch zu reduzieren oder weniger Müll zu produzieren. Doch das hat nichts mit dem Schutz der Umwelt zu tun, sie wird nur weniger belastet. Wir müssen aufhören, uns als Schädlinge zu begreifen, sondern wir müssen uns als Chance für diesen Planeten sehen. Der Weinbau ist eine schöne Übungsanlage, um zu zeigen, dass es darum geht, in Partnerschaft mit der Natur zu leben.

Die Delinat-Methode versucht, diesen Ansatz in der Praxis umzusetzen. Wie nahe ist sie an Cradle to Cradle?
Ich habe mich im Hinblick auf dieses Interview mit der Delinat-Methode beschäftigt. Sie geht tatsächlich in unsere Richtung, weil sie ein partnerschaftliches Verständnis mit der Natur propagiert. Die Weine, die daraus entstehen, überzeugen mich übrigens sehr. Einer besser als der andere.

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Hier finden Sie alle Beiträge der WeinLese 60:

Bewegung an der Energiefront – Delinat-Winzer setzen auf erneuerbare Energie

Delinat-Winzer legen nicht nur Wert auf eine grosse natürliche Vielfalt in ihren Weinbergen. Für eine nachhaltige Wirtschaft ist auch der Umgang mit der Energie zentral. Im Bestreben, Delinat-Weine in einigen Jahren klimaneutral zu produzieren, treten ab 2021 Richtlinien bezüglich erneuerbarer Energie in Kraft. Strom soll mithilfe von Sonne, Wind oder Wasser möglichst auf dem Weingut oder in der unmittelbaren Umgebung erzeugt werden. Langfristig soll grüner Strom die fossilen Energieträger vollständig ersetzen und Heizung, Kühlung, Maschinen, Traktoren und andere Transportmittel antreiben. Delinat strebt diese Transformation bis zirka 2030 an.

Die neuen Energie-Richtlinien sehen vor, dass Delinat-Weingüter ab 2021 mindestens 30 Prozent des gesamten Energieverbrauchs aus eigenen oder regionalen erneuerbaren Quellen beziehen. Dieser Anteil soll kontinuierlich bis auf 100 Prozent ansteigen. Fossile Brennstoffe können vorübergehend durch die Produktion von grünem Strom kompensiert werden.

Zahlreiche Weingüter sind bei der Verwendung von erneuerbarer Energie schon sehr weit. Winzer-Berater Daniel Wyss stellt fünf Betriebe vor, die innovative Projekte umgesetzt haben oder diese demnächst realisieren und damit eine Vorbildfunktion übernehmen.

Weingut Lenz, Schweiz

Auf dem Weingut Lenz setzt man auf Erdwärme

Roland und Karin Lenz haben es in den vergangenen Jahren geschafft, ihr 14 Hektar grosses Weingut in Iselisberg bei Frauenfeld bis auf das Wasser zu 100% energieautark zu machen. Mittels Solaranlagen wird mehr Naturstrom produziert, als auf dem Betrieb gebraucht wird. Eine ganze Tagesproduktion kann in einem Batteriespeicher zwischengelagert werden. Überschüssiger Strom (rund 30%) wird jeweils abends ins öffentliche Netz eingespeist. Mittels Erdsonden wird genügend Erdwärme zur Beheizung aller Räumlichkeiten gewonnen. Durch Kühlanlagen entstehende Abwärme wird in die Erdsonden zurückgeführt, damit diese nie zu stark auskühlen. Dieses System funktioniert bereits seit 2015. Als nächster Schritt wird versucht, fossile Brennstoffe wie Diesel zu substituieren. Bereits sind 3 Elektrolieferfahrzeuge im Einsatz. «Jetzt hoffen wir, dass bald ein geeigneter Elektrotraktor auf den Markt kommt», erklärt Roland Lenz. Da man mit der Nutzung von grüner Energie schon sehr weit ist, wird auch an anderen CO₂-Faktoren geschraubt: leichtere Weinflaschen, Mehrwegflaschen, unbeschriftete Kartons und anderes mehr …

Albet i Noya, Spanien

Windpark in der Nähe des Weinguts Albet i Noya

Die Bodega Albet i Noya im Penedès ist am Kooperationsprojekt Viure de l’Aire beteiligt, wo mittels Windenergie Strom erzeugt wird. Seit zwei Jahren bezieht Albet i Noya über 80 Prozent der benötigten Elektrizität über diesen gut 50 Kilometer entfernt gelegenen Windpark. Zusätzlich waren für 2020 Investitionen in eine Solaranlage auf dem Dach des neuen Weinkellers geplant. Durch die durch Covid-19 verursachte Krise musste das Projekt zurückgestellt werden. Josep Maria Albet i Noya: «Wir hoffen, die Anlage 2021 oder 2022 realisieren zu können.» Danach wird der Betrieb punkto Elektrizität dank Wind und Sonne energieautark sein. In weiteren Schritten soll nach und nach auf fossile Brennstoffe verzichtet werden, indem Elektrofahrzeuge angeschafft werden. Dafür ist ein weiterer Ausbau der Solaranlage nötig. Der Winzer rechnet damit, dass bis spätestens 2030 auf dem Markt ein Elektrotraktor verfügbar sein wird, der die Anforderungen für eine Bearbeitung der Weinberge erfüllt.

Vale de Camelos, Portugal

Photovoltaikanlage auf dem Weingut Vale de Camelos

Antje und Thorsten Kreikenbaum, die deutschen Besitzer der Adega Vale de Camelos im Alentejo, haben ihr Weingut im Bereich der Elektrizität zu 100 Prozent unabhängig gemacht. Auf dem Gut sorgen vier grosse Solaranlagen für mehr Strom, als für Betrieb, Bewässerung, Kühlung und anderes gebraucht wird. Überschüssige Sonnenenergie wird ins öffentliche Netz eingespeist. Erste Solarpanels wurden bereits 2005 installiert, was damals in Portugal als Pionierleistung galt. 2018 wurde zusätzlich in Isolation und Modernisierung des Weinlagers investiert, um den Energieverbrauch für Kühlung in den heissen Sommermonaten zu senken. Fahrzeuge und Traktoren werden derzeit noch mit Diesel betrieben. «Unser Gesamtbetrieb umfasst 1000 Hektar. Aufgrund der langen Fahrdistanzen und der erheblichen Investitionen ist eine Umstellung auf solarbetriebene Fahrzeuge kurzfristig nicht möglich», erklärt Antje Kreikenbaum. Es ist aber geplant, weitere Solaranlagen in Betrieb zu nehmen und so fossile Energieträger noch mehr zu kompensieren. Das Alentejo ist eine der Regionen in Europa mit den meisten Sonnenstunden. Da liegt die Nutzung von Solaranlagen nahe, denn hier kann die Sonnenenergie sehr effizient genutzt werden.

Domaine Mon Rêve, Frankreich

Auf der Domaine Mon Rêve wird mit Wasserkraft gearbeitet

Vom Gesamtenergieverbrauch auf der Domaine Mon Rêve im Languedoc stammen derzeit erst knapp 30 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Diese grüne Energie kommt in Form von Strom vom Wasserkraftwerk eines unmittelbar beim Weingut gelegenen Stausees. Dieses ist mit einer ökologisch vorbildlichen Fischtreppe ausgestattet. Spätestens bis zum Jahr 2023 will Sébastien Rouve den Anteil erneuerbarer Energie stark steigern und zu 100 Prozent grünen Strom verwenden. Gelingen soll dies mit einer Solaranlage, die auf dem Dach seines neuen Weinkellers entsteht. Zusätzlich investiert der Winzer in Massnahmen, die den Energiebedarf verringern. «Die Schwierigkeit, eine klimaneutrale Energiebilanz zu erreichen, sind vor allem finanzieller Natur. Für mich als Kleinbetrieb bedeutet das Investitionen in der Höhe von 125‘000 Euro.» Darin noch nicht enthalten sind Investitionen für den Umstieg von Diesel- auf Elektrotraktoren. Für Sébastien Rouve sind solche Fahrzeuge noch zu teuer und zu wenig leistungsfähig. Er geht aber davon aus, dass dies in ein paar Jahren anders sein wird.

Azienda Le Contrade, Italien

William Savian hat setzt seit 2007 auf Solarkraft

Mit dem Neubau seiner Kellerei im Jahr 2007 hat William Savian auf seinem Weingut Le Contrade unweit von Venedig einen Pakt mit der Sonne geschlossen. Verschiedene Solaranlagen machen den Betrieb vollständig stromunabhängig. Zudem werden Wohnhaus, Büros und Degustierraum mithilfe eines artesischen Brunnens beheizt. Die Quelle liegt in einer Tiefe von 600 Metern und hat eine Wassertemperatur von 28 °C. Für die Brauerei (William Savian erzeugt auch Bier) und das Sterilisieren von Geräten wird 100-grädiges Wasser benötigt, das derzeit noch mit Flüssiggas (LPG) erzeugt wird. William Savian: «Im Augenblick schaffen wir es noch nicht, den Heizkessel zu ersetzen. Wir haben elektrische Tauchsieder getestet. Jedoch dauert die Aufheizzeit zu lang.»

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Regenerative Landwirtschaft – die natürliche «Reparaturwerkstatt»

Regenerative Landwirtschaft – schon wieder so ein Begriff, der in Ökokreisen gerade die Runde macht. Was ist darunter zu verstehen? Kurz auf den Punkt gebracht: Regenerative oder aufbauende Landwirtschaft ist nichts anders als eine Reparaturwerkstatt für beeinträchtigte oder zerstörte Kulturflächen. Delinat-Winzerberater Daniel Wyss gibt einen vertieften Einblick ins Thema.

Permakultur, Agroforst, regenerative Landwirtschaft, worin unterscheiden sich diese nachhaltigen Methoden genau?
Daniel Wyss: Permakultur ist umfassend. Es geht darum, natürliche Ökosysteme und Kreisläufe aus der Natur nachzuahmen. Bei der Agroforstwirtschaft werden Elemente des Acker- und Gemüsebaus mit Elementen der Forstwirtschaft kombiniert, etwa mehrjährige (Obst-)Bäume und Sträucher mit einjährigen Nutzpflanzen. Die regenerative Landwirtschaft greift auf Konzepte der Permakultur, der Agrarökologie und des holistischen (ganzheitlichen) Weidemanagements zurück. Es geht darum, den Boden zu regenerieren und ein widerstandsfähiges Anbausystem zu schaffen.

Bäume und Sträucher fördern die ökologische Vernetzung und steigern die Artenvielfalt im Weinberg.
Bäume und Sträucher fördern die ökologische Vernetzung und steigern die Artenvielfalt im Weinberg.

Was kann mit der regenerativen Landwirtschaft konkret bewirkt werden?
Sie kommt dort zur Anwendung, wo Kulturlandflächen durch Menschenhand über Jahrzehnte durch intensive, pestizidunterstützte Bewirtschaftung stark beeinträchtigt oder gar zerstört wurden. In solchen Fällen ist eine nachhaltige, strukturerhaltende Landwirtschaft nicht zielführend. Es geht viel mehr darum, durch gezielte und konsequente Verknüpfung von Faktoren wie Standortklima, Humusaufbau, Biodiversität und Wasserretention die Bodenfruchtbarkeit wieder herzustellen oder zu verbessern. Ziel ist ein pestizidfreies, effizientes und resilientes Anbausystem mit geschlossen Stoffkreisläufen.

Eine vielfältige Begrünung zwischen den Rebzeilen bietet nicht nur Nahrung für Insekten, sondern baut auch Humus auf und fördert ein gesundes Bodenleben.
Eine vielfältige Begrünung zwischen den Rebzeilen bietet nicht nur Nahrung für Insekten, sondern baut auch Humus auf und fördert ein gesundes Bodenleben.

Weshalb ist die regenerative Landwirtschaft ein grosse Chance für den Weinbau?
Viele Rebflächen Europas sind durch die bisherige Art der Bewirtschaftung und die klimabedingten Wetterextreme beeinträchtigt. Die regenerative Landwirtschaft baut Humus auf und verbessert die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens. Letztlich ist sie ein Anbausystem, das sich durch hohe Widerstandskraft gegenüber klimatischen Extremsituationen, rasche Regenerierfähigkeit und hohe Pflanzengesundheit auszeichnet.

Aufbauend oder regenerativ?

Aufbauende oder regenerative Landwirtschaft meint im Prinzip dasselbe. Der Begriff «Regenerative Landwirtschaft» wird aber zunehmend auch von Grosskonzernen verwendet, welche diesem nur selektiv und nicht umfassend nachleben. Deshalb haben wir uns entschieden, künftig den Begriff «Aufbauende Landwirtschaft» zu verwenden. Das hängt auch damit zusammen, dass der Natur eine beeindruckende Kraft des Aufbaus innewohnt, welche in diesem Begriff gut zum Ausdruck kommt. Die aufbauende Landwirtschaft schafft es mit verschiedenen Methoden und umfassenden Massnahmen überstrapazierte und verarmte Böden wieder so zu beleben, dass Fruchtbarkeit und Resilienz auf natürliche Art und Weise deutlich verbessert werden.

Welche Massnahmen kommen im Weinbau zur Anwendung?
Durch Einsaaten von vielfältigen Pflanzenmischungen, Zufuhr von Kompost oder Mulch sowie eine möglichst zurückhaltende und nur oberflächliche Bodenbearbeitung wird Humus aufgebaut und der Boden regeneriert. Dabei helfen auch weidende Schafe in den Rebflächen und das Pflanzen von Bäumen und Sträuchern.

Schafe weiden in den begrünten Weinbergen und helfen dabei beim Humusaufbau.
Schafe weiden in den begrünten Weinbergen und helfen dabei beim Humusaufbau.

Auf verschiedenen Delinat-Weingütern ist die regenerative Landwirtschaft schon länger ein Thema. Wie sind die Erfahrungen?
Besonders eindrücklich ist das Beispiel unseres Partnerweingutes Vale de Camelos im Alentejo. In der Kornkammer Portugals ist die Bodenfruchtbarkeit auf riesigen Flächen durch eine jahrzehntelange intensive Getreidewirtschaft mit massivem Pestizideinsatz stark dezimiert worden. Als die Adega Vale de Camelos um die Jahrtausendwende begann, auf solchen Böden Reben zu pflanzen, versprach nur eine regenerative Landwirtschaft Aussicht auf Erfolg. Mittels Förderung der Biodiversität durch grossflächige Aufforstungen mit einheimischen Bäumen und Sträuchern, einer holistischen Weidewirtschaft mit Schafen, der Anlage von grossen Regenwasserseen und einem gezielten Humusaufbau gelang es, einen zunehmend in sich selber funktionierenden ökologischen Kreislauf anzustossen. Durch die im Alentejo ausgeprägten Extreme des Klimawandels (Hitze, Trockenheit, Starkregen), wurde es zu einer ganz besonderen Herausforderung. Aber es hat funktioniert.

Wasser-Management hat in der Permakultur einen hohen Stellenwert: Das Regenwasser wird während den regnerischen Monaten gesammelt und vermindert im Sommer den Trockenstress der Reben.
Wasser-Management hat in der Permakultur einen hohen Stellenwert: Das Regenwasser wird während der regnerischen Monate gesammelt und vermindert im Sommer den Trockenstress der Reben.

Gibt es andere gelungene Beispiele?
Ja. Auf unserem eigenen Weingut Château Duvivier in der Provence konnten die durch lange Trockenperioden bedingten Ernterückgänge dank Massnahmen aus dem Bereich der regenerativen Landwirtschaft gestoppt werden. Und auf dem Weingut Pago Casa Gran in der Region Valencia gelang es, eine während Jahren versiegte Quelle wieder sprudeln zu lassen.

Der Klimawandel und die Weinlese 2020

In weiten Teilen Europas ist die Weinlese in vollem Gange. Nicht überall wirkt sich der Klimawandel gleich aus. Während in südlichen Region höhere Temperaturen zu deutlich früherem Erntebeginn führten, ist dies in nördlichen Regionen diesmal weniger der Fall. Wetterextreme wie Dürre oder Starkregen hielten sich 2020 bisher fast überall in Grenzen. Allgemein können Delinat-Winzer eine gute Traubenqualität bei eher unterdurchschnittlicher Menge einfahren.

Weinlese 2020

Spanien

Bei den Winzern in Spanien dominiert dieses Jahr ein Thema: Wasser und die damit verbundenen Folgen. «Im Norden haben regelmässige Niederschläge und erhöhte Temperaturen zu einem noch nie dagewesenen Krankheitsdruck geführt», sagt Raúl Ripa von der Bodega Quaderna Via in der Navarra.

Katalonien ist besonders stark vom Falschen Mehltau betroffen. Auf der Bodega Albet i Noya rechnet man mit Ernteausfällen zwischen 20 und 40 Prozent.

Gute Ernte auf dem Weingut Pago Casa Gran
Dank langjährigen Investitionen ins Wassermanagment konnten die Reben auf dem Weingut Pago Casa Gran auch während längeren Trockperioden auf genügend Wasserreserven zugreifen.

Carlos Laso vom Weingut Pago Casa Gran in Valencia war letztes Jahr stark von Wetterextremen (Frost, Starkregen, Dürre) betroffen. Damals zeigte sich, wie wichtig es in trockenen Gebieten ist, Wasser zurückhalten zu können, wenn es in grossen Mengen vom Himmel fällt. Durch umfassende Permakulturmassnahmen gelingt es Carlos heute, den Reben auch in grossen Trockenperioden jederzeit genügend Wasser zuzuführen, so dass eine optimale Traubenreife möglich ist. Heuer blieb er von Wetterxtremen mehr oder weniger verschont und kann zu einem normalen Zeitpunkt ernten. In südlichen Regionen Spaniens wurde heuer dagegen rund zehn Tage früher als üblich mit der Lese begonnen.

Frankreich

Weinlese auf der Domaine Lignères
Auf der Domaine Lignères ist die Ernte bereits in vollem Gange.

Das ist auch bei Jean und Anne Lignères in den Corbières (Südfrankreich) der Fall. Hier wird seit dem 24. August von Hand gelesen. Damit sind sie gegenüber anderen Winzer der Region um rund zehn Tage im Vorsprung. «Wir wollen frisches Traubengut mit weniger Alkohol ernten», begründet Jean Lignères. Weil die Trauben dank Biodynamik und anhaltender warmen Temperaturen ohne Wetterextreme schon früh optimal gereift sind, fällt die Ernte diesmal früher aus.

Italien

Gute Traubenqualität in Süditalien
Gute Traubenqualität trotz früher Ernte auf der Masseria Falvo.

Rund zehn Tage früherer Erntebeginn und eine gute Traubenqualität melden auch unsere Winzer aus Süditalien. «Wir begannen mit der Ernte nach Mitte August, sind also sehr früh dran, aber die Qualität stimmt», sagt Ermanno Falvo von der Masseria Falvo in Kalabrien. Die frühe Ernte ist auf drohenden Trockenstress zurückzuführen, der laut Ermanno klimabedingt ist. «Wir denken deshalb darüber nach, in Notbewässerungssysteme und in die Rodung und Neubepflanzung von Weinbergen mit dürreresistenteren Reben zu investieren.»

Noch weiter südlich, auf Sizilien, begann die Ernte auf dem Weingut Maggio bereits am 10. August, was laut Massimo Maggio aber nicht aussergewöhnlich ist. «Wir hatten keinen sehr heissen Sommer und nur einen Starkregen kurz vor Erntebeginn, sodass wir schöne und gesunde Trauben mit guter Weinperspektive ernten können.»

Im nördlichen Italien war der Sommer eher kühl. Von Klimawandel war hier in diesem Jahr wenig zu spüren, so dass der Erntebeginn im langjährigen Durchschnitt liegt. «Der Ertnezeitpunkt wird heuer weder durch atmosphärische Ereignisse noch durch den Klimawandel beeinflusst. Wir werden wie üblich Mitte September beginnen und die Ernte nach drei bis vier Wochen abschliessen», sagt Alberto Brini vom Weingut Il Conventino in der Toskana.

Auf der Azienda Poggio Ridente startet bald die Ernte der roten Trauben
Winzerin Cecilia Zucca zeigt sich erfreut sich ob der diesjährigen Traubenqualität.

Auf der Azienda Poggio Ridente im Piemont zeigt sich ein ähnliches Bild: «Die roten Trauben werden wir etwas früher ernten, aber nicht viel. Wir beginnen etwa ab 10. September», verrät Cecilia Zucca. Gleichwohl hat die Lese hier bereits am 17. August begonnen, denn für den Rosé müssen die Pinot-Nero-Trauben gelesen werden, bevor sie voll ausgereift sind.

Deutschland

Ein gutes Weinjahr für Tobias und Ellen Zimmer auf dem Weingut Hirschhof
Die Ernte auf dem Weingut von Tobias und Ellen Zimmer hat bereits Ende August begonnen.

Noch weiter nördlich ist der Klimawandel bei Delinat-Winzer diesmal ebenfall kaum ein Thema. «Ein sehr gut verlaufener Sommer ohne Wetterextreme wie Hitze, Trockenheit oder Starkregen», bilanziert Tobias Zimmer vom Weingut Hirschhof in Rheinhessen. Die Ernte begann am 27. August und damit eine gute Woche früher als im Durchschnitt. Grund dafür: milder Winter, früher Austrieb, harmonische Vegetationsperiode. Auf dem Hirschof wird sich die Ernte aber noch hinziehen. Tobias Zimmer: «Spätsorten wie Riesling und Spätburgunder benötigen noch Zeit.»

Österreich

Erst Mitte September und somit zu einem «normalen Zeitpunkt» beginnen Kathi und Daniel Bauer vom Weingut Bauer-Pöltl im österreichischen Mittelburgenland mit der Weinlese. Daniel Bauer: «2020 wird ein normaler Jahrgang, eher auf der trockenen Seite, aber ohne Hitze- oder Trockenstress. Beschatten der Traubenzone war dieses Jahr nicht notwendig, da weder zu heiss noch zu intensive Sonneneinstrahlung.»

Schweiz

Bio-Winzer Roland Lenz spricht von einem erfreulichen Weinjahr
Auf dem Weingut von Roland Lenz begann die Traubenernte Ende August.

Von einem «sehr erfreulichen Weinjahr» spricht Roland Lenz vom grössten Schweizer Bioweingut. Die befürchtete Trockenheit analog Vorjahr blieb aus, Ende August konnte mit der Ernte von gesundem Traubengut bei etwas geringerem Behang begonnen werden.

WeinLese 59: Editorial

Bio boomt. Das führt mitunter dazu, dass Bio heute viele Gesichter hat – leider nicht nur strahlende. Wer die Natur über Jahre mit der Chemiekeule gebeutelt hat und jetzt plötzlich vom Saulus zum Paulus mutiert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er es aus Überzeugung tut, oder nicht doch eher als Trittbrettfahrer mit der Aussicht auf bessere Preise.

Industrie-Bio, kaum besser als konventionelle Landwirtschaft, oder Greenwashing, bei dem man sich in ein grünes Mäntelchen hüllt, verwässern die Bioszene heute im grossen Stil. Für überzeugte und echte Biowinzer ist es zu einer Herausforderung geworden, sich von Pseudo-Bio abzugrenzen.

Delinat-Winzer schaffen das immer wieder. Mit Innovation, Kreativität und unserer Unterstützung erneuern sie ständig ihre Pionierrolle, sei es bei der Förderung der Biodiversität, der Permakultur oder neuer Rebsorten, die so stark sind, dass sie kaum mehr gespritzt werden müssen. Um solchen resistenten Sorten zum Durchbruch zu verhelfen, lohnt sich eine kleine Rebellion im Weinberg. Wir wagen sie gemeinsam mit dem Schweizer Winzerpaar Roland und Karin Lenz. Unsere neuen, frechen Rebbel-Weine aus zukunftsträchtigen Sorten sind Weine von grosser Klasse. Gute Lektüre beim Entdecken einer neuen Genusswelt!

WeinLese 59: Kurz & bündig

Rebberg-Kartoffeln für Notleidende

Kartoffeln auf dem Weingut Volvoreta
Ein Herz für Bedürftige: Neben Trauben wachsen in den Weinbergen von Volvoreta in Spanien neuerdings auch Kartoffeln, mitunter mit schönem Symbolgehalt.

Weltweit sorgen gemeinnützige Organisationen mit Lebensmittelbanken dafür, Bedürftige gratis mit Lebensmitteln zu unterstützen. In Spanien hat die Corona-Krise fast zu einem Zusammenbruch der Lebensmittelbank geführt, weil die Zahl der Hungerleidenden stark gestiegen ist. María Alfonso vom Delinat-Partnergut Volvoreta in Sanzoles hat deshalb ein einzigartiges Projekt lanciert: In den Zwischengassen der Rebberge wurden 2500 Kilo Biokartoffeln gepflanzt. Rund die zehnfache Menge konnte geerntet und der spanischen Lebensmittelbank in Madrid gespendet werden. «Wir freuen uns, dass unsere erste Ernte von hundert Prozent biologischen Gourmet- Rebbergkartoffeln an Menschen in Not geht», schreibt María. Das Projekt mit Kartoffeln und anderen Zweitkulturen im Weinberg soll im Zuge der aktuellen Wirtschaftskrise und des Klimawandels weitergeführt werden.

ZDF dreht auf Vale de Camelos

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) war Ende Juni für Dreharbeiten zu Gast auf dem Weingut Vale de Camelos im portugiesischen Alentejo. Im Zentrum des Dokumentarfilms stehen Fragen, wie ein Delinat-Weingut in einer von der Desertifikation bedrohten Region mit den Folgen des Klimawandels umgeht. Antje und Thorsten Kreikenbaum, die deutschen Besitzer von Vale de Camelos, haben in den vergangenen Jahrzehnten enorm viel in Wasserretention, Permakultur und Biodiversität investiert. Wir haben darüber ausführlich in der WeinLese-Ausgabe vom Mai 2020 berichtet. Durch diesen Bericht ist das ZDF auf das Weingut im Süden Portugals und die Delinat-Methode aufmerksam geworden. Der Beitrag wurde am 16. August im Rahmen der ZDF-Dokumentationsreihe «planet e» ausgestrahlt.

ZDF-Dreh im Tal der Kamele

Mit dem Doku-Format «planet e» bringt das ZDF wöchentlich spannende Reportagen zu aktuellen Themen des Umwelt- und Naturschutzes. Der Bericht «Nahe an der Natur» im Delinat-Magazin WeinLese vom Mai 2020 über Biodiversitäts- und Permakulturmassnahmen auf dem Weingut Vale de Camelos hat dazu geführt, dass das ZDF ein Filmteam in den vom Klimawandel arg gebeutelten Süden Portugals geschickt hat. Denn hier zeigt sich mit aller Deutlichkeit, worauf sich möglicherweise auch die Landwirtschaft in Deutschland und der Schweiz gefasst machen müssen.

Biodiversität auf dem Weingut Vale de Camelos

Im Alentjo, einer der trockensten Gegenden Europas, haben viele Bauern den Kampf gegen die Dürre bereits aufgegeben. Grossflächig versteppen brachliegende Felder. Ganz anders auf der 1000 Hektar grossen Farm, die der Bremer Reeder und Seefahrer Horst Zeppenfeld 1981 erstanden und vor knapp 10 Jahren an Tochter und Schwiegersohn Antje und Thorsten Kreikenbaum weitergegeben hat. Diese haben die Farm im Tal der Kamele mit Hilfe portugiesischer Fachkräfte auf Weinbau, Korkeichen, Johannisbrotbäume und Olivenanbau spezialisiert und sorgen seit einigen Jahren mit einfachen, aber wirkungsvollen Massnahmen dafür, dass mitten in einer wüstenähnlichen Region eine fruchtbare, grüne Oase entstanden ist.

Mit einer ausgeklügelten Bewässerungstechnik nach der Permakultur-Methode wird kein Tropfen des spärlich fallenden Regenwassers verschwendet. Steinwälle und Dämme zwischen den Weinreben halten das Wasser auf und geben es bei Bedarf an die Reben ab. Innerhalb der letzten zehn Jahre konnten der Wasserverbrauch auf dem Gut trotz Klimastress um die Hälfte reduziert und die Fruchtbarkeit gesteigert werden.

Keyline Design
Neue Rebberge wurden im Keyline-Design angelegt, um Erosion zu vermeiden und das spärliche Regenwasser optimal den Reben zur Verfügung zu stellen.

Ende Juni 2020 hat die ZDF-Filmcrew um Regisseur Berndt Welz während drei Drehtagen die Arbeitsweise auf Vale de Camelos (Kompostmanagement, Keyline-System, Biodiversität, nächtliche Bewässerung, Beweidung mit Schafen, Versuchsfeld mit Pflanzung autochthoner trockenresistenter Rebsorten) gefilmt und Interviews mit Antje und Thorsten Kreikenbaum sowie Betriebsleiterin Helena Manuel geführt. Entstanden ist ein rund zehnminütiger Beitrag, der im Rahmen des Dokumentarfilms «Diagnose Dürrestress» am 16. August 2020 in der Reihe «planet e» zu sehen ist. Hier geht es direkt zum Beitrag.

Die konsequent biologisch und nach der strengen Delinat-Methode wirtschaftende Adega Vale de Camelos wurde von Delinat aufgrund der langjährigen und intensiven Anstrengungen für eine reiche biologische Vielfalt zum «Biodiversitätsweingut 2020» gekürt. Die qualitativ hochwertigen und genussvollen Weine dieses Vorzeigeweinguts finden Sie hier.

Weitere Blog-Beiträge zum Weingut Vale de Camelos:

WeinLese 58: Editorial

Hans Wüst, WeinLese Redaktor

Am 20. Juli 2013 sind wir im Tal der Kamele im Süden Portugals bei schönstem Sommerwetter in den Korb eines Heissluftballons gestiegen. Mit an Bord: Antje und Thorsten Kreikenbaum, verantwortlich für das Weingut Vale de Camelos im Alentejo.

Ziel der Ballonfahrt: Antje und Thorsten wollten uns aus der Vogelperspektive zeigen, wie es dank jahrzehntelanger Anstrengungen gelungen ist, die Biodiversität in dieser wüstenähnlichen Umgebung zu fördern. Es war ein sehr eindrückliches Erlebnis, das Weingut von oben als grüne Oase mit fünf grossen Regenwasserteichen, unzähligen Rebstöcken, Oliven und Johannisbrotbäumen sowie Stein- und Korkeichen zu entdecken.

Würden wir heute die Ballonfahrt wiederholen, wäre das Bild noch eindrücklicher: In den vergangenen sieben Jahren wurden unter klimatisch extremen Bedingungen unermüdlich weitere Pinien- und Korkeichenwälder aufgeforstet und bei den Weinbergen nochmals viele Bäume und Sträucher gepflanzt. Für diese Anstrengungen und als Motivation, auf dem eingeschlagenen Weg weiterzufahren, verlieh Delinat dem Weingut die Auszeichnung «Biodiversitätswinzer 2020».

Ich wünsche gute Lektüre, am besten bei einem Glas «Biodiversitätswein» von Vale de Camelos.

Alle Artikel der WeinLese 58

WeinLese 58: Kurz & bündig

Hälfte der Rebfläche in Gefahr

Weltweit ist mehr als die Hälfte der Rebfläche vom Klimawandel bedroht. Bei einer Erwärmung von 2 Grad, wie vom Pariser Abkommen vorgesehen, könnten 56 Prozent der aktuellen Weinregionen verschwinden. Zu diesem Schluss kommen amerikanische und französische Forscher vom Nationalen Forschungsinstitut für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt, wie aus einem Bericht der amerikanischen Zeitschrift PNAS hervorgeht. Am stärksten betroffen wären Regionen mit bereits warmem Klima wie Italien und Spanien, wo 65 Prozent der Rebflächen gefährdet sind. Die Forscher weisen darauf hin, dass die Verluste durch Ausweichen auf hitzebeständigere Sorten gemildert werden können und gleichzeitig durch den Klimawandel an anderen Orten neue Weinbaugebiete entstehen könnten. Die Autoren der Studie gehen zum Beispiel davon aus, dass im Burgund der traditionelle Pinot Noir etwa durch Mourvèdre oder Grenache ersetzt werden könnte, Rebsorten, die Hitze mögen. Die Delinat-Winzer werden sich mit dem Thema im Rahmen eines Winzerseminars beschäftigen.

«Wasserschlange» im Piemont

Teich auf dem Weingut La Luna del Rospo

Auf der Azienda La Luna del Rospo im Piemont hat Winzerin Renate Schütz mithilfe von Permakultur-Spezialist Jens Kalkhof vor ihrem Weinkeller einen Teich ausgehoben, um anfallendes Regenwasser zu speichern und damit die neu geschaffene Gemüseterrasse sowie die angrenzenden Reben mit Bodenfeuchtigkeit zu versorgen. Von der Wirkung der neuen «Wasserschlange von La Luna del Rospo», wie die Winzerin ihren Teich nennt, ist sie ganz begeistert: «Auch bei starken Regenfällen bewährt sie sich fantastisch. Der Überlauf funktioniert wie geplant, auch wenn den Wirsingköpfen zuweilen das Wasser bis zum Hals steht …»

Barolo-Partnerwinzer für Delinat

Enrico Rivetto

Im Piemont ist der biologische Weinbau noch wenig verbreitet, erst recht im prestigeträchtigen Barolo-Gebiet. Einer, der seit 2009 konsequent auf ökologischen Anbau setzt und jetzt neu mit Delinat zusammenarbeitet, ist Enrico Rivetto in Serralunga d‘Alba. Er hat in der jüngeren Vergangenheit stark in die Biodiversität investiert und über 500 Bäume (Eichen, Eiben, Ahorn, Limetten, Birken, Kastanien, Kaki, Walnuss) sowie verschiedene Sträucher (Rosmarin, Salbei) gepflanzt. Ab dem Jahrgang 2019 tragen die Rivetto-Weine nun auch das Demeter-Label. Enrico ist damit der erste biodynamische Barolo-Winzer. Von der eigenen Wirtschaftsweise ist der neue Delinat-Partnerwinzer mittlerweile so überzeugt, dass er sagt: «Ich hoffe, dass sich der biologische und biodynamische Weinbau in den Langhe-Hügeln von Barolo und Barbaresco rasch ausbreitet.»

Beliebte Weinkurse

Die Delinat-Weinkurse, allen voran der Basiskurs, erfreuen sich weiterhin grosser Beliebtheit. Noch nie wurden in der Schweiz und in Deutschland so viele Kurse durchgeführt wie 2019. An den insgesamt 151 Weinkursen (Vorjahr: 127) nahmen 2145 Personen teil (Vorjahr: 1747). Besonders erfreulich: Es gelang, vermehrt auch ein jüngeres Publikum für die verschiedenen Weinthemen zu begeistern. Auch im laufenden Jahr hält die grosse Nachfrage an. Das Delinat- Kursangebot ist unter www.delinat.com/veranstaltungen zu finden.

Erneut schwieriges Honigjahr

2019 war für Imker ein schweres Jahr

Die schlechten Honigjahre halten europaweit an: 2019 war auch für die Delinat-Imker das dritte Jahr in Folge mit magerer Ernte. In Bulgarien war das Frühjahr regnerisch und kühl, was die Erntemenge von Akazienhonig drastisch reduzierte. In Kalabrien gab es wetterbedingte Probleme während der Zitronenblüte. In Spanien litten die Bienen bereits im Frühjahr unter starker Trockenheit. Diese hielt lange an und hatte Folgen für die Lavendelblüte, was wiederum zu einer sehr kleinen Lavendelhonigernte führte. Einzig in Norditalien fielen die Erntemengen halbwegs zufriedenstellend aus. Aufgrund langjähriger Beziehungen konnte sich Delinat die gewünschten Mengen an qualitativ hochwertigen, handwerklich hergestellten Biohonigen gleichwohl sichern, sodass keine Lücken im vielfältigen Sortiment entstanden.

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Alentejo – Nahe an der Natur

Vollkommene Trockenheit und Temperaturen bis zu 50 Grad im Sommer: Weinbau im portugiesischen Alentejo ist im Sog des Klimawandels zu einer gewaltigen Herausforderung geworden. Das deutsch-portugiesische Team auf der Adega Vale de Camelos meistert diese mit Bravour. Die Auszeichnung als Delinat-Biodiversitätswinzer 2020 ist der Lohn für Innovationskraft im Einklang mit der Natur.

Wasserretentionsteich auf dem Weingut Vale de Camelos

Getreidefelder, Schafweiden und Korkeichenwälder so weit das Auge reicht. In diese Landschaft im Süden Portugals verliebte sich der Bremer Reeder und Seefahrer Horst Zeppenfeld 1981 und kaufte im «Tal der Kamele» tausend Hektar Land. Der Name «Vale de Camelos» erinnert an die Zeit der maurischen Besiedlung Portugals, als im Alentejo noch Kamele weideten. Heute sind es Schafe, Korkeichen, Pinien, Oliven, Johannisbrot und Reben, die das Anwesen der Familie Zeppenfeld prägen.

Klimawandel fordert heraus

Erste Reben wurden im Jahr 2000 gepflanzt. Es sind regionstypische Rebsorten wie Touriga Nacional (Portugals bekannteste Rotweintraube), Alicante Bouschet und Aragonez (in Spanien als Tempranillo bekannt), aber auch Syrah, die vorerst konventionell, seit 2007 aber biozertifiziert kultiviert werden. Schon immer war das Alentejo eine heisse und trockene Region ohne Niederschläge im Sommer. «Die Umstellung auf biologischen Anbau und später die Anwendung der Delinat-Methode waren grosse Herausforderungen und bedeuteten lange Zeit die grösste Veränderung auf unserem Gut», erklärt Antje Kreikenbaum, Tochter von Horst Zeppenfeld. Sie hat 2012 zusammen mit ihrem Mann, dem Landschaftsarchitekten Thorsten Kreikenbaum, die Verantwortung für Vale de Camelos übernommen. Vor Ort wird das Weingut von zwei starken portugiesischen Frauen geführt: Helena Manuel, ausgebildete Agraringenieurin, ist die Betriebsleiterin; Marta Pereira, studierte Önologin, zeichnet für die Weinbereitung verantwortlich. Ebenfalls mit an Bord ist der ausgebildete Winzer Jannes Kreikenbaum, Sohn von Antje und Thorsten.

Helena Manuel, Marta Pereira und Jannes Kreikenbaum
Helena Manuel und Marta Pereira sowie Jannes Kreikenbaum können sich nicht nur über prachtvolle Trauben aus reicher Biodiversität, sondern auch über ein Kirchlein freuen, das zum Weingut Vale de Camelos gehört.

Das deutsch-portugiesische Team ist enorm gefordert, denn in den letzten Jahren hat sich die Situation extrem verschärft. Klimawandel, Wassermangel, Dürren und Wüstenbildung sind im Alentejo keine düsteren Zukunftsvisionen mehr, sondern Teil der Gegenwart. «2017 war das Alentejo Dürreregion. Es wurde der Notstand ausgerufen, doch leider hat das kaum etwas bewirkt. Vieles entwickelte sich noch immer in die falsche Richtung», bedauert Antje Kreikenbaum. Sie erwähnt etwa den überdimensionierten Alqueva-Stausee, in den grossräumig die spärlichen Wasserreserven abgezogen werden, um damit riesige, mit Pestiziden «sauber» gehaltene Olivenplantagen zu bewässern. Antje: «Schon nach wenigen Jahren sind diese Böden völlig ausgezehrt und tot.»

Langer Weg zu reicher Biodiversität

Biodiversität auf dem Weingut Vale de Camelos

Gleichwohl gibt es Lichtblicke für «den andern Weg», wie er auf der Adega Vale de Camelos verfolgt wird. Neuerdings interessieren sich jedes Jahr zahlreiche Gruppen von Universitäten aus Städten der näheren Umgebung, aber auch internationale Forschungsgruppen dafür, wie den Herausforderungen des Klimawandels im Einklang mit der Natur begegnet werden kann. «Biodiversität ist für uns zur Überlebensstrategie geworden», sagt Antje Kreikenbaum. So sind in den letzten 35 Jahren auf der Herdade rund 350‘000 Pflanzen gesetzt worden. Neben Reben und Oliven vor allem Stein- und Korkeichen, Johannisbrotbäume und Pinien, in der direkten Umgebung der Weinberge auch Pistazien, Mandarinen, Orangen, Granatäpfel und anderes mehr. Durch gezielte Aufforstung sind mehr als 600 Hektar neue Waldflächen entstanden. Der Nutzen: Begrünung und Bewaldung bilden organische Materie und verbessern den Wasserhaushalt des Bodens, wodurch extreme Hitzegrade gepuffert werden.

Weingut Vale de Camelos aus der Luftperspektive

Gleichzeitig wurden fünf grosse Seen angelegt oder erweitert. Sie dienen als Reservoir für das sonst ungenutzt ablaufende Winterregenwasser. Da es in den Sommermonaten zwischen Juni und September keine Niederschläge gibt, dafür aber lange Trocken- und Dürreperioden mit Temperaturen bis zu 50 Grad, wird das gesammelte Regenwasser zur Bewässerung der vielfältigen Kulturen benötigt. Um das möglichst wirkungsvoll und effizient zu tun, kommen bewährte Methoden der Permakultur zur Anwendung. So wurde etwa 2019 ein neuer, 4,3 Hektar grosser Weinberg nach dem Keyline-System angelegt. Dabei wird beim Anpflanzen der Rebstöcke der Topografie des Bodens gefolgt, um so möglichst alles Wasser im Boden und auf dem Gelände zu halten.

Pakt mit der Sonne

Über die Jahre ist es mit umfassenden und aufwendigen Massnahmen gelungen, in einer wüstenähnlichen Umgebung eine grüne Oase mit biotopartigen Wasserflächen und reicher Biodiversität zu schaffen. Davon profitieren nicht nur die Kulturen, sondern auch verschiedene Vogelarten. Jedes Jahr versammeln sich an den Gewässern von Vale de Camelos bis zu 1500 Kraniche und andere Zugvögel im Winterquartier. Über die Jahre sind so im Tal der Kamele verschiedene Vogelschutzzonen und Naturschutzgebiete entstanden. Darüber hinaus liessen Antje und Thorsten Kreikenbaum nicht weniger als fünf Solaranlagen bauen, die heute mehr Strom produzieren, als auf dem Gut gebraucht wird.

Trotz langer Trockenperioden ohne Regenfälle in den Sommermonaten fühlt sich eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt im Naturparadies von Vale de Camelos im Süden Portugals wohl.

«Wir sind noch lange nicht am Ende. Wir gehen Schritt für Schritt voran, denn alles, was wir hier investieren, muss zuerst erwirtschaftet werden», resümiert Antje. «Dass wir mit Delinat einen Partner haben, der uns mit Beratung, Anregungen und langfristigen Weinkäufen unterstützt, ist für uns sehr wertvoll. Und die Auszeichnung zum Biodiversitätswinzer 2020 ist so etwas wie das Pünktchen auf dem i.»

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