Wein beschreiben leicht gemacht

Profis beschreiben Weine oft wortgewaltig – mit grenzenloser Fantasie. Normalen Weingeniessern hingegen fällt es meist schwer, einen Wein in Worte zu fassen. Wie schmeckt dir der Wein? «Hm, lecker.» Für eine ausführlichere Beschreibung braucht es bloss ein paar Anhaltspunkte.

Eine kurze Weinnotiz ermöglicht es dem Geniesser, Weine zu kategorisieren: «Dieser Rotwein ist unheimlich dunkel, beinahe schwarz, aber in der Nase überrascht er mit einer frischen Frucht, und am Gaumen ist er warm, beinahe süsslich, angenehm weich mit einer erfrischenden Säure. Ein harmonischer Wein, der mir sehr gefällt.»

Für eine einfache Beschreibung reicht es, sich auf vier Eigenschaften des Weins zu konzentrieren: Aromen, Süsse, Säure, Tannin. Gefragt ist Harmonie. Doch gerade Weine mit Lagerpotenzial fallen in ihrer Jugend auf durch Säure und Tannin. (Auf Bild Klicken zum Vergrössern)
Für eine einfache Beschreibung reicht es, sich auf vier Eigenschaften des Weins zu konzentrieren: Aromen, Süsse, Säure, Tannin. Gefragt ist Harmonie. Doch gerade Weine mit Lagerpotenzial fallen in ihrer Jugend auf durch Säure und Tannin. (Auf Bild Klicken zum Vergrössern.)

Wie gelangen wir zu dieser Degustationsnotiz? Um einen Wein beschreiben zu können, müssen wir uns konzentrieren. Ein, zwei ruhige Minuten sind schon nötig. Vor der eigentlichen Degustation sagt uns ein kurzer Blick ins Glas, ob der Wein optisch einwandfrei ist: Farbe, Glanz, Dichte und Klarheit – hier also «dunkles Rot, beinahe schwarz».

Riechen und schmecken

Die Aromen nehmen wir vielfältig wahr: Ein erstes Schnuppern am ungeschwenkten Glas lässt uns die feinflüchtigen Aromen entdecken. Nach kurzem Schwenk entströmen dem Glas weitere Düfte. Ob wir gleich die Früchte und Blumen benennen wollen, ist Ansichtssache; hier notieren wir «frische Frucht».

Den Geschmack eines Weines prüfen wir mit Zunge und Gaumen. Hier sind es vor allem Süsse, Säure und Tannin (herb-bitter), die auffallen. Die zwei anderen Geschmackseindrücke Salz und Umami spielen bei Wein eine untergeordnete Rolle. Umami ist ein fleischähnlicher Geschmack, bekannt auch aus asiatischen Gerichten (Glutamat).

Süsse muss nicht unbedingt Zucker bedeuten. Auch Alkohol, zum Beispiel Glyzerin, wirkt süsslich oder hier «warm, beinahe süsslich». «Angenehm weich» lässt auf feine, reife Gerbstoffe (Tannin) schliessen – im Gegensatz zu rauen Gerbstoffen von jungen Lagerweinen. Meist an den hinteren Zungenrändern spüren wir die Säure eines Weines: kaum merklich, frisch, rassig oder gar sauer? In unserem Beispiel stellen wir eine «erfrischende Säure» fest.

Wein weckt Gefühle

Am Gaumen registrieren wir auch Empfindungen, die nicht primär dem Geschmack zugeordnet werden: Temperatur und taktile Eindrücke wie kratziges Tannin, Feststoffe im Wein (Weinstein, ausgefällte Gerbstoffe). All dies fassen wir nun zum Gesamturteil zusammen: Dieser Rotwein ist unheimlich dunkel, beinahe schwarz, aber in der Nase überrascht er mit einer frischen Frucht, und am Gaumen ist er samtig weich mit einer angenehmen Säure. Die feinen Gerbstoffe spürt man erst nach ein paar Sekunden – ein harmonischer Wein, der mir sehr gefällt.

Aus dem «lecker» ist nun eine anschauliche kurze Beschreibung geworden. Sie hilft uns, Weine zu kategorisieren. Beispielsweise in dunkle Weine (Südeuropa oder dunkle Traubensorten wie Tempranillo, Nero d’Avola, Dornfelder, Tannat) und eher helle Rotweine (z. B. Pinot Noir). Frische Frucht lässt auf einen jungen, einwandfrei vinifizierten Wein schliessen. Samtig weich am Gaumen sind gehaltvolle Weine, meist schon ein paar Jahre gelagert – und sicher keine billigen Schnäppchen. Sind Süsse, Säure und Tannin im Gleichgewicht, sprechen wir von einem harmonischen Wein. Diese Degustationsnotiz speichern wir in unserem Hirn, zusammen mit dem Wein, hier könnte es ein guter Nero d’Avola aus Sizilien sein. Nach einem halben Dutzend solcher Weinbeschreibungen verfügen wir schon über ein Wissen, das uns die Weinauswahl wesentlich erleichtert: Wissen macht Spass.

Falls Ihnen dieser Artikel gefallen hat, legen wir Ihnen den Delinat-DegustierService ans Herzen. Dieses Weinabo bietet regelmässig neue Weine aus den ökologisch wertvollsten Rebbergen Europas. Die feinen Tropfen aus reicher Natur bieten nicht nur höchsten Genuss, sondern eignen sich dank mitgelieferten Hintergrundinfos zu Wein und Winzer sowie einem Kapitel zu unterschiedlichen Weinwissen-Themen auch hervorragend, um das gekonnte Beschreiben von Weinen regelmässig zu üben und den eigenen Weinhorizont zu erweitern. Alle Infos zu unseren verschiedenen Weinabos finden Sie unter: www.delinat.com/weinabo.

(Hinweis: Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der 37. Ausgabe der «WeinLese». Das Delinat-Kundenmagazin erscheint 4x pro Jahr und ist Bestandteil des Weinabos «DegustierService Rotwein».)

Die Stilfrage beim Weisswein

«Leicht und fruchtbetont» – «ausdrucksstark und komplex». So lassen sich Weissweine grob unterteilen. Innerhalb der beiden Kategorien gibt es verschiedene spannende Weinstile. Einige davon stellen wir hier vor.

Welche Faktoren prägen einen Wein? Das ist eine häufig gestellte Frage bei Degustationen und Weinkursen. Das Thema ist komplex, und die Faktoren, die einen Wein prägen, sind vielfältig. Basis eines jeden Weinstils ist gesundes und vollreifes Traubengut. Aus der Traubensorte sowie den unterschiedlichen Einflüssen wie Klima, Boden, Erntezeitpunkt, Selektion, Hefen, Vinifikation und Ausbau ergibt sich der Weinstil. Hier fünf Weissweine mit unterschiedlicher Stilistik.

Fruchtig mit milder Säure

Die Rebsorte Grillo hat Ihren Ursprung in Apulien. Nachdem die Reblauskatastrophe im 19. Jahrhundert einen Grossteil der heimischen Reben auf Sizilien ausgerottet hatte, bestockten die sizilianischen Weinbauern grosse Flächen neu mit den widerstandsfähigen Grillo-Weinstöcken, die aufgrund ihrer Robustheit das heisse Klima hervorragend vertrugen. Die Weine aus der Grillo-Traube sind fruchtig und vollmundig und ihre Aroma erinnert an Zitronen und Orangen mit einem Hauch Muskat.

Beispiel:

Rasula Grillo

Der fruchtige Sizilianer eignet sich hervorragend zu einer bunten Antipasti-Platte.

Intensiv aromatisch mit prägender Säure

Sauvignon Blanc ist eine weltweit verbreitete, aromatische Traubensorte mit präsenter Säurestruktur, die schon alleine zahlreiche Weinstile hervorbringt. Die Klassiker kommen aus dem französischen Loiretal, während Beispiele aus der Neuen Welt, etwa aus Neuseeland, oft durch intensive Frucht und grasige Aromen auffallen. Zwischen diesen Polen erfreuen sich Gewächse mit intensiven Aromen und schön prägnanter Säure – wie aus dem Languedoc – grosser Beliebtheit.

Beispiel:

Maison Coulon Sauvignon Blanc

Dieser Sauvignon Blanc aus der Region Pays d‘Oc glänzt mit Aromenvielfalt und schönem Säuregerüst.

Aromatisch und leicht mineralisch

Die alte Rebsorte Marina Rión wurde von Josep Maria Albet i Noya wiederentdeckt. Die autochthone Rebsorte erinnert leicht an Riesling. Sie ist säurebetont mit dezenten mineralischen Anklängen. Die Mineralität ist auf die Lehm- und Kalkböden des Penedès zurückzuführen. Der Name Marina Rión ist eine Hommage an die Urgrossmutter von Josep Maria Albet i Noya.

Beispiel:

Albet i Noya Rión

Die robuste Rebsorte Marina Rión spiegelt die Böden des Penedès wieder und passt sehr gut zu Weichkäse und leichten Fischgerichten.

Intensiv aromatischer Wein

Die natürlichen Traubenaromen, die sogenannten Primäraromen, sind in der Traube enthalten. In der Mehrzahl handelt es sich um fruchtige, blumige und würzige Noten in unterschiedlicher Ausprägung. Diese können bereits am Rebstock, kurz vor der Ernte, gerochen und geschmeckt werden. Der Gewürztraminer ist ein sehr aromatischer Vertreter mit seinen Düften von Muskat, Rosenblättern und exotischen Früchten. Der Viña Llopis ist ein mediterraner Vertreter, der zusätzlich mit seiner Frische Punkten kann.

Beispiel:

Viña Llopis

Diese aromatische Spanier passt hervorragend zu gereiften Schafskäse oder einer Tapasauswahl.

Komplex und ausdruckstark

Zur Gärung braucht jeder Wein Hefen – ohne Hefen bleibt es Traubenmost. Allerdings gibt es zahlreiche Hefestämme, und jeder hat seine Eigenarten – nicht immer nur positive. Der Weinstil hängt also auch von der richtigen Hefe ab. Man unterscheidet zwischen Reinzuchthefen und natürlichen Hefen. Beide prägen die sogenannten Sekundäraromen. Delinat-Winzer verwenden mehrheitlich nur natürliche Hefen. Diese ergeben charaktervolle und komplexe Weine, weil die Hefekulturen im Weinberg nicht nur aus einem Hefestamm, sondern aus mehreren wilden Stämmen bestehen. Jeder einzelne prägt den Weinstil. In Weinbergen, die mit Pestiziden und Fungiziden behandelt wurden, ist keine Hefevielfalt mehr vorhanden. Auch die Gärung in unterschiedlichen Gebinden wie Stahl, Beton oder Holz prägt den Weinstil.

Beispiel:

Domaine Mon Rêve Le Blanc

Die verschiedenen Traubensorten für diese Cuvée werden separat mit Naturhefen vergoren. Durch gekonnten Ausbau entsteht ein komplexer, harmonischer Wein.

Probieren geht über Studieren

Wir haben hier nur die wichtigsten Faktoren gezeigt, die den Weinstil bei einem Weisswein prägen. Es handelt sich stets um einen fortlaufenden und individuellen Prozess. Letztlich beginnt es mit der gesunden Traube, geht über das Klima und die Böden, die Vinifikation und den Ausbau bis hin zum Winzer, der entweder traditionell oder innovativ denkt. Denn nicht zuletzt werden Weinstile auch durch Trends geprägt und miteinander vermischt.

Mein Tipp: Mit unserem Weinabo «Weisswein» erhalten Sie regelmässig Tropfen mit unterschiedlicher Stilistik. Oder besuchen Sie einen unserer Weinkurse, zum Beispiel. den Delinat-Rebsortenkurs «Typisch Merlot, Chardonnay & Co.».

Weniger ist mehr

«Unbändige Kraft wie von einem bengalischen Tiger beim Angriff.» Eine kuriose Weinbeschreibung kann Interesse wecken – aber auch abschrecken. Degustationsnotizen sind als Hilfe gedacht, führen aber oft in kryptische Dunstwolken.

Weine sind vielfältig mit entsprechend unterschiedlichen Eigenschaften. Wo Herkunft, Traubensorte, Jahrgang und Preis nicht genügen, versehen Weinhändler ihr Angebot oft mit einer kurzen Beschreibung als Entscheidungshilfe für den Kauf: «sehr geschmeidig, stoffig.» Doch kann sich der Laie unter «stoffig» etwas vorstellen? Und was ist wohl gemeint mit «am Gaumen sehr saftig und dicht mit hoher Struktur»? Von einem Getränk erwarte ich eh, dass es flüssig und somit saftig ist – aber in welche Gläser füllt man einen Wein mit hoher Struktur? Und riecht ein Wein nach «nassem Aschenbecher», verkehrt der Degustator wohl oft in dunklen Spelunken.

«Seidiger Gaumenfluss» und «kalter Rauch»

Die grosse Mehrheit der Kundinnen und Kunden verwendet ein ganz einfaches Vokabular, wenn sie einen Wein beschreibt: Der schmeckt mir, der passt, ein feiner Tropfen oder ein schöner Wein. Zu oft hört man auch ein banales «lecker». Oder dann «nichts für mich», «sauer», «schwer». Wäre es da nicht angebracht, dass auch Winzer und Weinhändler ihre Weine mit ähnlich einfachen Ausdrücken beschreiben? Oder ist es so, dass sich der Laie zwar einfach ausdrückt, wenn er einen Wein beschreiben muss, wortreiche Beschreibungen aber durchaus schätzt – und die Verfasser solcher Duftund Geschmacksorgien heimlich bewundert? «Karamellisierte Mandarinenschalen, seidiger Gaumenfluss » oder «kalter Rauch, Speck und dunkle Rosen mit getrockneten Veilchen» können durchaus die Fantasie anregen.

In Fachkreisen kam irgendwann einmal der Wunsch auf, Weine mit einheitlichen Begriffen zu beschreiben (siehe Infografik). Doch dem sind Grenzen gesetzt, denn nicht jede Person riecht und schmeckt dasselbe. Jancis Robinson schreibt in ihrem «Oxford Weinlexikon»: «Der Geruchssinn ist ein ausserordentlich persönliches Wahrnehmungsorgan, für das es keinen gemeinsamen, in klaren Normen fassbaren Massstab gibt. Es ist deshalb ratsam, bei Weinbeschreibungen nicht zu sehr ins Detail zu gehen, insbesondere bei Geruch und Geschmack: fruchtig, blumig, würzig genügt, einzelne Früchte, Blumen und Gewürze sind individuelle Eindrücke und nicht immer nachvollziehbar.» «Am Gaumen wilde schwarze und blaue Fruchtaromen» erschliesst uns eher den Charakter des Degustators als des Weines.

Weinsprache Infografik
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Fantasiegeplagte Verkoster

Fantasievolle Beschreibungen sollen Lust auf den Wein wecken. Das mag wohl gelingen, löst aber ebenso oft Kopfschütteln aus: Wer sich für einen Chardonnay zu 4.70 Franken mit «komplexem Körper, guter Struktur und feinem Abgang» überreden lässt, ist selber schuld. Genauso, wer beim «frischen Rosé mit Aromen voller Finesse » für 2.99 zugreift. Und «ein schlankes Kraftbündel, das wie eine Feder über die Zunge streicht» hinterlässt wohl manchen Leser sprachlos. Ob es sich beim «sagenhaft raffinierten Filigrantänzer, der schwerelos über die Zunge tänzelt» tatsächlich um einen Wein handelt und nicht eher um den fantasiegeplagten Verkoster, sei dahingestellt.

Erotik im Wein

Dass Wein auch erotisierend wirken kann, ist bekannt. Das bestätigen Degustationsnotizen wie «eng gewobener Körper, geschmeidige Muskeln», «agil, so richtig zischend, mit maskuliner Eleganz» oder gar «wollüstig reife Frucht». Wenig hilfreich ist auch die «vibrierende mineralische Spannung», die eher auf ein bevorstehendes Erdbeben hinweist. Voll und ganz einverstanden bin ich mit dem «wunderbar fröhlichen Wein», spätestens nach dem vierten Glas. Und endgültig die Endstation erreicht hat, wer sich an ein Glas des Weines wagt, bei dem es «am Gaumen bumm macht».

Begriffe, die verwirren, weil sie für uns nicht verständlich sind, führen zu negativen Gefühlen, einer sogenannt kognitiven Dissonanz. So kann eine an sich positive Weinbeschreibung dennoch vom Kauf abschrecken. Bleiben wir also dabei: Weniger ist mehr.

Falls Ihnen dieser Artikel gefallen hat, legen wir Ihnen auch den Beitrag «Wein beschreiben leicht gemacht» aus der WeinLese 37 ans Herzen.

Sinnvoll

Schmeckt der Wein? Von den fünf Sinneseindrücken sind Geschmack und Geruch die wichtigsten beim Beurteilen eines Weines. Doch die anderen drei Sinne tragen ebenso dazu bei, einen Wein mit all seinen Facetten zu erkennen und zu schätzen. Und wenn wir diese Sinneseindrücke bewusst wahrnehmen, geniessen wir intensiver, lernen dazu und erinnern uns beim nächsten Glas.

BrombeereVieles läuft automatisch. Wir betrachten eine Weinflasche: attraktives Etikett in Schwarz-Rot-Gold, Rioja, Jahrgang 2011. Die teflonbeschichtete Spirale des Pullparrot bohrt sich in den Korken; mit einem sanften Plopp verlässt dieser den Flaschenhals. Die Spannung steigt: Ruhig fliesst der rubinrote Saft, Fenster bildend, ins dünne, gewölbte Glas. Aha: jugendlich, aber gehaltvoll. Erwartungsvoll führt die Hand das Glas zur Nase: ein erstes Schnuppern, dann ein Schwenk, erneutes Schnuppern: Brombeeren, Schokolade und eine Spur Kaffee; grossartig. Zart berührt der dünne Glasrand die Unterlippe, und langsam füllt sich der Mund mit Wein: angenehm temperiert, saftig, feines Tannin und wieder Brombeeren, begleitet von einer feinen Rauchnote, die nach dem Schlucken lange nachklingt. Innert Sekunden haben wir mit unseren fünf Sinnen den Rioja Osoti erfasst. Selbst der Tastsinn ist beteiligt: Die Temperatur sowie allenfalls spürbare, leicht kratzige Gerbstoffe (Tannin) rechnen wir diesem Sinn zu.

Gedächtnistraining

OhrDie sensorischen Signale unserer fünf Sinne gelangen zur Grosshirnrinde, dem Cortex, einer zwei bis drei Millimeter dünnen, gefalteten Gewebeschicht an der Oberfläche des Gehirns. Von dort werden die Informationen weiterverarbeitet, doch nur ein kleiner Teil dringt in unser Bewusstsein vor, nur die im Moment wichtigen und interessanten Informationen. Sitzen wir mit Freunden zusammen, plaudern und essen, dann werden diese Weineindrücke übertönt von der Flut anderer Sinneseindrücke um uns herum. Degustieren wir einen Wein jedoch aufmerksam, nehmen wir ihn genauer wahr. Und wir speichern die Eindrücke im Gehirn, genauer im Hippocampus, dem Langzeitgedächtnis. So lernen wir dazu, erkennen Aromen, unterscheiden Gaumengefühle und ordnen sie einer bestimmten Traubensorte oder einem Weintyp zu. Im Langzeitgedächtnis ist beispielsweise auch gespeichert, wie es in Grossmutters Küche gerochen hat. Deshalb erinnern wir uns auch nach 50 Jahren noch daran.
Natürlich sind nicht alle fünf Sinne gleich stark beteiligt, wenn wir ein Glas Wein trinken; obwohl auch hier, leicht abgewandelt, gilt: Das Auge trinkt mit. Und das Ohr? Manche erfreuen sich am Plopp beim Entkorken der Flasche, selbst auf die Gefahr eines Korkenschmeckers hin. Darüber hinaus bleibt das Gehör eher Statist, es sei denn, wir dekantieren einen jungen Klassewein schwungvoll in die Karaffe, um ihn mit Sauerstoff zu beleben.

Wein ertasten

GeschmacksknopsenUnser Tastsinn, genauer Thermosensoren am Gaumen, prüfen die Temperatur von Speisen und Getränken: Zu heiss bedeutet Gefahr, aber auch zu kalt melden sie ans Gehirn: Bei Weisswein unter fünf, sechs Grad hat unser Geruchssinn Mühe, seine Arbeit zu erledigen; Rotwein über 20 Grad schmeckt gerne alkoholischbrandig oder brennt sogar am Gaumen. Unser Tastsinn merkt auch, wenn ein Wein raue, kratzige Tannine enthält.

Weinexperten sind der Ansicht, wir würden zu über 80 Prozent mit dem Geruchssinn entscheiden, ob uns ein Wein passt oder nicht. Im oberen Bereich der Nasenhöhle sitzen rund 20 Millionen Riechzellen, bestückt mit knapp 400 verschiedenen Duftrezeptoren, von denen jeder auf unterschiedliche Duftstoffe reagiert. Nervenfasern leiten Düfte durch das Siebbein, eine löchrige Knochenschicht, zur Riechrinde des Gehirns. Der Vorwurf «Du hast ein Hirn wie ein Sieb» ist also durchaus berechtigt.

400 Weinaromen

NelkenDie Riechzellen arbeiten jedoch nicht pausenlos. Ein neuer Duft, sagen wir Himbeere, wird nur wenige Sekunden weitergeleitet, dann verblasst der Eindruck. Erst ein paar Atemzüge «frische» Luft aktivieren die Sensoren für Himbeere erneut. Und damit die Riechzellen auch längerfristig aktiv bleiben, werden sie nach wenigen Wochen ersetzt.

Unser Sehsinn erkennt die Elemente einer Flasche Wein und weiss deren Namen: Weinflasche, Etikett, Korken. Das Riechsystem analysiert hingegen nur die Bedeutung eines Duftes: Was ist das? Harmlos oder gefährlich, gut oder schlecht? – ohne den Duft zu benennen. Deshalb fällt es uns schwer, einzelne Duftstoffe zu erkennen; nur Duftexperten oder geübte Weinsensoriker können bis zu 400 Weinaromen benennen. Doch mit ein wenig Übung werden auch wir immer besser. Weinprofis sind jedoch immer häufiger der Ansicht, wichtig sei bloss, ob ein Wein fruchtig, würzig oder blumig rieche. Einzelheiten wie Brombeere, Gewürznelke oder Flieder hingegen seien individuelle Befunde, je nach Nase, und deshalb nicht von allgemeiner Bedeutung.

Lust oder Frust

Geschmacksknospen ZoomUnser Geschmackssinn ist eigentlich ein Frühwarnsystem. Nerven leiten die Geschmackseindrücke von der Zunge zum Stammhirn, welches in Sekundenbruchteilen entscheidet: schlucken oder spucken? Die fünf Geschmacksrichtungen sind unterschiedlich gefährlich: süss, salzig und umami (Proteine / zum Beispiel Geschmack von Fleisch) gelten als harmlos, ja angenehm und appetitfördernd; bitter und sauer dagegen als potenziell unbekömmlich, ja gefährlich. Sauer sind beispielsweise unreife Früchte, bitter häufig giftige Produkte. Sehr sauer oder sehr bitter empfinden wir deshalb als unangenehm.

Geschmack erfassen wir mit unserer Zunge. Auf deren Oberfläche sitzen Geschmackspapillen; jede ausgestattet mit Geschmacksknospen mit je rund 50 Geschmackszellen, die auf eine der fünf Geschmacksrichtungen spezialisiert sind. Auch diese Zellen werden nach ein paar Wochen durch neue ersetzt, da sie tagtäglich beansprucht und abgenutzt werden. Auch das Geschmacksempfinden ist stark geprägt von individuellen Neigungen.

Ein Glas Wein trinken kann also durchaus ein gutes Gedächtnistraining sein; wenn wir aufmerksam geniessen, unsere fünf Sinne nutzen und die gewonnenen Eindrücke auf unserer riesigen Festplatte, dem Gehirn, speichern – damit jedes künftige Glas Wein noch mehr Freude bereitet.

Am Delinat-Basisweinkurs können Sie das, was hier in der Theorie beschrieben ist, in der Praxis erfahren. Bis Ende 2014 finden folgende Kurse statt:

  • Bern (20. August)
  • St.Gallen (17. September)
  • Basel (24. September)
  • Ascheffel/Eckernförde (24. Oktober)
  • Olten (29. Oktober)
  • Nürnberg (12. November)
  • Hamburg (13. November)
  • Frankfurt (26. November)
  • Berlin (28. November).

Details unter: www. delinat.com/veranstaltungen

Aromen kombinieren – Harmonie oder Kontrast?

Welche Aromen passen zu welchem Wein?

Unsere Nase ist mit 15 Millionen Riechzellen bestückt – pro Nasenseite. An diesen Riechzellen hängen gegen 400 verschiedene Arten von Duftsensoren, jeder programmiert auf eine Duftmolekülgruppe. Damit lassen sich Tausende von Düften unterscheiden. Das tönt kompliziert, funktioniert aber automatisch. Gespür ist hingegen gefragt, wenn Speisen kombiniert werden sollen. Zimt oder Vanille zum Apfelkuchen hat sich seit Jahrhunderten bewährt – Pfeffer auf Erdbeeren war vor 25 Jahren Mode. Und heute parfümieren Avantgardisten Lachs und Gurken mit Schokolade oder Forelle mit Kaffee. Noch kniffliger ist es, zu solchen Gerichten den richtigen Wein zu wählen, denn ein Wein besteht aus mehreren hundert Düften. Was wir in Degustationsnotizen lesen oder selber riechen, ist jeweils bloss ein klitzekleiner Anteil aller im Wein vorhandenen Düfte – also immer ein subjektiver Eindruck des Degustators.

kurzinfoWein und Speisen kombinieren
Welche Aromen passen zusammen? Wie funktioniert unsere Nase? Und welchen Wein trinke ich am besten zu welchen Speisen? Eine kurze Einführung in die Welt der Düfte.

Süsser Duft

«Der riecht süss, nach Honig», höre ich an Degustationen immer wieder. Eigentlich ist das nicht möglich, denn Süsse riechen wir nicht, sondern spüren sie auf der Zunge. Düfte dagegen erkennen wir einerseits beim Einatmen durch die Nase – aber auch «retronasal» via Gaumen. Aus Erfahrung wissen wir, dass Honig süss schmeckt und wie er riecht. Wenn nun Honigduft unsere Riechzellen erreicht, erinnern wir uns an den süssen Geschmack und stellen fest, «der riecht süss», meinen damit aber ein süsses Aroma, denn als solches bezeichnen wir Geschmack, Duft und Mundgefühl als Ganzes.

Duft nennen wir Eindrücke, die das olfaktorische Zentrum (rot) durch die Nase (orthonasal) erreichen (violett). Aromen gelangen retronasal via Gaumen (blau) zur Riechschleimhaut.
Duft nennen wir Eindrücke, die das olfaktorische Zentrum (rot) durch die Nase (orthonasal) erreichen (violett). Aromen gelangen retronasal via Gaumen (blau) zur Riechschleimhaut.

Harmonie oder Kontrast sind oft gehörte Tipps fürs Kombinieren von Speisen und Wein. Eine harmonische Kombination wäre demnach Paprikagemüse zu einem Cabernet Sauvignon, der nach ebendiesem Gemüse duftet. Ebenfalls einen Stammplatz in der Hitparade der Ratschläge hat «Regionales zu Regionalem»: Fendant zu Walliser Raclette oder Riesling zu Pfälzer Saumagen.

Riesling zu Rehrücken?

Bei der Wahl eines Weines zum Essen achte ich gerne auf Harmonie; so bin ich auf der sicheren Seite. Zum gegrillten Rindersteak passt ein Rotwein aus dem Barrique, die Röstnoten des Fleisches verlängern den Abgang des Weines. Zu Pilzgerichten wähle ich einen gehaltvollen Merlot; seine Noten von Waldboden und Heu harmonieren gut mit den Pilzen.

Kontraste dagegen sind riskant, können aber auch begeistern: Mirella, eine notorische Weissweinliebhaberin, wollte kürzlich partout nichts vom Pinot Noir zum Rehrücken wissen. Sie zog eine Riesling-Spätlese 2001 von Pflüger vor. Und wir beide behielten recht. Der Pinot Noir harmonierte prima mit dem Rehrücken, der Duft von roten Beeren belebte den etwas abgehangenen Fleischgeruch; der Riesling dagegen passte gut zur pochierten Birne mit Berberitzenkompott – die verschiedenen Fruchtnoten und die rassige Säure des Weines bescherten uns ein eindrückliches Erlebnis. Und erstaunlicherweise litten weder Fleisch noch Wein unter dieser Vermählung.

Auch die Temperatur von Wein und Speisen beeinflusst die Intensität der Aromen. Wein unter sechs Grad duftet kaum mehr; bei kalten Speisen dauert es eine Weile, bis sie sich am Gaumen entfalten. Wer zum Essen einfach ein Glas Wein trinken möchte, braucht sich nicht unbedingt den Kopf zu zerbrechen. Wer aber ein Gericht und den dazu servierten Wein in allen Facetten geniessen will, dem sei geraten: Studieren geht manchmal eben doch über Probieren.