Im Juni 2023 waren meine Frau und ich als aktive Unterstützer von Rewilding Europe eingeladen, der Auswilderung einer Herde Wisente in Rumänien beizuwohnen. Wir waren sehr gespannt auf das Ereignis und neugierig darauf, die Wildhüter und Ökologen bei ihrer Arbeit zu erleben. Der Transport der acht Jungtiere von Norddeutschland in die rumänischen Karpaten hat reibungslos funktioniert. Zwei Fahrer haben sich die 36 Stunden Fahrzeit aufgeteilt und ein Tiermediziner hat das Wohlbefinden der Tiere regelmässig überprüft.
Beim Öffnen der Transportkäfige zeigte sich, dass die Tiere sich offenbar wohl in ihrem fahrenden Zuhause fühlten, denn es dauerte knapp eine halbe Stunde, bis die ersten sich nach draussen wagten. Dann aber zeigten sie grosse Freude an der neuen Freiheit, hüpften und tollten im Kreis, bevor sie eilends im dichten Wald verschwanden.
Wisente waren Anfang des letzten Jahrhunderts in Europa fast ausgestorben – es gab nur noch um die 30 Exemplare, die seither in Zoos nach einem genauen Plan gezüchtet und vermehrt werden, um die genetische Vielfalt zu erweitern und um Inzucht zu vermeiden. Auch wenn in den Karpaten inzwischen über 200 Tiere leben, die meisten davon bereits in der Wildnis geboren, so reicht das noch nicht für eine nachhaltig gesunde Population. Daher werden immer wieder neue Zuchttiere hinzugefügt und man geht davon aus, dass es mindestens 350 Tiere braucht, um das langfristige Überleben der Spezies in den wilden Karpaten zu sichern.
Gespannt waren wir vor allem auf die einheimische Bevölkerung und ihre Ansichten zu dem ehrgeizigen Rewilding-Programm. Was wir zu hören bekamen, hat uns ebenso überrascht wie erfreut. Wir haben keine einzige kritische Aussage zum Wisent- und Rewilding-Programm gehört. Viele Stimmen betonten, dass die betroffenen Regionen noch vor einem Jahrzehnt infolge «Landflucht» praktisch verlassen waren. Und dass mit Rewilding zunehmend junge Menschen zurück kommen, weil sie neue Chancen im Öko-Tourismus und im lokalen Gewerbe erkennen.
Anlässlich des Auswilderungs-Anlasses hat die kleine Gemeinde ein Fest organisiert, an dem junge Unternehmer viele regionale Spezialitäten vorgestellt haben: Pasta aus alten Getreidesorten, Eingemachtes nach uralten Rezepten, Säfte aus regionalen Früchten und sogar Wein aus einer autochthonen Sorte, die längst vergessen war. Der Bürgermeister der kleinen Gemeinde hat mit Stolz die Geschichte erzählt, wie er vor vielen Jahren den Kontakt mit Rewilding Europe aufgenommen und die Gemeinde mit beharrlichem Einsatz und viel Geduld für die Idee gewonnen hat. Viele der heute begeisterten Mitstreiter seien anfangs die grössten Skeptiker gewesen.
Aber natürlich profitieren vor allem die Tourismus-Angebote vom Rewilding: Gastronomie, Ranger, Reiseleiter und alle, die direkt mit Besuchern zu tun haben. Wir durften dann natürlich auch an einer «Wisent-Tour» teilnehmen. Dabei streiften wir einen ganzen Tag lang durch wilde Wälder, über Kuppen und durch Täler, sahen viele frische Spuren, doch leider keinen einzigen Wisent. Das aber hat das Abenteuer nicht geschmälert. Es war ein fantastisches Erlebnis, die wilde Schönheit der Karpaten zu Fuss zu geniessen, immer im Wissen, dass hier ausser Wisenten auch Bären und Wölfe zuhause sind.