Feine Spürnase

Wir trinken gerne Wein, aber wenn wir festhalten wollen, wonach ein Wein riecht, lässt uns die Nase im Stich. Mehr als «gut, fein oder intensiv» schaffen wir nicht. Dabei lässt sich unser Geruchssinn trainieren – auf abwechslungsreiche und unterhaltsame Weise.

Ein Produkt lebt von seiner Geschichte. «Storytelling» nennt sich das heute. Doch schon vor 40 Jahren lieferte Delinat zu jedem Wein seine Geschichte. Insbesondere ab 1987 mit dem DegustierService. Nebst Herkunft, Art der Weinbereitung, Traubensorten und passenden Speisen gehört seither ein Geruchs- und Geschmacksprofil (Degustationsnotiz) zu jedem Wein. Wenn wir diese Gaumen- und Naseneindrücke nachvollziehen können, erhöht das den Genuss. Der Wein erhält ein unverwechselbares Profil. Ein Weinaroma besteht aus einigen Hundert Duftstoffen. Idealerweise trainieren wir unsere Nase zuerst mit einfacheren Düften. Das schärft unseren Geruchssinn – gemäss Gehirnforschung verbessert sich auch das Gedächtnis.

Riechen, wie geht das?

Unser Geruchssinn lässt sich trainieren

Unser Geruchssinn ist mässig, Hunde und Mäuse riechen viel besser als wir. Wir verlassen uns im Alltag mehr auf Augen und Ohren, die Nase vernachlässigen wir gerne. So dichtete der Humorist Heinz Erhardt: «Wenngleich die Nas’, ob spitz, ob platt, zwei Flügel – Nasenflügel – hat, so hält sie doch nicht viel vom Fliegen; das Laufen scheint ihr mehr zu liegen.»

Wie funktioniert denn unsere Nase? Beim Einatmen gelangen Duftmoleküle zur Riechschleimhaut in der Nasenhöhle. Hier sitzen rund 30 Millionen Riechzellen (Neuronen), versehen mit ca. 350 verschiedenen Duftsensoren. Via Nervenfasern (Axone) gelangt die Duftinformation in den Riechkolben in der Grosshirnrinde und von da in die Riechrinde. Erst jetzt wird uns der Duft bewusst; von hier aus gibt es auch direkte Verbindungen ins Limbische System, unser Gefühlszentrum. Hier wird der Duft mit unseren Erfahrungen und Erinnerungen verglichen. Dazu der Geruchsforscher und Zellbiologe Prof. Hanns Hatt von der Uni Bochum: «Bei Gerüchen spielt der Verstand keine Rolle. Das Gehirn erkennt jeden Geruch, den es abgespeichert hat. Wird er aufgerufen, wird auch die dazugehörige Stimmung wiederholt. » So verspüren wir bei Duft von frischgebackenem Brot Appetit, bei Fäulnisgeruch Ekel.

Ausdauer und Spass

Wir können Tausende von Düften unterscheiden und erkennen, schwer fällt es uns hingegen, Düfte zu benennen: Ein geübter Weinsommelier schafft vielleicht 200; Parfümeure nach jahrelangem Training bis zu 3000. Fürs Training braucht es also Ausdauer – aber Spass ist auch wichtig. Bewährt haben sich folgende Varianten:

Duftfläschchen

Ätherische Öle eignen sich gut fürs Geruchstraining. Zirka sechs Düfte reichen: zum Beispiel Zitrone, Ananas, Rose, Lavendel, Schokolade, Zedernholz. Morgens und abends riechen wir daran. Woran erinnert uns der Duft? Wie heisst er? Auch wenn wir nach einiger Zeit die Düfte kennen, lohnt es sich, damit weiter zu trainieren. So stärken wir Geruchssinn und Gedächtnis. Schnuppern, also stossweises Riechen, ist wirkungsvoller als langsames Einatmen. Wenn wir zu lange an den Düften riechen, versagt unser Geruchssinn. Ein «reset» hilft, beispielsweise frische Luft einatmen oder an Kaffeebohnen riechen.

Duftfläschchen helfen beim Trainieren des Geruchssinns

Statt einzelner Düfte sind Duftklassen einfacher zu erkennen. Beispielsweise die Grundgerüche nach Aromaforscher Günther Ohloff: blumig, fruchtig, grün, würzig, holzig, harzig, animalisch und erdig. Für eine Weinbeschreibung reicht «blumig, mit einer würzigen Note» vollkommen. Wer mehr punkten will, muss länger trainieren.

Duftproben

Gut geeignet sind auch selbst hergestellte Düfte: fein gemörserte Gewürze und Kräuter oder Säfte. Die können auch gleich zum Kochen verwendet werden.

Der Nase nach

Eindrücklich ist auch ein Geruchsspaziergang, bei dem wir Duftobjekte suchen und intensiv daran riechen: Baumrinden, Blumenwiesen, feuchte Erde, Pilze.

Küchenschnüffler

Ein ideales Geruchstraining ist Kochen. An Speisen und Getränken riechen stärkt unseren Geruchssinn. Und der Geruch von Speisen führt uns auch zur Wahl des dazu passenden Weins – oder umgekehrt: Das Geruchs- und Geschmacksprofil eines Weins gibt vor, was wir dazu idealerweise essen sollen.

Übrigens: Eine Weinsorte kann man sich gut einprägen, wenn wir während dreier Monaten ausschliesslich Weine dieser Sorte trinken. So speichert unser Gedächtnis die Geruchs- und Geschmackseindrücke und, plötzlich erkennen wir diese Weinsorte «blind». Wein degustieren ist also hohe Schule. Beginnen wir mit einfacheren, klaren Düften. Üben wir täglich und werden wir langsam zu Spürnasen.

Ist Degustieren eine Kunst?

Natürlich ist Weindegustieren keine Kunst, aber unser Geschmack ist individuell und wird durch Erfahrungen und Erinnerung geprägt. Letztlich lässt sich über Geschmack prächtig streiten, und gerade hier setzt der Delinat-Basiskurs «Die Kunst des Degustierens» an: Erlernen Sie die richtige Degustationstechnik. Schulen Sie Ihre Nase und Ihren Gaumen. Der praktische Teil beginnt mit einem Parcours durch zehn verschiedene Aromen, die beim Weindegustieren eine wichtige Rolle spielen. Die verschiedenen Weinaromen aus dem Aromenkoffer «Le nez du vin» helfen dabei. Der Delinat-Basiskurs wird seit zehn Jahren in vielen Städten in der Schweiz und Deutschlands angeboten. Mehr Informationen finden Sie unter: www.delinat.com/basiskurs

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Holunderduft oder Katzenpipi

Über Gerüche und Geschmack kann man sich streiten, und nicht jeder empfindet süss, sauer, salzig oder bitter gleich stark. Unsere Sinneswahrnehmungen sind individuell geprägt. Darum lässt es sich auch genüsslich über einen Wein diskutieren.

Beschreiben wir einen Wein, dann schildern wir meistens Sinneseindrücke: Er duftet fein, ist rassig und kräftig. Den feinen Duft registriert die Nase, also unser Geruchssinn. Rassig, das heisst eher säurebetont, sagt unser Geschmackssinn. Der kräftige Eindruck stammt vom hohen Extraktgehalt, vor allem vom Tannin. Es wird vom Tastsinn (pelzig) und vom Geschmackssinn (bitter) registriert. Die Sinneswahrnehmungen unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Ebenso könnte der gleiche Wein so beschrieben werden: «Ich finde den Duft verhalten, er könnte intensiver sein, dafür ist mir der Wein zu sauer und am Gaumen zu kratzig.» Warum dieser grosse Unterschied? Unsere Sinnesrezeptoren sind unterschiedlich entwickelt und auch genetisch geprägt. Ein Beispiel: Nicht jeder Gaumen produziert gleich viel Speichel; je weniger, umso stärker attackiert das Rotweintannin die Schleimhäute.

Superschmecker

Die Forscherin Linda Bartoshuk untersuchte, wie viele Geschmacksknospen die Zunge des Menschen enthält. Sie stellte fest, dass diese Anzahl beträchtlich variiert. Je mehr Knospen, umso besser schmecken wir. Bartoshuk unterscheidet drei Gruppen von Schmeckern: Supertaster, Normaltaster und Nontaster. Besonders deutlich zeigte sich der Unterschied bei bitterem Geschmack, doch auch bei süss, sauer, salzig und umami (fleischig und herzhaft) ist die Anzahl Knospen ausschlaggebend für unser Geschmacksvermögen.

Wunderschön stinkig

Auch der Duft wird unterschiedlich wahrgenommen. Die Medizin unterscheidet verschiedene Geruchsstörungen: Die Anosmie, das Fehlen des Geruchssinns, die Hyposmie, der schwache, sowie die Hyperosmie, der übersteigerte Geruchssinn. Dann die Geruchsagnosie: Gerüche können nicht erkannt und benannt werden. Beschwerlich wird es auch bei der Kakosmie, bei der ein Wohlgeruch als stinkig empfunden wird, und umgekehrt bei der Euosmie: Ein übel riechender Wein entzückt die Nase. Beinahe unheimlich wird es bei der Phantosmie, dem Riechen von Gerüchen, die gar nicht da sind. Beruhigender ist dagegen die Entdeckung von Forschern, dass Verliebte salzig und sauer stärker empfinden, süss und bitter dagegen schwächer. Riechen ist sehr individuell und lässt gerade beim Weindegustieren viel Raum für interessante Gespräche.

Gerüche wecken Emotionen

Und noch etwas beeindruckt: Wir erinnern uns nach Jahrzehnten noch an Gerüche: Düfte aus der Kindheit, wie beispielsweise Omas Apfelkuchen. Gerüche gelangen direkt ins limbische System unseres Gehirns, das für Emotionen zuständig ist. Bevor wir einen Duft benennen können, müssen wir ihn einmal gerochen haben. Wer eine Katze hat, umschreibt den Duft von reifem Holunder schon mal als Katzenurin, in Weinkreisen vor allem bekannt beim Sauvignon Blanc.

Unser Wohlbefinden hängt stark ab von unseren Gefühlen, von unseren Sinneseindrücken. Es lohnt sich, schwach ausgebildete Sinne zu trainieren. Ein Grund mehr, Wein nicht einfach zu trinken – sondern bewusst zu geniessen; darauf zu achten, was bei einem Wein besonders auffällt. Was uns gefällt und warum. So bringt uns ein Glas Wein bis ins hohe Alter ein Stück Lebensfreude.

Tipps zur Geruchsschulung
An Getränken und Speisen riechen – und den Geruch beschreiben (= speichern)

Wein-Degustationsnotizen lesen – und mit eigenen Wahrnehmungen vergleichen

Dunkle Schraubgläser mit Gewürze füllen, regelmässig daran riechen und erraten, was es ist

Neue Düfte kennenlernen

Sich aufs Riechen konzentrieren: Sich Zeit nehmen. Störend dabei sind Hitze, Kälte, Lärm, grelles Licht und Fremdgerüche.

Durch die Stadt schlendern und bewusst Düfte wahrnehmen und beschreiben

Aromen kombinieren – Harmonie oder Kontrast?

Welche Aromen passen zu welchem Wein?

Unsere Nase ist mit 15 Millionen Riechzellen bestückt – pro Nasenseite. An diesen Riechzellen hängen gegen 400 verschiedene Arten von Duftsensoren, jeder programmiert auf eine Duftmolekülgruppe. Damit lassen sich Tausende von Düften unterscheiden. Das tönt kompliziert, funktioniert aber automatisch. Gespür ist hingegen gefragt, wenn Speisen kombiniert werden sollen. Zimt oder Vanille zum Apfelkuchen hat sich seit Jahrhunderten bewährt – Pfeffer auf Erdbeeren war vor 25 Jahren Mode. Und heute parfümieren Avantgardisten Lachs und Gurken mit Schokolade oder Forelle mit Kaffee. Noch kniffliger ist es, zu solchen Gerichten den richtigen Wein zu wählen, denn ein Wein besteht aus mehreren hundert Düften. Was wir in Degustationsnotizen lesen oder selber riechen, ist jeweils bloss ein klitzekleiner Anteil aller im Wein vorhandenen Düfte – also immer ein subjektiver Eindruck des Degustators.

kurzinfoWein und Speisen kombinieren
Welche Aromen passen zusammen? Wie funktioniert unsere Nase? Und welchen Wein trinke ich am besten zu welchen Speisen? Eine kurze Einführung in die Welt der Düfte.

Süsser Duft

«Der riecht süss, nach Honig», höre ich an Degustationen immer wieder. Eigentlich ist das nicht möglich, denn Süsse riechen wir nicht, sondern spüren sie auf der Zunge. Düfte dagegen erkennen wir einerseits beim Einatmen durch die Nase – aber auch «retronasal» via Gaumen. Aus Erfahrung wissen wir, dass Honig süss schmeckt und wie er riecht. Wenn nun Honigduft unsere Riechzellen erreicht, erinnern wir uns an den süssen Geschmack und stellen fest, «der riecht süss», meinen damit aber ein süsses Aroma, denn als solches bezeichnen wir Geschmack, Duft und Mundgefühl als Ganzes.

Duft nennen wir Eindrücke, die das olfaktorische Zentrum (rot) durch die Nase (orthonasal) erreichen (violett). Aromen gelangen retronasal via Gaumen (blau) zur Riechschleimhaut.
Duft nennen wir Eindrücke, die das olfaktorische Zentrum (rot) durch die Nase (orthonasal) erreichen (violett). Aromen gelangen retronasal via Gaumen (blau) zur Riechschleimhaut.

Harmonie oder Kontrast sind oft gehörte Tipps fürs Kombinieren von Speisen und Wein. Eine harmonische Kombination wäre demnach Paprikagemüse zu einem Cabernet Sauvignon, der nach ebendiesem Gemüse duftet. Ebenfalls einen Stammplatz in der Hitparade der Ratschläge hat «Regionales zu Regionalem»: Fendant zu Walliser Raclette oder Riesling zu Pfälzer Saumagen.

Riesling zu Rehrücken?

Bei der Wahl eines Weines zum Essen achte ich gerne auf Harmonie; so bin ich auf der sicheren Seite. Zum gegrillten Rindersteak passt ein Rotwein aus dem Barrique, die Röstnoten des Fleisches verlängern den Abgang des Weines. Zu Pilzgerichten wähle ich einen gehaltvollen Merlot; seine Noten von Waldboden und Heu harmonieren gut mit den Pilzen.

Kontraste dagegen sind riskant, können aber auch begeistern: Mirella, eine notorische Weissweinliebhaberin, wollte kürzlich partout nichts vom Pinot Noir zum Rehrücken wissen. Sie zog eine Riesling-Spätlese 2001 von Pflüger vor. Und wir beide behielten recht. Der Pinot Noir harmonierte prima mit dem Rehrücken, der Duft von roten Beeren belebte den etwas abgehangenen Fleischgeruch; der Riesling dagegen passte gut zur pochierten Birne mit Berberitzenkompott – die verschiedenen Fruchtnoten und die rassige Säure des Weines bescherten uns ein eindrückliches Erlebnis. Und erstaunlicherweise litten weder Fleisch noch Wein unter dieser Vermählung.

Auch die Temperatur von Wein und Speisen beeinflusst die Intensität der Aromen. Wein unter sechs Grad duftet kaum mehr; bei kalten Speisen dauert es eine Weile, bis sie sich am Gaumen entfalten. Wer zum Essen einfach ein Glas Wein trinken möchte, braucht sich nicht unbedingt den Kopf zu zerbrechen. Wer aber ein Gericht und den dazu servierten Wein in allen Facetten geniessen will, dem sei geraten: Studieren geht manchmal eben doch über Probieren.