Südfrankreich – von der Masse zur Klasse

«Faire pisser la vigne», lautete bis in die 1980er-Jahre die Devise in Südfrankreich. Massen- und Überproduktion brachten nicht nur minderwertige Weinqualität, sondern trieben auch viele Weinbauern in den Ruin. Mittlerweile ist alles ganz anders.

Weinlandschaft im Languedoc
Weinlandschaft im Languedoc

In den Weinregionen Südfrankreichs hat vor rund 25 Jahren ein einzigartiges Qualitätsdenken eingesetzt. So haben etwa die Winzer der Corbières, dem grössten und bekanntesten Weinbaugebiet des Languedoc, nicht nur das grossartige Potential einheimischer Traubensorten wie Grenache, Syrah, Carignan oder Mourvèdre entdeckt. Sie haben auch gemerkt, dass sich das Klima hervorragend für biologischen Qualitätsweinbau und weitere bekannte Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Merlot eignet. Da diese Sorten für AOP-Qualitätsweine (Appellation d’Origine Protégée) aus dem Languedoc nicht zugelassen sind, wurde die neue Klassifizierung Pays d‘Oc IGP (Indication Géographique Protégée) geschaffen. Ein Volltreffer, wie man heute weiss. Die preiswerten aber qualitätsvollen Landweine trugen das ihre zum Aufschwung der Region bei.

Klasse statt Masse – die Devise gilt heute nicht nur für das Languedoc, sondern auch für die einst ebenfalls für minderwertige Massenweine bekannten Weinregionen Côtes du Rhône und Provence. Das Rhonetal war lange Zeit eines der verkanntesten Weinbaugebiete Frankreichs. Doch auch hier haben Qualitätsdenken und Rückbesinnung auf biologischen Rebbau zu feurigen, dichten und aromatischen Rotweinen mit feiner Würze geführt, bei denen Syrah und Grenache die Hauptrollen spielen.

Blühender lavendel vor Weinberg

Die Provence, einst fast ausschliesslich für die Massenproduktion von Rosé-Weinen bekannt, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten ihrerseits zu einer aufstrebenden Rotweinregion entwickelt. Insbesondere Rotweine aus der Côte de Provence, der grössten Appellation dieser Region, bestechen oft durch hohe Qualität. In ihnen spiegeln sich im besten Fall die feinen Düfte und Aromen der in bunten Farben erstrahlenden Provence-Landschaft.

Für alle Weinregionen Südfrankreichs gilt: Die Rotweine werden meist aus mehreren Traubensorten als Cuvées erzeugt. Zu den wichtigsten autochthonen Reborten zählen Syrah, Grenache, Carignan, Cinsault und Mourvèdre.

Feine Spürnasen täuschen sich nicht

Das Paket aus der Corbières war unscheinbar. Eine Flasche Wein zur Bemusterung. Der Winzer mir unbekannt, das Muster nicht angefordert. Ungewollte Weinmuster sind anstrengend. Wöchentlich alle Flaschen entkorken, in Reih und Glied aufstellen, eingiessen, beschnuppern, schlürfen, spucken. Argumente für die Absagen notieren. Routine.

Zum Glück gibt es Ausnahmen. Die Degustation des besagten Corbières werde ich nicht vergessen. Zuerst glaubte ich, Flaschen vertauscht zu haben. Als ich sicher war, dass alles seine Richtigkeit hat, habe ich unsere sechs Weinexperten zusammengetrommelt und ihre Meinung eingefordert. Und selten waren wir uns so einig, eine Perle gefunden zu haben.

Am Fuss des Montagne d‘ Alaric (im Hintergrund) reifen edle Gewächse in steinigen Böden.
Am Fuss des Montagne d‘ Alaric (im Hintergrund) reifen edle Gewächse in steinigen Böden.

Als ich wenige Wochen später mit dem Dorfarzt Jean Lignères und seinem Bruder, dem Zahnarzt Paul, durch ihre Weinberge spazierte, wurde mir vieles klar. Die Herzen der Brüder, die vor etlichen Jahren das Weingut von ihren Eltern übernommen und auf biologischen Anbau umgestellt haben, schlagen in erster Linie für ihren Wein. Solche Weinberge hatte ich nie zuvor gesehen. Am Fuss des Montagne d‘ Alaric wurzeln in wilder Garrigue-Landschaft alte, knorrige Buschreben auf Böden, die zu Abertausenden mit grossen Kalksteinen übersät sind. Erstaunlich, dass in solchen Steinwüsten Spitzenweine wachsen können!

Die Kraft der Natur, die mich im Weinberg überwältigt hatte, fand ich später im Weinglas wieder. Noch nie hatte ich im Languedoc Weine dieser Preisklasse von so grossartiger Eleganz, Balance und Finesse verkostet. Es wurde ein langer, geselliger Abend auf der Gartenterrasse von Jean und Anne Lignères. Bei feinster hauseigener Küche und einer Degustation durch das ganze Sortiment philosophierten wir über biologischen Weinbau und stellten fest, dass sich unsere Vorstellungen weitgehend decken. Damit war der Weg für eine rasche Zusammenarbeit geebnet.

Emil Hauser von Delinat (links) zu Gast bei der Winzerfamilie Lignères.
Emil Hauser von Delinat (links) zu Gast bei der Winzerfamilie Lignères.

Schon lange ist mir bewusst, hier ein goldenes Händchen gehabt und einen echten Glücksgriff gemacht zu haben. Deshalb freut mich die Auszeichnung der Domaine Lignères durch den wichtigsten Weinführer Frankreichs jetzt ganz besonders. Die beiden Sterne, welche «La revue du vin de France» in ihrem Guide der besten Weine Frankreichs vergeben hat, zeichnen die konstant sehr hohe Qualität der Lignères-Weine aus.

«Le guide des meilleurs vins de France» erscheint jedes Jahr. Zwei Sterne werden an hervorragende Weingüter vergeben, die nicht selten über ein traumhaftes Terroir verfügen, das sie regelmässig für die Erzeugung herausragender Weine nutzen. Die höchste Auszeichnung mit drei Sternen wird nur an ganz wenige Weingüter Frankreichs verliehen.