Die unterschätzte Bedrohung

Um es vorweg zu nehmen: Das verrückte Pandemie-Jahr hat auch Dinge in Bewegung gebracht, die man sich zuvor kaum vorstellen konnte. Ja, das Virus hat viele Opfer gefordert und die Menschheit in Schranken gewiesen. Aber eben auch mobilisiert und mutige Entscheidungen erzwungen. Plötzlich wurde möglich, was bisher undenkbar war.

Das ist der positive Aspekt dieses schwierigen Jahres. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft haben bewiesen, dass sehr schnelle Veränderungen möglich sind, wenn der Druck gross genug ist. Wenn die Katastrophe vor der Tür steht, wenn die Zeichen sicht- und spürbar werden.

Natürlich löst ein tödliches Virus, das unmittelbar jeden befallen kann, grössere Ängste aus als z.B. die Folgen des Klimawandels. Und natürlich stehen Politiker stärker unter Handlungszwang, wenn die eigene Bevölkerung direkt und unmittelbar bedroht wird, als wenn in X Jahren Dürren und Stürme drohen, deren Ausmass man sich noch nicht einmal annähernd vorstellen kann. Dass wir aber fähig sind zu handeln, Entbehrungen auf uns zu nehmen und Vorschriften zu akzeptieren, die man nur aus Geschichtsbüchern oder von Diktaturen kennt, das ist schon eine erstaunliche Erfahrung.

Nun sollten wir aber aus dem Staunen erwachen und überlegen, wie die viel grösseren Gefahren für die Menschheit sichtbar gemacht werden könnten, so dass vorstellbar wird, was uns droht, wenn wir weiterhin das Sterben der Arten untätig hinnehmen. Wenn wir weitere Jahrzehnte Kohle und Öl verbrennen, Wälder abholzen und unbeschwert durch die Welt jetten. Die Vorstellung dessen, was passiert, wenn die Systeme kippen, ist offenbar bei nur sehr wenigen Menschen vorhanden. Man sagt, über 90% nähmen an, dass das Wetter «lediglich ein bisschen mehr verrückt spielen und das Meer ein paar cm steigen wird…, na und?».

Vergleicht man die Massnahmen gegen die Pandemie mit jenen gegen Artensterben und Klimawandel, so müsste das Verhältnis genau umgekehrt sein. Mit jedem Jahr, das ohne harte Einschnitte vergeht, wird der Aufwand, um künftige Katastrophen zu überleben, grösser. Und zwar exponentiell, so wie beim Virus, wenn es sich ungebremst verbreiten kann. Ich hatte im Frühling schon einmal angeregt, darüber nachzudenken.

Nun will ich aber wie Ende Jahr üblich einen kurzen Rück- und Ausblick zu Delinat geben:

Die Pandemie traf zusammen mit dem 40. Delinat-Geburtstag – ein Zufall, der uns doppelt gefordert hat. Trotz vieler Hindernisse wurden zwei weitere Standorte in München und Romanshorn eröffnet, die natürlich nur auf Sparflamme laufen und auf bessere Zeiten warten. Ganz anders war es beim Versand, der auch infolge geschlossener Restaurants mehr als üblich verschickte. Zum Glück, denn dadurch konnten wir Winzern, die auf Gastro-Weinen sitzen blieben, helfen und in einer «Solidaritätsaktion» 25 zusätzliche Weinsorten absetzen.

Weinshop Romanshorn
Trotz Hindernissen konnte der neue Weinshop in Romanshorn im Dezember eröffnet werden.

Sehr erfolgreich verlief die Einführung der neuen Marke «Rebbel» mit 5 Weinen von resistenten Rebsorten des Thurgauer Weinguts Karin und Roland Lenz. Leider waren die Mengen zu gering, so dass schon drei Monate nach Einführung Schluss war. Da aber immer mehr Delinat-Winzer neue Rebsorten anbauen, werden wir bald über deutlich mehr «PIWIs» verfügen.

Der Ausbau des Mehrweg-Kreislaufs mit Kartonagen und Flaschen in Deutschland blieb infolge der Pandemie weitgehend auf der Strecke. Nur einzelne kleine Tests waren möglich. Der Ausblick hingegen ist gut, denn inzwischen konnten wir eine neue Halle beziehen, in der später die Flaschenwaschanlage untergebracht werden kann. Die Kartonrücknahme in der Schweiz läuft inzwischen hervorragend. Die Kartons gehen bis zu 6 Mal auf die Reise.

Auf unserem Weg zur Klimaneutralität kommen wir Schritt für Schritt voran. Ab 2021 produzieren alle Delinat-Weingüter mindestens 30% der benötigten Energie selbst. Diese Quote wird fortlaufend angehoben, so dass die Betriebe in einigen Jahren energieneutral wirtschaften werden. Parallel dazu bauen wir die Elektrifizierung im Vertrieb aus und binden Flaschen und Verpackungen in ein Mehrwegsystem ein. Ziel ist Klimaneutralität und wo immer möglich Kreislaufwirtschaft.

erneuerbare Energien sind ab 2021 in den Richtlinien verankert.
Die Delinat-Richtlinien schreiben ab 2021 vor, dass mindestens 30% der benötigten Energie eines Weinguts selbst produziert wird.

Eine sehr schöne Erfahrung in diesem Jahr durften wir vor wenigen Wochen erleben, als wir uns der inzwischen normal gewordenen November-Rabattschlacht verweigert hatten und anstelle des Black Friday den Green Friday gefeiert haben. An diesem Tag waren alle Delinat-Produkte 10% teurer als normal. Den Aufpreis haben wir wohltätigen Institutionen gespendet und noch einmal den gleichen Betrag aus eigener Tasche oben drauf gelegt. So erhielten diese beiden Initiativen ein nettes Überraschungsgeschenk:

  • Bienen und Bauern retten, Deutschland: 8 708,84 Euro
  • Initiative für sauberes Trinkwasser, Schweiz: 16 540.80 Franken

Wir haben zwar gehofft, dass unsere Kundinnen und Kunden uns diese unkonventionelle Aktion nicht übel nehmen und ihren Einkauf vielleicht einfach einen Tag später zu normalen Bedingungen durchführen würden. Doch das Gegenteil ist eingetreten – man hat uns gratuliert und erst recht eingekauft. Das Verständnis und die Solidarität hat uns wahnsinnig gefreut und bestätigt, dass viele Menschen genug vom Konsumwahn und zweifelhaften Rabatten haben.

Wie immer gehört unser aufrichtiger Dank Ihnen. Ohne Sie und die vielen anderen Weinfreunde, die Delinat-Wein bevorzugen und damit Genuss und Naturverbundenheit zu verbinden wissen, würden wir scheitern. Es ist schön zu sehen, dass 40 lange Delinat-Jahre eine Gemeinschaft im Denken entstehen liess, die weit mehr bedeutet als der Begriff «Kundentreue» auszudrücken vermag. Vielen Dank, dass Sie ein Teil davon sind!

Auch im Namen des ganzen Teams, aller Delinat-Winzerinnen und Produzenten und natürlich auch und insbesondere der Milliarden von kleinen, kleinsten und grösseren Lebewesen, die im Delinat-Paradies eine Heimat finden, wünsche ich Ihnen alles Gute!

Karl Schefer

8 comments

  1. Liebe Weinliebhaber,
    das vergange und auch das laufende Jahr wird uns alle noch viel abverlangen,
    besonders Geduld und auch Fährnis zu den Sichtweisen der Anderen.
    Kann in dem Artikel von Herrn Schäfer keine „Verharmlosung“ oder „Verniedlichung“ bezüglich der Pandemie sehen. Aus meiner Sicht sehe ich die Einleitung von Herr Schefer nur als „Analogie“ und die Aufzeigung der Schwere der direkten Betroffenheit.
    Der Mensch reagiert auch m.E. erst wenn er persönliche Einschränkungen erlebt.
    Die Klimakrise wird schon seit 50 Jahren(Club of Rome) probagiert und von der
    Politik meist hintenangestellt.
    Deshalb nutzt weiterhin den Wein als „Sorgenbrecher“ um die positiven Erlebnisse
    der besonderen Tage zu verstärken.

  2. Lieber Herr Schefer, Ihre Einordnung, dass „plötzlich […] möglich [wurde], was bisher undenkbar war“, als „positive[r] Aspekt“ ist schon sehr irritierend, zumindest für deutsche Staatsbürger. Was hier in Deuschland „möglich wurde“, ist ein Ausschlachten der Grundrechte, eine Verdrängung parlamentarischer Demokratie und ein durch Infektionsschutz nicht mehr begründbares Wegsperren gesunder Menschen, insbesondere Senioren und Kinder.

    Meine Spekulation, wie Sie zu dieser Einschätzung kommen konnten, geht in die Richtung, dass zwei Gruppen zu den Gewinnern der Krise gehören, denen Sie angehören, nämlich Versandhändler und – verzeihen Sie bitte den derben Ausdruck – Drogenhändler. Mein persönlicher Alkoholkonsum ist 2020 um 50% gestiegen und wird allmählich medizinisch relevant, und ich liege damit gut im deutschen Mittel.

    Anders als Herr Huber bleibe ich Delinat-Fan. Ihr „Stoff“ ist Bio und meistens sehr lecker. Ihr Anliegen, diese Welt im ökologischen Sinne sauberer zu bekommen, teile ich und bewundere ausdrücklich Ihr Engagement.

    Ironischerweise sind diejenigen Menschen, die sich in Deutschland mit verfehlten Infektionsschutzmaßnahmen profilieren, im wesentlichen dieselben, die auch verantworten, dass ökologisch zu wenig vorwärts geht. Auch insofern geht Ihre Analyse an der – zumindest deutschen – Realität vorbei.

    Ich wünsche Ihnen (trotzdem) ein gesundes und erfolgreiches 2021!

  3. Ich kann in dem Artikel von Herrn Schefer nicht erkennen, dass die Pandemie gegen die Klimakrise ausgespielt wird. Letztendlich hängt beides zusammen, ob man das wahrhaben möchte oder nicht. Mich verwundern die doch recht heftigen Reationen. Wir leben anscheinend in einer aufgeregten Zeit, wo nur noch schwarz oder weiss zählt. Das finde ich schade. Es gibt im übrigen Länder, die extrem unter der Klimaveränderung leiden und damit auch unter unserem recht passivem Verhalten in Sachen Umweltschutz, der eigentlich Menschenschutz heissen müsste. Es muss möglich sein, auch darüber zu sprechen. Letztendlich spielt es für die Betroffenen doch keine Rolle, ob sie einen geliebten Menschen durch die Pandemie oder durch die Klimakrise verlieren.

  4. Sehr geehrter Herr Schefer

    Ich schätze grundsätzlich Ihr jahrelanges Engagement, den unermüdlichen Einsatz und Ihre Bemühungen für Biodiversität und Ihr Tun für den schonenden Umgang mit unserer Natur. Auch überzeugen mich Ihre teils „coolen“ Ideen – so z.B. Green Friday vom November 2020, natürlich nicht zuletzt auch mit geschäftlichem Eigennutzen – ist aber auch völlig o.k. Ich darf von mir wahrscheinlich behaupten, einen mehr oder weniger bewussten Umgang mit der Natur zu leben.
    … aber … im Mai letzten Jahres war Ihr Statement (ein Zehntel) zu Corona für mich schon etwas anstössig. Ihre jetziger Artikel (die unterschätzte Bedrohung) mit der Gegenüberstellung von Ängsten, Corona Pandemie – Klimawandel finde ich persönlich schon fast geschmacklos! Sie beleidigen damit alle jene, die „liebe Meschen“ verloren haben … und zwar jetzt und heute! Da bin ich mit meiner Meinung beim Comment von Uli Maurer.

  5. Die Massnahmen gegen die momentan grassierende Pandemie gegen das Artensterben und und den Klimawandel auszuspielen, finde ich unverantwortlich. Streichen sie mich bitte von der Kundenliste.

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