«Die Natur kennt keine Monokultur»

Die Begrünung ist ein zentrales Element der Biodiversität im Rebberg. Der deutsche Ökoweinbauberater Matthias Wolff gehört zu den gefragtesten Experten für Weinbergbegrünung. Im Interview verrät er, worauf es ankommt und was sie bewirkt.

Matthias Wolff, weshalb soll ein Weinberg begrünt sein?
Matthias Wolff: Weil die Natur keine Monokulturen kennt. Natur bedeutet Vielfalt, Mischkultur. Ein idealer Pflanzenteppich in den Gassen zwischen den Rebzeilen stellt eine Wurzel- und Blütenvielfalt dar. Das ist gut für das Bodenleben und den Insektenreichtum. Beides begünstigt ein natürlich funktionierendes Ökosystem.

Matthias Wolff
Matthias Wolff

Sind Begrünungen auch in heissen und trockenen Südregionen möglich und sinnvoll?
Es gibt Einschränkungen für Regionen mit geringen Niederschlägen. Bei 500 Millimeter oder weniger pro Jahr muss man sich spezielle Lösungen überlegen. Gerade im Weinbau gibt es längere Zeitspannen, wo die Rebe kein Wasser braucht. Ausgeprägt ist das etwa während der Winterruhe der Fall. In solchen Zeiträumen kann man eine Begrünung wachsen lassen, um dann in der niederschlagsarmen Vegetationszeit wenn nötig teilweise darauf zu verzichten. In diesem Fall sollte man den Boden aber mit Stroh oder mit der gemulchten oder gewalzten Winterbegrünung abdecken.

Weshalb wird oftmals nicht der ganze Weinberg begrünt, sondern bloss jede zweite oder dritte Gasse?
Das hängt meist mit dem Wassermanagement zusammen. Wenn ich pro Jahr 700 und mehr Millimeter Niederschlag habe, kann ich alle Gassen ganzjährig begrünen, ohne mir Gedanken über möglichen Trockenstress für die Rebe zu machen. Bezüglich Bodenfruchtbarkeit, Humusaufbau, Biodiversität und Erosionsschutz ist die ganzflächige und ganzjährige Begrünung optimal. Wenn hingegen die Wasserreserven begrenzt sind, kann die sommerliche Begrünung in nur jeder zweiten oder dritten Gasse eine akkurate Lösung sein.

Matthias Wolff ist seit 1991 für den Beratungsdienst ökologischer Weinbau in Freiburg im Breisgau tätig. Dem Verein gehören rund 200 Winzer vorab aus Baden-Württemberg an. Die Beratungen des ausgewiesenen Experten für Bodenfruchtbarkeit, Weinbergbegrünung und Pflanzenschutz im biologischen Weinbau sind auch im Ausland gefragt.

Begrünte Böden brauchen also mehr Wasser als unbegrünte?
Nicht zwingend. Jeder Fall muss individuell beurteilt werden. Offene, nackte Böden erwärmen sich schneller und haben dadurch eine höhere Verdunstung. Ein Boden, der beispielsweise mit einer niedergewalzten Begrünung bedeckt ist, hat vielfach einen wesentlich geringeren Wasserverbrauch. Aber das ist in der Praxis leider noch nicht richtig durchgedrungen und stösst manchmal auch auf Ungläubigkeit.

Mittlerweile sind viele Weinberge begrünt, auch konventionell bewirtschaftete. Ist begrünt immer gut, oder gibt es da Unterschiede?
Da gibt es ganz klare Unterschiede. Ich unterscheide zwischen der Begrasung, die fast nur aus Gräsern besteht, und der Begrünung mit Kräutern, Blumen und Leguminosen wie Klee, Wicken, Ackerbohnen und Erbsen. Gräser haben die Eigenschaft, dass sie für die Reben eine viel grössere Wasser- und Nährstoffkonkurrenz darstellen als eine Begrünung, die mehrheitlich aus Kräutern und Leguminosen besteht.

Ist letztlich nicht jede Begrünung irgendwie auch eine Konkurrenz zur Rebe?
Es gibt genügend Pflanzen wie die erwähnten Leguminosen, die in der Lage sind, aus der Luft Stickstoff zu sammeln und so an die Rebe abzugeben, dass man den Stickstoffdüngersack getrost weglassen kann. In trockenen Regionen ist die Gefahr von Nährstoffkonkurrenz grösser. Aber auch hier lässt sich das Problem mit einer optimalen Pflanzenauswahl und dem gezielt gewählten Zeitraum der Begrünung gut lösen.

Eine Standardbegrünung für alle Weinberge gibt es demnach nicht?
Nein, die gibt es nicht. Die Begrünung muss auf die Region, den Boden und das Klima abgestimmt sein. Überall kann man dabei auf gewisse Erfahrungswerte zurückgreifen. Wegen des herrschenden Klimawandels sind wir aber auch gezwungen, immer wieder auszuprobieren, welche Pflanzen sich eignen und keine Konkurrenz zur Rebe darstellen.

Bekannt sind Ihre «Wolff-Mischungen». Wie viele gibt es davon?
Es gibt eine Grundmischung, die ich seinerzeit für meine rund 200 Winzer zusammengestellt habe, die ich berate. Diese Winzer kommen mehrheitlich aus Baden-Württemberg und arbeiten auf eher alkalischen Böden mit hohem pH-Wert. Zusätzlich habe ich eine zweite Spielart für südliche Regionen kreiert, wo die Böden eher sauer sind. Pflanzen haben ja ganz bestimmte Standortansprüche, insbesondere muss auch der pH-Wert berücksichtigt werden. Ich verstehe meine Mischungen als Grundlage, die man individuell anpassen kann.

Wie wichtig ist die Begrünung als Element der von Delinat zur obersten Maxime erklärten Biodiversität?
Sehr wichtig. Im biologischen Weinbau verträgt es meiner Meinung nach keine Monokultur. Wenn ich mit einer Begrünung zu einer Mischkultur beitrage, ist das eine gute Möglichkeit, die Biodiversität zu verbessern.

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Gibt es auch Nachteile einer Begrünung?
Nein, sofern ich keine Fehler mache in der Auswahl der Pflanzen. Aber man kann eben auch Fehler machen. Wenn ich stark zehrende Pflanzen für humusarme Böden wähle, kann die Begrünung zur unnötigen Konkurrenz für die Rebe werden. Oder wenn ich auf gut versorgten Böden stickstofffördernde Pflanzensamen aussähe, kann es zu einer Überversorgung der Rebe mit Stickstoff und somit zu Fäulnis bei Trauben kommen.

Wie kommt der Winzer zum ganz spezifischen Begrünungswissen für seine Böden?
Einfach und wirkungsvoll ist gutes Beobachten. Als Winzer habe ich es nur mit einer Kultur zu tun, das ist die Weinrebe. Diese Pflanze muss ich beobachten, ich bin ihr Hirte, betreue sie. Einer Rebe sieht man sehr genau an, wie es ihr geht. Ob sie Wassermangel hat oder ob Nährstoffmangel vorliegt. Hilfreich sind aber auch Bodenanalysen. Über das Begrünungsmanagement, das auf dem Beobachten und allenfalls auf Bodenanalysen basiert, habe ich als Winzer genügend Möglichkeiten, einzugreifen.

Wirkt sich eine Bodenbegrünung in irgendeiner Art und Weise auch auf den Wein aus?
An eine direkte Auswirkung glaube ich nicht. Aber wenn ich mittels Begrünung die Bodenfruchtbarkeit so verbessere, dass die Wurzeln der Rebe sich vielfältiger und optimaler entwickeln, kann ich Begriffe wie «Terroir» ernst nehmen. Im Sinne von Terroir kann sich die Begrünung also indirekt auf den Weingeschmack auswirken.

Wie definieren Sie Terroir?
Zum Terroir gehören die Eigenschaften des Bodens, das regionale Klima, das Jahresklima, aber auch die Arbeit des Winzers. Meiner Meinung nach ist Terroir nur im biologischen Weinbau möglich. Reben, die mit wasserlöslichem Stickstoff ernährt werden, sind nicht in der Lage, Terroir auf den Wein zu übertragen. Die Rebe muss von sich aus eine Verbindung zum Boden und zum Bodenleben aufbauen. Nur so können die Böden einen konkreten und spürbaren Einfluss auf den Wein haben. Aber auch das Tun und Lassen des Winzers darf man diesbezüglich nicht unterschätzen.

Winzerseminar zur Begrünung

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Zur Förderung der Biodiversität und eines funktionierenden ökologischen Kreislaufs im Rebberg verlangen die strengen Delinat-Richtlinien eine gezielte, möglichst ganzflächige und ganzjährige Begrünung der Weinbergböden. Die optimale Begrünungsstrategie stellt für jeden Winzer eine grosse Herausforderung dar, weil sie sich von Region zu Region unterscheidet und von vielen Faktoren abhängig ist.

Am diesjährigen Delinat-Seminar für deutschsprachige Winzer auf dem Weingut Zur Römerkelter an der Mosel stand das Thema Begrünung im Fokus. Hauptreferent war der deutsche Ökoweinbauberater Matthias Wolff, der europaweit als Koryphäe für die Spezialgebiete Bodenfruchtbarkeit, Weinbergbegrünung und biologischer Pflanzenschutz gilt.

Die Magie des Terroirs

Riesling schafft es wie keine andere Weissweintraube, im Wein seine Herkunft zu verraten. Vorausgesetzt, der Winzer pfuscht der Natur nicht ins Handwerk. Nabel der Riesling-Welt ist Deutschland. Fünf Delinat-Winzer erzählen, wie sie die Magie des Terroirs ins Glas bringen.

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Viele sprechen von Terroir, ohne zu wissen, was es ist», sagt Hansjörg Rebholz vom Weingut Ökonomierat Rebholz in Siebeldingen in der Pfalz. Er gehört zu den renommiertesten deutschen Riesling-Erzeugern und setzt sich intensiv mit den Themen Terroir und Mineralität auseinander. Das zeigt sich schon im Verkostungsraum, wo er seine Gäste empfängt. Hier hängen die verschiedenen Bodenprofile seiner Rebberge als Kunstwerke an der Wand: Muschelkalk, Buntsandstein, roter Schiefer, Löss und Lehm. «Terroir ist wissenschaftlich betrachtet nicht schmeckbar. Aber der Boden, die Mikrobiologie, die Hefen, die Lage und das Klima haben einen grossen Einfluss auf den Wein», erklärt Rebholz. Ebenso gross ist jedoch der Einfluss des Winzers. Je stärker er der Natur den Vorrang lässt, desto ausgeprägter kommt das Terroir im Wein zum Ausdruck. Hansjörg Rebholz hat deshalb klare Prinzipien: Das Wichtigste für authentische Terroir-Weine sind für ihn Trauben mit perfekter physiologischer Reife. Die erreicht man gemäss seinen Erfahrungen am besten mit biodynamischer Bewirtschaftung. Je trockener ein Riesling ausgebaut wird, desto purer ist er in der Nase und umso besser lassen sich Terroir und Mineralität abbilden. Ein schönes Beispiel dafür ist sein Spitzengewächs Ökonomierat Rebholz Riesling Ganz Horn. Die Reben gedeihen auf kargen Verwitterungsböden aus Buntsandstein und etwas Muschelkalk. Sie ergeben nur wenig Ertrag, was die Ausprägung der Aromen begünstigt. Der Wein hat einen ausgesprochen individuellen Charakter mit den für Buntsandstein typischen Fruchtaromen von Pfirsich, Aprikose und Apfel.

Böden mit Muschelkalk enthalten Spuren, die über Millionen Jahre zurückreichen.
Böden mit Muschelkalk enthalten Spuren, die über Millionen Jahre zurückreichen.

Perfekte Traubenreife

Alex Pflüger
Alex Pflüger, Weingut Pflüger, Pfalz.

Ebenfalls in der Pfalz, etwas weiter nördlich in Bad Dürkheim, ist Alex Pflüger zu Hause. Seine Riesling-Reben gedeihen auf ähnlichen Böden: Neben Buntsandstein dominieren im Wechselspiel rote und weisse Kalksteinböden. «Mit gutem, präzisem Handwerk nach biodynamischen Richtlinien versuchen wir, das gesamte natürliche Umfeld im Wein einzufangen», beschreibt er seine Arbeitsweise. Das A und O sind auch für Pflüger perfekt gereifte Trauben aus ökologisch intaktem Umfeld: «Hat man fantastisches Traubengut, besteht die grösste Kunst des Kellermeisters darin, es nicht kaputtzuverarbeiten.» Pflüger-Rieslinge sind fast immer trocken ausgebaut. So wirkt sein Riesling Herrenberg Terrassen puristisch und präzise, dank milder Säure und exotischen Duftnoten gleichzeitig elegant und blumig.

Der nackte Wahnsinn

Timo Dienhart
Timo Dienhart, Weingut zur Römerkelter, Mosel.

«Die Aura des Terroirs ins Weinglas zu bringen, gehört für mich zu den schönsten Herausforderungen eines Winzers», sagt Timo Dienhart vom Weingut zur Römerkelter an der Mosel. Wie geht das? «Indem ich die natürlichen Kräfte nutze», sagt er auf dem Weg zum Honigberg, wo uns gewahr wird, dass sich seine Weingärten von jenen des konventionell wirtschaftenden Nachbarn wie Tag und Nacht unterscheiden. «Bei meinem Nachbarn sieht man zwar eindrucksvoll die typischen Schiefersteine. Aber das ist der nackte Wahnsinn. Die stark abfallenden, unbegrünten Böden sind schutzlos der Witterung und damit der Erosion ausgesetzt. Humus und Nährstoffe werden einfach weggebrannt, ausgewaschen und weggeschwemmt.» In den Weinbergen von Timo Dienhart dagegen ist vom Schiefer wenig zu sehen. Er verbirgt sich unter einem üppigen Pflanzenteppich. Die selbstkreierte Kräuterbegrünung mit rund 20 verschiedenen Pflanzen reguliert den Wasserhaushalt, schützt die Reben vor Erosion und versorgt sie mit wertvollen natürlichen Nährstoffen. «Auch der Einbezug biodynamischer Kriterien ist mir sehr wichtig. Nur so gelingen Weine mit bestem Trinkfluss und vollendetem Genuss», sagt Timo Dienhart. So kommt etwa bei seinem Riesling vom Schiefer, einem leichtfüssigen Gaumentänzer, das Terroir unter anderem in Form von ausgeprägter Mineralität zur Geltung.

Biodiversität stärkt Terroir

Tobias Zimmer, Weingut Hirschhof, Rheinhessen.
Tobias Zimmer, Weingut Hirschhof, Rheinhessen.

Auf dem Weingut Hirschhof in Rheinhessen erzeugt das Winzerpaar Ellen und Tobias Zimmer nach den aktuellsten Erkenntnissen des biologischen Weinbaus authentische Weine. Einer davon ist der exklusiv für Delinat gekelterte Riesling Terra Rossa. Mit einem Anteil von gut einem Drittel ist Riesling auf dem Hirschhof die wichtigste Traubensorte. «Die Sorte reagiert stark auf verschiedene Böden. Der Riesling ist deshalb gut geeignet, um das Terroir herauszuarbeiten», ist Tobias Zimmer überzeugt. Als ideal für Riesling bezeichnet er Böden mit hohem Gesteinsanteil. «Löss und Sand sind weniger geeignet, da in diesen kaum Mineralien stecken.» Einen wichtigen Einfluss auf das Terroir hat für Tobias Zimmer die Biodiversität innerhalb eines Weinbergs. «Wenn sich die Reben gegen andere Pflanzen behaupten müssen, sind sie stärker und widerstandsfähiger. Sie wurzeln tiefer und kommen so besser an die verschiedenen Mineralien heran.» Wie vielerorts in Rheinhessen sind die Hirschhof-Böden von Kalkstein geprägt. «Riesling aus Rheinhessen und aus der Pfalz unterscheiden sich relativ wenig – ganz im Gegensatz etwa zum Mosel-Riesling von Schieferböden», so Tobias Zimmer.

Zwei Güter – zwei Terroirs

Schieferboden prägt die erstklassige Hanglage Pettenthal in Rheinhessen.
Schieferboden prägt die erstklassige Hanglage Pettenthal in Rheinhessen.

Wie stark sich der Riesling vom Boden beeinflussen lässt, weiss kaum jemand besser als Oliver Spanier und Carolin Spanier-Gillot. 2006 haben die beiden geheiratet und je ein Weingut mit in die Ehe gebracht: Carolin den von ihren Eltern übernommenen Betrieb Kühling- Gillot in Bodenheim unweit von Mainz und Hans-Oliver Spanier sein Gut Battenfeld- Spanier in Hohen-Sülzen bei Worms. Beide Weingüter gehören zu den renommiertesten in Rheinhessen. Die Reben wachsen auf völlig verschiedenen Böden und Lagen: jene von Kühling- Gillot auf steilen Hängen mit Rotschiefer direkt über dem Rhein, die von Battenfeld-Spanier auf hügeligen Kalksteinböden.

Oliver Spanier, Weingut Battenfeld-Spanier, Rheinhessen.
Oliver Spanier, Weingut Battenfeld-Spanier, Rheinhessen.

Hans-Oliver Spanier ist für die Produktion beider Weinlinien zuständig. Nichts bereitet dem bekennenden Biodynamiker mehr Freude, als die Eigenheiten des Terroirs auf die Weine zu übertragen. «Wir machen eigentlich Naturweine, verzichten auf Eingriffe und Schönung», sagt er. Die Unterschiede der beiden Weinlinien sind terroirbedingt markant. Der auf Kalkstein reifende Battenfeld Riesling Salamander ist geprägt von fruchtigen Aromen (Limetten und Grapefruit), feiner Mineralität und kräftigem Körper. Beim Grossen Gewächs Kühling-Gillot Riesling Pettenthal sorgen der steinige Schieferboden, die steile Lage, die optimale Sonneneinstrahlung und das vom Rhein beeinflusste Klima für ganz andere Aromen: Mandeln, Tabak und Würze harmonieren mit fein ziselierter Säure und Mineralität.

 

 

Terroir

Alles spricht vom Terroir, also vom Boden, auf dem die Reben stehen. Viele meinen damit auch Klima und Topografie, Rebsorten und Jahrgang und manche sogar die Art der Weinbereitung und das Geschick des Winzers. Betrachten wir die Elemente Topografie, Klima und Böden: Besonders eindrücklich sind die Rebhänge entlang der Mosel, im Wallis, im spanischen Priorat oder im portugiesischen Dourotal. Offensichtlich spielt die Topografie im Weinbau eine wichtige Rolle. Reben an Hängen liefern meist bessere Trauben als in der Ebene; doch ab 500 bis 800 Meter über Meer wird es rasch zu kühl, die Trauben können nicht ausreifen – mit wenigen Ausnahmen wie die bis zu 1150 Meter über Meer gelegenen Weinberge von Visperterminen im Wallis.

Eines der Geheimnisse für guten Wein liegt in mineralhaltigem Gestein und lebendigen Böden.
Eines der Geheimnisse für guten Wein liegt in mineralhaltigem Gestein und lebendigen Böden.

Der Boden im Hang ist meist eher mager, bei beschränktem Nährstoffangebot wachsen die Reben langsamer, ideal für Qualitätsweine. Dank kräftiger Thermik ist die Luft im Hang nachts wärmer als in der Ebene: Die Reben sind länger vor Frost geschützt. Zudem trocknen Hanglagen nach Regen rasch ab, Staunässe in der Ebene geht den Rebwurzeln ans Leben. Ideal sind in nördlichen Weingebieten sonnenverwöhnte Südhänge. Mit der Klimaerwärmung mag sich das ändern; schon heute pflanzen Winzer im Mittelmeerraum ihre Reben an suboptimalen Lagen, um so früh- und überreife Trauben zu verhindern. Hanglagen haben auch Nachteile: Die Erde rutscht bei starkem Regen in die Ebene, zudem sind solche Böden meist arm an Nährstoffen, gut für die Traubenqualität, aber schlecht für den Ertrag. Nahrhafte Böden liegen meist im Flachen; hier liefern die Reben mehr Trauben, und daraus lassen sich bequem Massenweine erzeugen, die aber im Keller auf trinkig getrimmt und mit schönen Etiketten geschminkt werden müssen. Beträchtlich ist auch der Arbeitsaufwand in Hängen, es können weniger Maschinen eingesetzt werden. Diese Weine kosten dann zwei, drei Euro mehr, bieten aber auch mehr Weingenuss.

Sonne, Wind und Regen

Das Makroklima umfasst den langfristigen Witterungsverlauf einer ganzen Region, das Mikroklima ein Gebiet von wenigen hundert Metern mit gleichen Temperaturen, Niederschlägen und Sonnenscheindauer. «Sonnengereift» gilt als begehrtes Attribut, obwohl auch Reben unter Sonnenbrand leiden können. Hochwillkommen ist Sonne zu Beginn des Reifeprozesses der Trauben, meist im August. Jetzt bilden sich in den Traubenbeeren Zuckerreserven, die später in Geschmack und Aroma umgewandelt werden. Gerade in südlichen Weinbauregionen sollte es aber nicht konstant warm sein; das lässt die Trauben zu rasch reifen. Die Folge sind einfache Weine mit wenig Aroma. Kühle Nachttemperaturen hingegen fördern fruchtige Aromen. Wind trocknet nach einem Regen die Reben und verhindert so Pilzkrankheiten. Doch starker, kalter Wind verringert den Ertrag und verzögert die Traubenreife, was in kühleren Regionen problematisch ist.

Guter Stress

Reben kommen mit wenig Wasser aus, meist genügen 400 bis 500 Millimeter pro Quadratmeter und Jahr – sofern der Boden das Wasser speichern und später wieder freigeben kann. Leichter Wasserstress, also ein zeitweiser Mangel an Wasser, wirkt sich sogar günstig aus: Rotweintrauben werden besser, wenn es beim Farbumschlag (véraison) ab Juli/August nur selten regnet, denn Regen fördert das Wachstum der Triebe und Blätter und lässt im Extremfall die Beeren anschwellen oder gar platzen.

Wenn sie müssen, suchen sich Reben mit bis zu sechs Meter langen Wurzeln das Wasser in der Tiefe; zum Beispiel bei sehr mageren oder wasserdurchlässigen Böden wie in den Kies-Sand-Böden des Médoc (Bordeaux) oder in heissen, trockenen Regionen wie in Südspanien. In humosem Boden sind Wurzeln von 50 bis 100 Zentimeter Länge ein Vorteil. Solche Reben produzieren wenige Trauben von guter Qualität.

Steiniger Weg zum Genuss

Auf Schiefer gedeihen leichte, elegante und rassige Weine.
Auf Schiefer gedeihen leichte, elegante und rassige Weine.

Topografie und Klima beeinflussen also die Traubenqualität. Ebenso wichtig ist der Boden. Reben nehmen Spurenelemente und Minerale aus dem Boden auf. Heute kann aufgrund der Inhaltsstoffe einer Traube nachgewiesen werden, aus welchem Rebberg sie stammt. Doch schmecken Weine je nach Boden anders? In der Sendung «Quarks & Co.» des WDR wurde eine Studie des Weinforschungszentrums Rheinpfalz vorgestellt: 24 auf unterschiedlichen Böden gewachsene Rieslinge. Es zeigte sich, dass Weine, die vom selben Ausgangsgestein kommen, sehr ähnlich schmecken, verschiedene Gesteine aber deutlich unterschiedliche Weine hervorbringen können. Ein Riesling auf Schiefer ist oft rassiger als einer aus Kalk-Ton-Böden mit eher erdigen Noten. In schlechten Weinjahren stellt man zudem fest, dass einige Weinberge bessere Weine hervorbringen als andere – bei gleichem Klima und gleichen Rebsorten, bei identischer Pflege der Weinberge und Art der Weinbereitung. Es muss also am Boden liegen.

Hell oder dunkel?

Steinige Böden sehen unwirtlich aus, haben aber einen positiven Einfluss auf die Reben. Meist sind solche Böden wasserdurchlässig und gut belüftet. Helle Steine reflektieren die Sonnenstrahlen auf die Blattunterseiten. Steine nehmen tagsüber Wärme auf und geben sie nachts langsam ab. Humus-, Lehm- oder Tonschichten unter den Steinen speichern das Wasser. Berühmt sind die kiesigen Kuppen über tonhaltiger Erde in den Weinbergen von Château Cheval Blanc und Figeac in Saint-Émilion. Dunkles Basaltgestein oder dunkelgrauer Schiefer absorbieren Sonnenwärme und strahlen sie nachts wieder ab, reflektieren aber weniger Licht auf die Blattunterseite als helle Böden. Gut geeignet sind auch kalkhaltige Böden, sie liefern mitunter die besten, körperreichsten Weine, beispielsweise in der Rioja, im Bordeaux, Chablis und der Toskana. Ebenso finden wir Muschelkalk in guten Rieslinglagen, wobei auch Schiefer und selbst Lössböden dieser Rebsorte behagen.

Kalkgestein sorgt für eine gute Säurekonzentration in den Trauben.
Kalkgestein sorgt für eine gute Säurekonzentration in den Trauben.

Ideal für den Weinbau sind steinige, wasserdurchlässige Böden, mager, aber mit genügend mineralischen Elementen; eher neutral, denn in sauren Böden ist Phosphor für die Reben schlechter verfügbar, gleich wie Eisen und Mangan in basischen Böden – wichtige Bausteine für die Entwicklung gesunder Reben. Die besten Weine stammen aus nicht zu fruchtbaren Böden mit der minimal benötigten Menge Wasser.

Alles bio oder was?

Grosse SteineBegrünte Weinberge gelten oft als bio. Doch auch überzeugte Niemalsbiowinzer lassen es zwischen den Reben grünen – meist jedoch bloss Gras, um so die Böden vor Erosion zu schützen. Sinnvoll ist aber eine abgestimmte Begrünung mit Leguminosen, Gräsern, Kreuzblütlern und vielen mehr. Solche Weinberge enthalten doppelt so viele Nützlinge. In den obersten 30 Zentimetern des Bodens leben Milliarden von Bakterien und Pilzen, Millionen von Algen, Einzellern, Fadenwürmern – und pro Quadratmeter Hunderte von Springschwänzen, Regenwürmer, Tausendfüssler und Käfer sowie rund 50 Asseln, Spinnen und Schnecken. Mikroorganismen wandeln die organischen Stoffe um in Humus. Humus ist wichtig für die Bodenstruktur; er verbessert die Belüftung und das Wasserspeichervermögen.

Nicht das grüne Gras zwischen den Reben zeugt vom biologischen Weinbau, erst der Aufbau eines reichhaltigen Bodenlebens mit natürlichen Mitteln verdient diesen Namen. Chemisch-synthetische Pestizide reduzieren dagegen das Bodenleben. So finden sich auf den Trauben kaum noch natürlich vorkommende Hefen, welche die Vergärung im Weinkeller von sich aus starten. Der Kellermeister muss Zuchthefen einsetzen. Studien haben gezeigt, dass spontan vergorene Weine meist mehr Glycerin und Zucker enthalten, teilweise auch mehr Aromastoffe.

In den letzten Jahren verbreiterte sich die Spitze der Weinerzeuger deutlich. Wie kann sich heute ein Winzer noch verbessern? Er kennt die besten Weintrauben, ebenso ihre optimale Pflege; die Möglichkeiten der Kellertechnik sind ausgeschöpft. Grosses Verbesserungspotenzial liegt aber im Boden. Das erkennen immer mehr Spitzenwinzer. Sie stellen um auf biologischen oder biodynamischen Anbau, sie fördern die Humusbildung, die Vermehrung von Nützlingen und Mikroorganismen – und sie verzichten auf chemisch-synthetische Pestizide. Ihr Ziel sind terroirgeprägte Weine, nicht nur als Schlagwort, sondern erlebbar im Glas.