Auf grosser Fahrt

Nobler Windjammer: Sea Cloud II.
Nobler Windjammer:
Sea Cloud II.

Die Sea Cloud II ist eine Majestät. Wenn der imposante Dreimaster mit voll geblähten Segeln in See sticht, schlagen die Herzen von Segelfans höher. Lagern im Bauch der noblen Jacht auch noch tausend Flaschen von den besten und fortschrittlichsten Biowinzern Spaniens und Frankreichs, gibt es auch bei bekennenden (Delinat-)Weinfreunden kein Halten mehr: Rund 70 von ihnen gingen am 7. Mai 2014 in der katalonischen Hafenstadt Barcelona an Bord Ihrer Majestät.

Martin Schäppi, passionierter Meer-, Schiff und Weinliebhaber und im Nebenamt Delinat-Reiseleiter, hat den imposanten Windjammer für eine siebentägige Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer samt 60-köpfiger Schiffscrew gechartert. Während fast zweier Jahre hat er die exklusive Reise minutiös vorbereitet. Dass das Segelschiff kurz nach dem Auslaufen in Barcelona während ein paar Minuten von zwei erhaben dahingleitenden, Fontänen spritzenden Walen begleitet wird, hatte er nicht planen können. Doch das zufällige Naturspektakel ist der perfekte Auftakt zu einer unvergesslichen Woche, während der Natur, Wind, Wasser, Wein und feine Kost die Hauptrollen spielen.

Nahe bei den Winzern

Aus allen Ecken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sind sie angereist, um auf der zum Weinschiff gewordenen Sea Cloud II von Barcelona nach Nizza zu segeln und zwischendurch auf Landausflügen jene Winzer und Weingüter näher kennenzulernen, von denen sie zu Hause vielleicht schon so manche gute Flasche genossen haben.

Willkommensdrink aus dem Hause Albet i Noya.
Willkommensdrink aus dem Hause Albet i Noya.

Gross ist der Andrang zum Ausflug ins Penedès, wo der erfolgreichste Biowinzer Spaniens zu Hause ist. «Ich verfolge Albet i Noya schon seit 25 Jahren via Delinat und bin völlig fasziniert von diesen Weinen. Jetzt, wo ich den Winzer persönlich kennengelernt und das Weingut gesehen habe, das mir wie eine Oase vorkommt, bin ich ein noch grösserer Fan geworden », freut sich Monica Ferrari-Zanetti aus Weingarten. Zusammen mit ihrem Mann Fredy geniesst sie sieben unbeschwerte Tage auf dem Schiff. Ähnlich beeindruckt zeigt sich Arnd Knopke aus Wil: «Ich war schon auf vielen Weingütern. Bei Albet i Noya beeindruckt mich vor allem, dass mit alten, autochthonen Sorten experimentiert wird, die mit weniger Pflanzenschutzmitteln auskommen sollen. Dieses spanische Weingut entspricht meiner Idealvorstellung.»

Dass die beiden Winzerbrüder Josep Maria und Toni Albet i Noya samt Önologin Marga Torres – wie alle andern besuchten Winzer auch – ebenfalls für ein oder zwei Tage an Bord steigen, gefällt den Passagieren: «Die Idee, die Winzer ein Stück mitreisen zu lassen, ist genial. So lassen sich persönliche Kontakte knüpfen, und man bekommt aus erster Hand Einblick in deren Philosophie», freut sich Jörg Wilhelm aus Bremgarten. Überhaupt findet er die Kombination von Delinat-Wein und Segeln passend: «Beides steht für Langsamkeit. Das tut gut in unserer hektischen Alltagswelt.» Auch Winzer Josep Maria Albet i Noya gibt sich begeistert: «Das ist eine unglaubliche Reise. Zwei Tage lang in entspannter Atmosphäre über diese blaue, glatte See zu segeln – es könnte keinen schöneren Rahmen geben, um unsere Weine zusammen mit Kunden zu geniessen und den Geist von Delinat und Albet i Noya zu würdigen. Ich geniesse es in vollen Zügen.»

Entspannt mit an Bord: Josep Maria Albet i Noya und Önologin Marga Torres.
Entspannt mit an Bord: Josep Maria Albet i Noya und Önologin Marga Torres.

Die Bodegas Mas Igneus im Priorat ist mit den beiden Önologinnen Mireia Pujol und Chaxiraxi Velázquez fest in Frauenhand. Auch dieser Ausflug hinterlässt nachhaltige Eindrücke. Alois Schuler, pensionierter Winzer aus Altdorf: «Ich bin begeistert und fasziniert vom Priorat und den Weinen von Mas Igneus. Einfach gewaltig.» Bernhard Weber aus Schmitten findet ebenfalls Gefallen: «Die Steillagen im Priorat erinnern mich ein bisschen an die Mosel. Beeindruckt bin ich von der Pflanzenvielfalt auf Mas Igneus.»

Abwechslungsreiches Bordleben

An Bord dreht sich ebenfalls vieles um ökologischen Weinbau, wie ihn Delinat und ihre Winzer verstehen. Zum einen begleiten die Weine der besuchten Winzer die fürstlichen Tafelrunden aus der Sea-Cloud-Küche, zum andern werden sie im Rahmen von Wein- und Winzerseminaren degustiert. Bei dieser Gelegenheit wird viel Wissenswertes über die richtige Kombination von Wein und Speisen sowie über den Weinbau der Zukunft vermittelt. Das «Delinat-Konzept» komme gut rüber, findet Ilona Arns Hermle aus Erlach. «Die Begegnungen mit den Winzern und die Ausdruckskraft ihrer Weine sind sehr überzeugend.»

Nächtliches Philosophieren über Gott und die (Wein-)Welt.
Nächtliches Philosophieren über Gott und die (Wein-)Welt.

Zwischendurch sorgen die Matrosen auf dem Deck für Spektakel und Abwechslung: Wagemutig klettern sie an den drei Masten in den blauen Himmel und setzen mir roher Manneskraft die Segel. Die ersten Tage vergehen im Fluge. Schon ist die kleine, pittoreske südfranzösische Hafenstadt Sète in Sicht. Zeit für neue Winzerbesuche. «Von Château Coulon sind wir etwas enttäuscht. Unter einem Château stellt man sich etwas anderes vor als diese alten Kellereigebäude. Aber die Weine sind dafür ausgezeichnet », sagt Karin Näf aus Ebnat-Kappel, und ihr Freund Marco Moser stimmt zu. Eigentlich wollten die beiden auf der Sea Cloud heiraten. Doch dann haben sie gemerkt, dass ihre lieben Angehörigen ja gar nicht dabei sind. Marco Moser: «Jetzt ist daraus halt eine vorgezogene Hochzeitsreise geworden.»

Immer gut drauf: Winzerin Anne Lignères.
Immer gut drauf: Winzerin
Anne Lignères.

Auf der Domaine Lignères in den Corbières sorgen 120-jährige Carignan-Rebstöcke, die in die wilde Garrigue-Landschaft eingebetteten Weinberge für grosse Augen. Beim Kellerrundgang stossen ohne Schwefelzugabe erzeugte Naturweine und Wein aus der Amphore auf reges Interesse. Einen Einblick in einen Weinbau, der auf einem funktionierenden Ökosystem mit reicher Biodiversität basiert, liefert der Besuch auf dem Delinat-Modellweingut Château Duvivier. Winzer Antoine Kaufmann ist jeweils in seinem Element, wenn er die ausgetüftelte Begrünung zwischen den Rebzeilen und die ökologischen Hotspots mit Kräuterinseln, Bäumen, Bienenhotels und Steinhaufen als Unterschlupf für Reptilien erläutert. Doch heute führt er durch den Keller und gibt Einblick in sanfte Vinifikationsverfahren. Den Part im Feld übernimmt derweil Delinat-Ökologe Daniel Wyss.

Die Domaine Mon Rêve am Lac du Salagou, die Domaine Pierre André in Châteauneuf-du-Pape und das Weingut La Tour des Vidaux in der Provence sind weitere begehrte Ausflugsziele auf dieser Reise. Sie liefern alle ähnlich eindrucksvollen Anschauungsunterricht, was einen Weinbau mit reicher Biodiversität ausmacht.

Dreht sich da auf dieser Reise vielleicht ein bisschen gar viel um Wein und Winzer? «Kein Problem, es wird ja immer auch ein Stadtausflug als Alternative angeboten», sagt Anni Tanner aus Liestal, eines von drei Geburtstagskindern während dieser Sea-Cloud-Woche. Und schon beginnt sie von Tarragona zu schwärmen: «Eine Stadt, die ich überhaupt nicht gekannt habe, die mich mit ihren vielen römischen Baudenkmälern und dem lokalen Markt jetzt völlig begeistert.»

Auf Wiedersehn in Sizilien?

Dann, am siebten Tag, läuft die Sea Cloud II im Hafen von Nizza ein. Die erste Delinat-Weinkreuzfahrt ist Geschichte. Zurück bleiben unvergessliche Erinnerungen. «Diese Reise war eine wunderbare Idee. Die Sea Cloud und Delinat sind beide auf schöne und sympathische Weise altmodisch. Das gefällt uns. Wir hoffen auf eine Wiederholung auf einer neuen Route», sind sich Marianne und Ulrich Müller-Herold aus Stallikon einig. Reiseleiter Martin Schäppi nickt zufrieden: «Schön zu sehen, wie die Verbindung von Lebens- und Genussfreude, Sorge zur Natur und Biodiversität zusammen mit einem Hauch Windjammer-Romantik alle in ihren Bann gezogen haben.» Gibt es eine Fortsetzung? Martin Schäppi: «Gut möglich … ich vertiefe mich bereits in die Geografie Siziliens und träume von einer Inselumrundung auf der Sea Cloud II im Jahr 2017 …»

Lesen Sie auch den Artikel «Der Zauberer in der Bordküche» und erfahren Sie mehr über die kulinarischen Höhepunkte während der einwöchigen «Sea Cloud»-Reise.

Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann werfen Sie doch auch einen Blick auf unsere zukünftigen Weinreisen.

Feine Spürnasen täuschen sich nicht

Das Paket aus der Corbières war unscheinbar. Eine Flasche Wein zur Bemusterung. Der Winzer mir unbekannt, das Muster nicht angefordert. Ungewollte Weinmuster sind anstrengend. Wöchentlich alle Flaschen entkorken, in Reih und Glied aufstellen, eingiessen, beschnuppern, schlürfen, spucken. Argumente für die Absagen notieren. Routine.

Zum Glück gibt es Ausnahmen. Die Degustation des besagten Corbières werde ich nicht vergessen. Zuerst glaubte ich, Flaschen vertauscht zu haben. Als ich sicher war, dass alles seine Richtigkeit hat, habe ich unsere sechs Weinexperten zusammengetrommelt und ihre Meinung eingefordert. Und selten waren wir uns so einig, eine Perle gefunden zu haben.

Am Fuss des Montagne d‘ Alaric (im Hintergrund) reifen edle Gewächse in steinigen Böden.
Am Fuss des Montagne d‘ Alaric (im Hintergrund) reifen edle Gewächse in steinigen Böden.

Als ich wenige Wochen später mit dem Dorfarzt Jean Lignères und seinem Bruder, dem Zahnarzt Paul, durch ihre Weinberge spazierte, wurde mir vieles klar. Die Herzen der Brüder, die vor etlichen Jahren das Weingut von ihren Eltern übernommen und auf biologischen Anbau umgestellt haben, schlagen in erster Linie für ihren Wein. Solche Weinberge hatte ich nie zuvor gesehen. Am Fuss des Montagne d‘ Alaric wurzeln in wilder Garrigue-Landschaft alte, knorrige Buschreben auf Böden, die zu Abertausenden mit grossen Kalksteinen übersät sind. Erstaunlich, dass in solchen Steinwüsten Spitzenweine wachsen können!

Die Kraft der Natur, die mich im Weinberg überwältigt hatte, fand ich später im Weinglas wieder. Noch nie hatte ich im Languedoc Weine dieser Preisklasse von so grossartiger Eleganz, Balance und Finesse verkostet. Es wurde ein langer, geselliger Abend auf der Gartenterrasse von Jean und Anne Lignères. Bei feinster hauseigener Küche und einer Degustation durch das ganze Sortiment philosophierten wir über biologischen Weinbau und stellten fest, dass sich unsere Vorstellungen weitgehend decken. Damit war der Weg für eine rasche Zusammenarbeit geebnet.

Emil Hauser von Delinat (links) zu Gast bei der Winzerfamilie Lignères.
Emil Hauser von Delinat (links) zu Gast bei der Winzerfamilie Lignères.

Schon lange ist mir bewusst, hier ein goldenes Händchen gehabt und einen echten Glücksgriff gemacht zu haben. Deshalb freut mich die Auszeichnung der Domaine Lignères durch den wichtigsten Weinführer Frankreichs jetzt ganz besonders. Die beiden Sterne, welche «La revue du vin de France» in ihrem Guide der besten Weine Frankreichs vergeben hat, zeichnen die konstant sehr hohe Qualität der Lignères-Weine aus.

«Le guide des meilleurs vins de France» erscheint jedes Jahr. Zwei Sterne werden an hervorragende Weingüter vergeben, die nicht selten über ein traumhaftes Terroir verfügen, das sie regelmässig für die Erzeugung herausragender Weine nutzen. Die höchste Auszeichnung mit drei Sternen wird nur an ganz wenige Weingüter Frankreichs verliehen.

Filtration ja oder nein?

Unter Filtration versteht man das Entfernen von Partikelchen (Trubstoffen) aus dem jungen Wein mithilfe von Filtern. Innert kurzer Zeit gelingt es so, den Wein klar und rein zu machen. Filtration hat aber nicht nur Vorteile: Weil die feinen Partikel und Schwebeteilchen auch Geschmacksträger sind, müssen Verluste von Aromastoffen in Kauf genommen werden. Wein lässt sich auch auf natürliche Weise klären. Wenn man ihm genügend Zeit lässt, setzen sich die festen Partikel von alleine auf dem Tank oder Fassboden ab. Die Filtration von Wein ist deshalb nicht unumstritten und wird auch von Delinat-Winzern unterschiedlich gehandhabt. Jean Lignères aus dem Languedoc verzichtet, während Massimo Maggio aus Sizilien für eine sanfte Filtration plädiert.

Kontra Filtration: Jean Lignères, Languedoc

«Nicht filtrierte Weine sind natürlicher und wahrhaftiger.» Jean Lignères
«Nicht filtrierte Weine sind natürlicher und wahrhaftiger.»
Jean Lignères

«Geschönt und filtriert; nur geschönt, weder filtriert noch geschönt: Diese drei Varianten haben wir bei unseren Weinen bereits in den 1990er Jahren miteinander verglichen. Rasch war klar, dass jene Weine, bei denen wir auf beide Verfahren verzichtet haben, die wahrhaftigsten, natürlichsten und charakterstärksten waren.

Wein lässt sich auch auf natürliche Weise klären und stabilisieren. Dafür muss man ihm aber genügend Zeit lassen. Unsere Rotweine benötigen für eine völlige Klärung und eine harmonische Abrundung der Tannine zwei Winter. Wer auf eine Filtration verzichtet, muss also über einen Keller mit grosser Lagerkapazität verfügen. Diese Art der Vinifikation bedingt auch, dass man die Weine im Keller ständig beobachten, verkosten und deren Entwicklung exakt mitverfolgen muss. Diesen Mehraufwand und die Mehrkosten, welche vor allem durch die längeren Reife und Lagerzeiten entstehen, nehmen wir aber gerne in Kauf.

Kleine Probleme mit dem Filtrationsverzicht hatten wir anfangs beim Weisswein mit Kunden, die höchsten Wert auf absolute Transparenz und Klarheit des Weines legen. Noch immer gibt es Leute, die sich an einer leichten Depotbildung in der Flasche stören, die bei unfiltrierten Weinen logischerweise eher vorkommt. Auf die Weinqualität haben solche natürlichen Rückstände überhaupt keinen Einfluss. Im Gegenteil: Bei Filtrationsverzicht bleiben Geschmack, Mineralität und Identität eines Weines authentischer.»

Pro Filtration: Massimo Maggio, Sizilien

«Gekonnte Filtration führt nicht zu Geschmackseinbussen.» Massimo Maggio
«Gekonnte Filtration führt nicht zu Geschmackseinbussen.» Massimo Maggio

«Ehrlich gesagt: Wenn sich alle unsere Kunden bewusst wären, dass das Depot in der Weinflasche natürliche Rückstände eines natürlichen Prozesses sind, würden wir die wenigsten unserer Weine filtrieren.

Dem ist leider nicht so. Vor allem Leute, die jugendliche, frische und fruchtige Weine mögen, legen grossen Wert auf eine absolut klare, brillante Farbe ohne Depotbildung auf dem Flaschenboden. Deshalb filtrieren wir vor allem jene Weine, die rasch in die Flaschen abgefüllt und jung konsumiert werden. Die Filtration erfolgt nach der Kältestabilisation. So lassen sich Kristalle entfernen, die später zu Depotrückständen in der Flasche führen würden.

Sowohl bei den Rot- wie bei den Weissweinen setzen wir Filter ein, die eine sanfte Behandlung ermöglichen und den Wein nicht stressen. Unsere Erfahrungen zeigen: Wenn man zurückhaltend und mit dem nötigen Feingefühl filtriert, ergeben sich beim Wein keine Geschmacks- und Qualitätseinbussen. Gekonnte Filtration wirkt sich auch auf die Haltbarkeit der Weine nicht negativ aus. Man muss jedoch auf der Hut sein, dass der Wein beim Filtrationsprozess möglichst wenig mit Sauerstoff in Berührung kommt, sonst altert er relativ schnell. Für Weine, die für eine längere Reifezeit vorgesehen sind, verzichten wir auf eine Filtration.»

Wie halten Sie es? Geniessen Sie lieber filtrierte oder eher unfiltrierte Weine? Danke für Ihre Meinung gleich hier unten im Kommentarfeld.

La Colle – die muntere Erntetruppe

La Colle

Traubenernte von Hand ist Knochenarbeit. Selbst im ländlichen Südfrankreich ist es heute fast unmöglich, eine einheimische Erntetruppe zu rekrutieren. Die Winzerfamilie Lignères arbeitet deshalb seit über 15 Jahren mit Bauernfamilien zusammen, die Jahr für Jahr mit dem Bus aus Andalusien anreisen.

Quesada ist ein kleines 500-Seelen-Dorf in Andalusien. Immer Mitte September steigen hier 30 Frauen und Männer, Jung und Alt, in einen alten klapprigen Bus. Im Gepäckraum lagert Proviant für einen ganzen Monat. Nach über 20stündiger Fahrt erreicht der Bus das kleine Winzerdorf Fontcouverte im südfranzösischen Languedoc. Auf dem Weingut der Familie Lignères beziehen die Erntehelfer aus Spanien für vier Wochen Quartier. Sie fühlen sich hier wie zu Hause, kochen und waschen selber und lassen nach Feierabend auch mal ein kleines Fest steigen.

Weinberg als «Hochzeitsfabrik»

So war es in den Vorjahren, so wird es heuer sein: «Es sind stets Leute aus mehreren Familien. Über all die Jahre ist so ein sehr herzliches und freundschaftliches Verhältnis entstanden. Auch die Erntehelfer untereinander kommen sich näher. In all den Jahren wurden bei uns im Weinberg schon fünf Hochzeiten angebahnt», erzählt Winzerin Anne Lignères. Sie begleitet la colle – so wird die Erntetruppe hier genannt – fast täglich in den Weinberg, schaut zum Rechten und koordiniert die Traubenlieferungen per Handy mit ihrem Mann Jean, der die Trauben im Keller in Empfang nimmt.

Zwei Frauen geben den Takt vor

Für die Erntearbeit gelten klare Regeln: Morgens früh lässt sich la colle auf dem Anhänger in den Rebberg chauffieren. Die Truppe ist aufgeteilt in sechs porteurs und 24 coupeurs. Mit andern Worten: Sechs Männer sammeln die von 24 Frauen und Männer gelesenen Trauben ein und tragen sie in ihrer Hutte zum Anhänger. Die beiden flinksten Ernterinnen heissen Joaquina und Lolli. Sie tragen den Titel mousseigne und geben für alle andern den Takt vor. «Wir müssen uns ganz schön sputen, um mit diesen beiden älteren Damen mithalten zu können», schmunzeln Kuka, Veronica und Jenifer – ein junges Frauentrio, das trotz harter Arbeit stets für ein Spässchen zu haben ist. Überhaupt verströmt die ganze Truppe fast ständig Fröhlichkeit und gute Laune im Weinberg. Die einen singen vor sich hin, andere plaudern miteinander. Und wenn Anne, la patronne, einmal gar eine halbe Stunde früher Feierabend gebietet, wird das mit einem freudigen Olé quittiert.

Juans Rückkehr in die Schweiz

Wenn la colle nach getaner Arbeit aufs Weingut zurückkehrt, wird aus frischem Gemüse und Obst vom Weingut und dem mitgebrachten Proviant das Nachtessen zubereitet. Juan, der Träger, überlässt das gerne den Frauen. Es kann sich das auch leisten, denn in diesem Jahr geniesst er einen besonderen Status: Die Familie Lignères widmet der Erntetruppe einen ihrer Weine. Er trägt den Namen La colle des Lignères. Jedes Jahr ziert das Konterfei eines Erntehelfers das Etikett. Für den Wein mit dem Jahrgang 2010, der jetzt trinkreif ist, fiel die Ehre Juan zu. Darauf ist er mächtig stolz: «Ich habe 17 Jahre bei der Paketpost in Zürich gearbeitet, ehe ich nach Andalusien heimgekehrt bin. Jetzt mit meinem Bild auf einer so guten Flasche Wein in die Schweiz zurückzukommen, ist einfach wunderbar.»

La Colle – die muntere Erntetruppe aus Andalusien

Nach 800 Velokilometern in den Beinen sehnt man sich nach ein paar geruhsamen Tagen. Doch nichts da: Nach der zwölftägigen Tour auf meist verkehrsarmen Nebenstrassen blieb mir nach der Ankunft am südfranzösischen Zielort Fontcouverte bloss der Sonntag als Ruhetag. Bereits am Montag gings zu früher Stunde mit Eimer und Schere ab in die steinigen Weinberge von Château la Baronne. Die Familie Lignères erzeugt hier für Delinat aus regionstypischen Trauben so hervorragende Rotweine wie Montagne de l’Aigle, Roches d’Aric und La Colle.

La Colle

La Colle: Die spanischen Erntehelfer/innen reisen seit über 15 Jahren jeweils Mitte September mit dem Bus aus Andalusien an.

Erntehelfer aus Andalusien

Letzterer ist der spanischen Erntetruppe gewidmet, die  innerhalb von 4 Wochen sämtliche Trauben auf dem 80 Hektar grossen Weingut von Hand erntet. Ab sofort bin ich für 10 Tage Mitglied von «La Colle», wie die Erntetruppe hier genannt wird. Diese ist bunt gemischt: Frauen, Männer, Jung und Alt. Die meisten stammen aus Bauernfamilien, die zu Hause in Andalusien von Olivenkulturen leben. Die Ernteeinsätze in Südfrankreich sind nicht nur ein willkommener Zusatzverdienst für die einfachen Bauersleute, bei einigen haben sie das Leben entscheidend beeinflusst. «In den über 15 Jahren, die wir mit dieser Truppe zusammenarbeiten, sind unter den Erntehelfern viele Freundschaften entstanden, aus denen sogar 5 Hochzeiten hervorgingen», erzählt mir Winzer Jean Lingnères, der hauptberuflich als Dorfarzt im kleinen Ort Moux tätig ist.

Traubenlese

Viele Weinberge bestehen aus niedrigen Buschreben und verlangen eine stark gebückte Haltung beim Ernten – links der Autor.

Ausgelassene Stimmung trotz harter Arbeit

Im Weinberg herrscht trotz harter Knochenarbeit stets eine fröhliche und ausgelassene Stimmung. Die Jungen singen zur Musik ab dem MP3-Player munter vor sich hin und sind stets für ein Spässchen zu haben, die Älteren sind gesprächig und erzählen von Einsätzen in früheren Jahren oder von ihrem Leben zu Hause. Fast den ganzen Tag mit im Weinberg dabei ist Winzerin Anne Lignères. Wenns mal ein kleines Problem gibt, löst es die fröhliche Anne im Nu. Ansonsten ist sie fast ständig per Handy mit ihrem Mann Jean verbunden, damit die Koordination zwischen Weinberg und Keller klappt.

La Colle im Weinberg

La Colle im Weinberg – neben der harten Arbeit immer für ein Spässchen zu haben.

Abstecher in den Keller

Nach 8 Stunden Handernte am Fusse des Montagne d’Aric schmerzt mein Rücken, ich strecke und dehne mich und bin froh, die ersten Stunden des nächsten Tages im Keller zu verbringen. Ich helfe französischen und portugiesischen Mitarbeitern bei der Traubenannahme und der Triage. Mehrmals werden die Trauben von Hand verlesen, damit  keine Fremdkörper wie Blätter, Grashalme oder Schneckenhäuschen ins Fass gelangen. Neben Jean haben im Keller zwei junge italienische Önologen das Sagen. Sie führen mich in einwandfreiem Französisch in die Geheimnisse der Maischegärung ein.

Triage

Der Autor (links) bei der Triage, der aufwändigen Selektion der Trauben auf dem Förderband.

Etwa 10 Prozent der Ernte wird bei den Gebrüdern Lignères zu Vin naturel verarbeitet. Das bedeutet: Kein Schwefelzusatz und keine technischen Hilfsmittel wie Pumpen oder Pressen. Die ersten Schichten der mitsamt Stielen in grosse Holzfässer gefüllten Trauben werden mit nackten Füssen getreten. Die vielen Fahrrad-Kilometer kommen mir hier zu Gute – ich stampfe ohne grössere Konditionsschwächen rund 20 Minuten auf den frisch geernteten Trauben herum. Am Nachmittag gehts mit der Erntetruppe wieder hinaus in die Weinberge. Nach 10 strengen, aber hoch interessanten Tagen und vielen herzlichen Begegnungen mit Menschen aus halb Europa geht meine Reise per Zug zurück in die Schweiz. «La Colle» macht noch knapp drei Wochen weiter, bis dann Mitte Oktober die letzten Trauben im Keller sind.

PS: Ach ja, da waren ja auch noch zwei überraschende Begegnungen mit Delinat-Kunden. Ein Ehepaar aus Süddeutschland steuerte das Weingut aufgrund unserer Reportage in der WeinLese 26 (PDF) mit dem Fahrrad an und freute sich, hier ausgerechnet auf den Autor der Reportage zu stossen. Und ein Schweizer Ehepaar aus dem Kanton Bern wollte unbedingt den Weinberg sehen, dessen Boden mit faustgrossen Steinen übersät ist. «Das sieht ja tatsächlich wie eine Geröllhalde aus – erstaunlich, dass hier überhaupt Reben wachsen», so ihr Kommentar.