Wir Delinat-Einkäufer liegen in einem freundschaftlichen Wettstreit. Dann nämlich, wenn es darum geht, einen Wein in den DegustierService zu platzieren. Den eigenen Favoriten will man natürlich mit dabeihaben. Lesen Sie, wie mir dies mit dem Roches d’Aric gelungen ist.
Ich erinnere mich an diesen trüben, kalten Nachmittag Anfang Jahr, als sei es gestern gewesen. Dabei liegt das Ereignis schon ein paar Jahre zurück. Ich nahm an einer der regelmässigen Degustationsrunden am Firmensitz von Delinat in St. Gallen teil. In diesem Gremium, das sich aus Spezialisten der wichtigsten Aufgabenbereiche zusammensetzt, herrscht eine freundliche, zugleich kritische Stimmung, schliesslich werden wegweisende Entscheidungen getroffen. Hier wird bestimmt, wie sich unser Angebot zusammensetzt, was wir beibehalten, was wir fallenlassen und was wir neu einführen. Auch für die Winzer sind die Entscheidungen, die in dieser Runde getroffen werden, bedeutungsvoll. Wird sein Wein ausgewählt, weiss der Winzer einen beachtlichen Teil seiner Ernte in guten Händen, und das oft auf Jahre hinaus. Delinat gibt nicht nur seinem Wein einen vielbeachteten Auftritt, Delinat macht auch seinen Betrieb bekannt. Entsprechend begehrt ist ein Platz im Angebot des DegustierService, und entsprechend gross sind die Anstrengungen der Produzenten, mit überzeugenden Weinen ins Rennen zu gehen.
Auf Entdeckungsreise
Ich war eben von einer ausgedehnten Frankreich-Reise zurückgekehrt, reich an Eindrücken und voller neuer Ideen. Unzählige Weine verkostete ich unterwegs, machte Fassproben der vor ein paar Monaten abgeschlossenen Ernte, prüfte ältere, bereits abgefüllte Jahrgänge. Der Besuch «meiner Winzer» am Ende des Jahres ist eine lieb gewordene Gewohnheit, und da es Teil meines Auftrags ist, nicht nur Eingeführtes zu betreuen, sondern immer auch Neues aufzuspüren, machte ich einen Abstecher zum Weingut der Familie Lignères in Fontcouverte in den Corbières. Nicht ganz unvorbereitet. Die Lignières hatten uns ein paar Wochen zuvor eine Musterflasche zukommen lassen. Im kleinen Kreis verkosteten wir diese und befanden sie für interessant genug, um den Wein im Labor analysieren zu lassen. Alles lag im grünen Bereich.
Nun wollte ich mir vor Ort ein Bild machen. Drei geschlagene Stunden lang führten mich die Brüder Jean und Paul Lignères durch ihre Weinberge. Es war bissig kalt an diesem Dezembernachmittag, und ein eisiger Wind pfiff uns ins Gesicht. Als wir ins Haus zurückkamen, stand eine Platte mit aufgeschnittenem Schinken und frisch gebackenem Brot auf dem Küchentisch. Mir war, als könnten mich nur noch Essen und Trinken wieder lebendig machen, und ich putzte die Platte in einem Tempo leer, was mir später unendlich peinlich war. Statt den Wein auszuspucken, wie es sich für einen Einkäufer geziemt, trank ich davon mehr als nur einen Schluck. Jean und Paul Lignères liessen sich nichts anmerken, im Gegenteil. Der durchfrorene, ausgezehrte Schweizer schien sie zu belustigen. Nie zuvor hatte mir ein Schinken so gut geschmeckt wie hier, und gar köstlich fand ich den Roten, den mir die beiden vorsetzten.
Härtetest in der Degustierrunde
Und nun also der Härtetest in St. Gallen. Würde der noch namenlose Wein einer nüchternen Betrachtung standhalten können? Ohne die Präsenz freundlicher Gastgeber? Ohne die Ausstrahlung eines Weinguts, das ich sofort ins Herz geschlossen hatte? Ohne die Kulisse einer urtümlichen Kulturlandschaft? Manchmal wünsche ich mir, eine entdeckte Trouvaille einfach auf die Sortimentsliste setzen zu können ‒ ohne den Spiessrutenlauf, den bei uns ein Weinmuster zu durchlaufen hat, bevor es schliesslich im Paket des DegustierService landet.
«Weiche, füllige Frucht, saftige Frische, würzige Garrigue-Noten, mineralische Anklänge – ein herrlich komplexer, herausfordernder Wein, der entdeckt werden will», notierte ich. Selten war ich so gespannt auf die Reaktion meiner Kolleginnen und Kollegen und atmete auf, als ich in die erstaunten und anerkennend blickenden Gesichter sah. Damit nahm das Muster der Domaine Lignères die erste Hürde in unserem Selektionsprozess. Als Nächstes folgte wie üblich eine Art Dopingtest, also eine erneute Laboranalyse. Wie viel Schwefel weist der Wein auf? Ist er frei von unerwünschten Rückständen? Einer Vielzahl von Parametern muss er standhalten. Erhält der Wein das Plazet, geht das Verfahren weiter, ansonsten heisst es: Zurück auf Feld 1. Bei diesem Roten war ich mir fast sicher, dass er nicht an dieser zweiten Hürde scheitern würde. Anlässlich meines Besuchs hatten mir die Brüder Jean und Paul Lignères ausführlich erläutert, worauf es ihnen im Rebberg und im Keller ankommt, und das liegt ganz und gar auf der Linie, wie wir sie bei Delinat seit eh und je verfolgen. Als ich später erfuhr, dass Jean Lignères nicht nur Winzer, sondern in seinem Dorf auch beliebter Dorfarzt und sein Bruder Paul Zahnarzt in Narbonne ist, passte das zum Bild eines umsichtig, weitsichtig und sorgfältig geführten Weinguts. Und so überraschte es nicht, dass das Degustationsmuster auch analytisch glänzte.
Das Okay des Beraters
Nächste Stufe im Auswahlverfahren: Delinat-Winzerberater Rolf Kaufmann wurde beauftragt, das Weingut auf Herz und Nieren zu prüfen. Natürlich waren wir nach seiner Rückkehr gespannt auf seine Eindrücke und Einstufungen. Er erzählte begeistert von seinem Besuch bei Jean und Paul Lignères. Mich wunderte dies natürlich nicht, hatte ich ja bereits Gelegenheit gehabt, die Domaine Lignères zu besichtigen. Das rund hundert Hektar umfassende Gut verfügt über eine natürlich gewachsene Biodiversität. Kleine Waldstücke, Bäche, Büsche und die für dieses Gebiet so typischen, der mediterranen Macchie ähnlichen Garrigue prägen neben den Rebparzellen das Bild, und so finden ganz unterschiedliche Tiere, Vögel und Insekten, einen vielfältigen Lebensraum.
Das alles war natürlich ganz nach dem Geschmack unseres Beraters, und entsprechend fiel sein Fazit aus. Er sehe in diesem Fall nur wenig Handlungsbedarf, was die Erfüllung der Delinat-Anforderungen betreffe. Ja, in seiner Einschätzung passe die Domaine Lignères geradezu ideal zu Delinat, und er könne uns eine Zusammenarbeit mit Jean und Paul Lignères nur wärmstens empfehlen. Stolperstein für die maximale Einstufung (drei Schnecken) könne höchstens die alteingesessene Carignan-Sorte sein, die in vielen Cuvées des Gebiets charakterbildender Bestandteil sei. Carignan sei anfällig auf Echten und Falschen Mehltau und müsse während der Vegetationszeit bei ungünstigem Wetter mit höheren Schwefeldosen als andere Sorten gegen den Pilzbefall geschützt werden.
Alles gut?
Wein gut, Analysen gut, Zertifizierung gut, Biodiversität gut – also alles gut, und nun nichts wie los? Gemach. Zwar stand im Fall der Domaine Lignères die Ampel auf Grün, weitere wichtige Fragen galt es jedoch vor dem Start zu klären, allen voran die Verfügbarkeit, und zwar nicht bloss die kurzfristige. Für deren Beantwortung sind oft weitere Besuche auf dem Weingut nötig, es braucht vertiefte Gespräche und gemeinsame Planung – ja, es braucht einfach viel Zeit. Es reicht noch nicht, wenn alles innerhalb eines Weinguts zusammenpasst. Ein selektionierter Wein muss sich auch ins geplante DegustierService-Paket fügen, etwa preislich und geschmacklich. Schliesslich soll jedes Paket etwas ganz Besonderes sein, sich vom Vorangegangenen unterscheiden, für Abwechslung und gerne auch für Überraschung sorgen. Da heisst es mitunter lang ringen, mit den Winzern und mit den Kollegen vom Einkauf und vom Marketing. Und nach langem Hin und Her und manchmal auch hott und hüst kommt der Tag, an dem dann doch alles zur runden Sache wird und ein Wein seinen Platz findet. Nun galt es also, die Einführung zu planen – wie immer in enger Zusammenarbeit mit den Winzern. Dazu gehörten die Namensgebung, die Etiketten- und Verpackungsgestaltung, das Zusammentragen der Informationen für Rücketiketten und Produktbeschreibung im Hinblick auf Drucksachen und Website. Dabei gibt es immer mehr rechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, und die Besonderheiten der Delinat-Selektion sollen ebenfalls sichtbar sein. Vor allem aber soll der optische Auftritt zum Wein, zum Betrieb und zu den Menschen, die ihn prägen, passen. Dieser Teil des Prozedere ist besonders anspruchsvoll und trickreich, weil da auch die verschiedenen kulturellen Hintergründe und unterschiedlichen Kenntnisse mitspielen. Im Fall von Jean und Paul Lignères fanden wir bald eine gemeinsame Sprache. So verging zwischen dem ersten Härtetest in St. Gallen und der Anlieferung fixfertiger Paletten kein Jahr, andere Winzer oder Weine benötigen manchmal Jahre.
Bevor der Roches d’Aric, wie er nun hiess, für den DegustierService freigegeben wurde, hatte das angelieferte Produkt drei Prüfungen zu bestehen: eine nüchterne sensorische Kontrolle, die klären soll, ob der Wein dem Einkaufsmuster entspricht, eine Überprüfung der Analysewerte mit den Delinat-Richtlinien und mit dem Rückstellmuster des ausgewählten Weins und als letzte Hürde eine erneute Verkostung und Einschätzung in der Delinat-Degustationsrunde. Dabei steht das Weinpaket mit den anderen beiden Entdeckungen auf dem Tisch, so, wie es unsere Kundschaft erhalten wird. Fachleute des Einkaufs, des Marketings und des Verkaufs sind anwesend und entscheiden abschliessend, ob die ausgewählten Produkte in ihrer Gesamtheit unseren hohen Anforderungen entsprechen. Trotz der vielen Vorprüfungen kommt es vor, dass wir einen Wein kurz vor dem Ziel ersetzen müssen. Im Fall des Roches d’Aric passte alles bis ins Detail, und so stand der erfolgreichen Auslieferung an unsere Abonnentinnen und Abonnenten nichts mehr im Weg. Ja, der Roches d’Aric eroberte im Sturm die Herzen der DegustierService-Kunden, sodass sich der Wein einen festen Platz im Delinat-Sortiment sicherte. Der Roches d’Aric war Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Jean und Paul Lignères, die 2016 mit deren Wahl zu den Biodiversitätswinzern des Jahres einen Höhepunkt erreichte.
Tour de France zum Jahresende
Auf meiner jährlichen Tour de France ‒ immer zum Jahresende ‒ gehört ein Besuch der Domaine Lignères nunmehr zum festen Programm. Zwei Peinlichkeiten lasse ich unterdessen aus: Ich bin jetzt richtig gut eingekleidet und auf jedes Wetter vorbereitet, und ich treffe nicht mehr mit leerem Bauch ein, um nicht nochmals allen den Schinken vor der Nase wegzuessen. Im letzten Dezember war es so warm, dass wir uns für die Verkostung der neuen Jahrgänge vors Haus setzen konnten. Ein Vogel landete auf dem Tisch und pickte die Brotkrümel auf. Jean erzählte mir, dass sie im vergangenen April mit einem Ornithologen eine Zählung der Vogelpopulation auf dem Weingut durchgeführt hätten. Sage und schreibe 40 verschiedene Vogelarten hätten sie registriert, die Zahl habe stark zugenommen, seit sie Vogelkästen installiert hätten. Wenn das kein gutes Omen ist.
-> Hier finden Sie eine Übersicht unserer Weinabos.
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