Sinnvoll

Schmeckt der Wein? Von den fünf Sinneseindrücken sind Geschmack und Geruch die wichtigsten beim Beurteilen eines Weines. Doch die anderen drei Sinne tragen ebenso dazu bei, einen Wein mit all seinen Facetten zu erkennen und zu schätzen. Und wenn wir diese Sinneseindrücke bewusst wahrnehmen, geniessen wir intensiver, lernen dazu und erinnern uns beim nächsten Glas.

BrombeereVieles läuft automatisch. Wir betrachten eine Weinflasche: attraktives Etikett in Schwarz-Rot-Gold, Rioja, Jahrgang 2011. Die teflonbeschichtete Spirale des Pullparrot bohrt sich in den Korken; mit einem sanften Plopp verlässt dieser den Flaschenhals. Die Spannung steigt: Ruhig fliesst der rubinrote Saft, Fenster bildend, ins dünne, gewölbte Glas. Aha: jugendlich, aber gehaltvoll. Erwartungsvoll führt die Hand das Glas zur Nase: ein erstes Schnuppern, dann ein Schwenk, erneutes Schnuppern: Brombeeren, Schokolade und eine Spur Kaffee; grossartig. Zart berührt der dünne Glasrand die Unterlippe, und langsam füllt sich der Mund mit Wein: angenehm temperiert, saftig, feines Tannin und wieder Brombeeren, begleitet von einer feinen Rauchnote, die nach dem Schlucken lange nachklingt. Innert Sekunden haben wir mit unseren fünf Sinnen den Rioja Osoti erfasst. Selbst der Tastsinn ist beteiligt: Die Temperatur sowie allenfalls spürbare, leicht kratzige Gerbstoffe (Tannin) rechnen wir diesem Sinn zu.

Gedächtnistraining

OhrDie sensorischen Signale unserer fünf Sinne gelangen zur Grosshirnrinde, dem Cortex, einer zwei bis drei Millimeter dünnen, gefalteten Gewebeschicht an der Oberfläche des Gehirns. Von dort werden die Informationen weiterverarbeitet, doch nur ein kleiner Teil dringt in unser Bewusstsein vor, nur die im Moment wichtigen und interessanten Informationen. Sitzen wir mit Freunden zusammen, plaudern und essen, dann werden diese Weineindrücke übertönt von der Flut anderer Sinneseindrücke um uns herum. Degustieren wir einen Wein jedoch aufmerksam, nehmen wir ihn genauer wahr. Und wir speichern die Eindrücke im Gehirn, genauer im Hippocampus, dem Langzeitgedächtnis. So lernen wir dazu, erkennen Aromen, unterscheiden Gaumengefühle und ordnen sie einer bestimmten Traubensorte oder einem Weintyp zu. Im Langzeitgedächtnis ist beispielsweise auch gespeichert, wie es in Grossmutters Küche gerochen hat. Deshalb erinnern wir uns auch nach 50 Jahren noch daran.
Natürlich sind nicht alle fünf Sinne gleich stark beteiligt, wenn wir ein Glas Wein trinken; obwohl auch hier, leicht abgewandelt, gilt: Das Auge trinkt mit. Und das Ohr? Manche erfreuen sich am Plopp beim Entkorken der Flasche, selbst auf die Gefahr eines Korkenschmeckers hin. Darüber hinaus bleibt das Gehör eher Statist, es sei denn, wir dekantieren einen jungen Klassewein schwungvoll in die Karaffe, um ihn mit Sauerstoff zu beleben.

Wein ertasten

GeschmacksknopsenUnser Tastsinn, genauer Thermosensoren am Gaumen, prüfen die Temperatur von Speisen und Getränken: Zu heiss bedeutet Gefahr, aber auch zu kalt melden sie ans Gehirn: Bei Weisswein unter fünf, sechs Grad hat unser Geruchssinn Mühe, seine Arbeit zu erledigen; Rotwein über 20 Grad schmeckt gerne alkoholischbrandig oder brennt sogar am Gaumen. Unser Tastsinn merkt auch, wenn ein Wein raue, kratzige Tannine enthält.

Weinexperten sind der Ansicht, wir würden zu über 80 Prozent mit dem Geruchssinn entscheiden, ob uns ein Wein passt oder nicht. Im oberen Bereich der Nasenhöhle sitzen rund 20 Millionen Riechzellen, bestückt mit knapp 400 verschiedenen Duftrezeptoren, von denen jeder auf unterschiedliche Duftstoffe reagiert. Nervenfasern leiten Düfte durch das Siebbein, eine löchrige Knochenschicht, zur Riechrinde des Gehirns. Der Vorwurf «Du hast ein Hirn wie ein Sieb» ist also durchaus berechtigt.

400 Weinaromen

NelkenDie Riechzellen arbeiten jedoch nicht pausenlos. Ein neuer Duft, sagen wir Himbeere, wird nur wenige Sekunden weitergeleitet, dann verblasst der Eindruck. Erst ein paar Atemzüge «frische» Luft aktivieren die Sensoren für Himbeere erneut. Und damit die Riechzellen auch längerfristig aktiv bleiben, werden sie nach wenigen Wochen ersetzt.

Unser Sehsinn erkennt die Elemente einer Flasche Wein und weiss deren Namen: Weinflasche, Etikett, Korken. Das Riechsystem analysiert hingegen nur die Bedeutung eines Duftes: Was ist das? Harmlos oder gefährlich, gut oder schlecht? – ohne den Duft zu benennen. Deshalb fällt es uns schwer, einzelne Duftstoffe zu erkennen; nur Duftexperten oder geübte Weinsensoriker können bis zu 400 Weinaromen benennen. Doch mit ein wenig Übung werden auch wir immer besser. Weinprofis sind jedoch immer häufiger der Ansicht, wichtig sei bloss, ob ein Wein fruchtig, würzig oder blumig rieche. Einzelheiten wie Brombeere, Gewürznelke oder Flieder hingegen seien individuelle Befunde, je nach Nase, und deshalb nicht von allgemeiner Bedeutung.

Lust oder Frust

Geschmacksknospen ZoomUnser Geschmackssinn ist eigentlich ein Frühwarnsystem. Nerven leiten die Geschmackseindrücke von der Zunge zum Stammhirn, welches in Sekundenbruchteilen entscheidet: schlucken oder spucken? Die fünf Geschmacksrichtungen sind unterschiedlich gefährlich: süss, salzig und umami (Proteine / zum Beispiel Geschmack von Fleisch) gelten als harmlos, ja angenehm und appetitfördernd; bitter und sauer dagegen als potenziell unbekömmlich, ja gefährlich. Sauer sind beispielsweise unreife Früchte, bitter häufig giftige Produkte. Sehr sauer oder sehr bitter empfinden wir deshalb als unangenehm.

Geschmack erfassen wir mit unserer Zunge. Auf deren Oberfläche sitzen Geschmackspapillen; jede ausgestattet mit Geschmacksknospen mit je rund 50 Geschmackszellen, die auf eine der fünf Geschmacksrichtungen spezialisiert sind. Auch diese Zellen werden nach ein paar Wochen durch neue ersetzt, da sie tagtäglich beansprucht und abgenutzt werden. Auch das Geschmacksempfinden ist stark geprägt von individuellen Neigungen.

Ein Glas Wein trinken kann also durchaus ein gutes Gedächtnistraining sein; wenn wir aufmerksam geniessen, unsere fünf Sinne nutzen und die gewonnenen Eindrücke auf unserer riesigen Festplatte, dem Gehirn, speichern – damit jedes künftige Glas Wein noch mehr Freude bereitet.

Am Delinat-Basisweinkurs können Sie das, was hier in der Theorie beschrieben ist, in der Praxis erfahren. Bis Ende 2014 finden folgende Kurse statt:

  • Bern (20. August)
  • St.Gallen (17. September)
  • Basel (24. September)
  • Ascheffel/Eckernförde (24. Oktober)
  • Olten (29. Oktober)
  • Nürnberg (12. November)
  • Hamburg (13. November)
  • Frankfurt (26. November)
  • Berlin (28. November).

Details unter: www. delinat.com/veranstaltungen

Peter Kropf
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3 comments

  1. Lieber Herr Kropf,
    das mit der „Sensorik“ ist eine rein subjektive Anschauung; vielmehr kommen noch:
    Zeit, Ort, Jahreszeit, persönlicher Gesamtzustand, Umwelt(-einflüsse), ja sogar Tageszeit
    und Saison, Wetter…, um nur einige weitere „Faktoren“ zu nennen hinzu;
    oft habe ich persönlich die Erfahrung gemacht, dass derselbe Wein (=gleicher Jahrgang,
    gleicher Ort…usw) zu unterschiedlichen Zeiten völlig anders (oft enttäuschend und umgekehrt)
    schmeckt!
    Also Gemach, mit zu vorschnellen Beurteilungen, wie sie gerade von „Weinexperten“ gemacht werden.
    In diesem Sinne „Prost“!

  2. Sehr geehrter Herr Kropf,

    ich habe mich köstlich amüsiert… Sie haben wirklich ein paar wunderbar absurde Beschreibungen zusammengetragen…

    Herzlich, Kathrin Fischer

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