Vielfalt statt Einfalt

Als Delinat vor fünf Jahren die zweite Biorevolution ausrief, stiess dies selbst in der Biobranche auf Unverständnis. Seither hat sich viel geändert. Inzwischen wachsen von Sizilien bis an die Mosel Tausende neuer Bäume, Obststauden und Hecken in den Rebbergen. Wildblumen locken Schmetterlinge, Vögel nisten, Aromakräuter duften, Echsen sonnen sich auf Steinhaufen. Neues Leben ist eingekehrt, Rebberge sind zu Weingärten geworden.

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Delinat ist damit zum bewunderten Vorreiter im europäischen Weinbau geworden. Während in den Einöden der konventionellen Weingüter die Aromenqualität der Trauben abnimmt und zugleich die Krankheitsanfälligkeit der Reben nach stets neuen Pestiziden ruft, schauen die Winzer renommierter Weinlagen nach Orientierung zu den Delinat-Winzern auf. Langsam tritt ins Bewusstsein, dass Terroir eben nicht eine magische Mischung aus Staub und Stein ist, sondern der lebende Zusammenhang von Pflanzen, Wurzeln, Insekten, Würmern und Milliarden Mikroorganismen, die untereinander in engem funktionellem Zusammenhang stehen.

Artenvielfalt im WeinbergDie Rebe ist keine Maschine, die chemische Dünger in lieblichen Wein verwandelt, sondern ein lebender Organismus, dessen Gesundheit und Kraft davon abhängen, dass im und auf dem Boden eine lebende Vielfalt herrscht, die verhindert, dass irgendein Schädling, seien es Traubenwickler, Mehltaupilze oder Wurzelnematoden, zur alles gefährdenden Plage wird. Während Monokulturen quasi Zuchtanstalten für Schädlinge sind, da alle natürlichen Feinde ausgerottet werden und die eingesetzten Pestizide eine Zuchtwahl der Stärksten begünstigen, stellen ausgewogene Ökosysteme den stabilsten natürlichen Zustand dar. Hier herrscht nicht nur ein Gleichgewicht zwischen Nützlingen und Schädlingen, sondern Schädlinge werden sogar zum Nützling von Nützlingen und tragen damit ihrerseits zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des gesamten Systems bei.

Im Idealfall würde ein Weinberg wohl gar kein Weinberg sein, sondern ein Garten mit Reben. Doch auch in der Landwirtschaft sind Ideale vor allem ein fruchtbarer Anstoss zum Hinterfragen und Überdenken von Prinzipien, an die man sich schon so lang gewöhnt hat, dass man sie für unantastbar hält. Ein Garten mit Reben ist natürlich herrlich zum Naschen und für Hochglanzprospekte, aber leider völlig ungeeignet, um Trauben für einen bezahlbaren Wein herzustellen. Die Ökologie ist Teil eines ökonomischen Systems und umgekehrt. Die Optimierung des einen darf also nicht zur Schwächung des anderen führen. Diesen ursprünglichen Zusammenhang von ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit hat Delinat von Beginn an verinnerlicht, und genau das war auch der Garant für das Vertrauen der Winzer, die gemeinsam mit Delinat diesen Weg beschritten haben und nun als Vorbilder für den europäischen Weinbau gelten.

Biologische Hotspots

MarienkäferBei Delinat rückte die Biodiversität bereits mit den ersten Richtlinien 1983 in den Vordergrund und war für die meisten Delinat-Winzer schon immer eine Herzensangelegenheit. Trotzdem war im Frühjahr 2009, als wir unseren Winzern die Pläne zur noch viel intensiveren Förderung der Biodiversität unterbreiteten, die Reaktion zunächst zwiespältig. Zum einen waren die Winzer natürlich begeistert von der Vorstellung blühender Weinberge im ökologischen Gleichgewicht. Zum anderen waren sie aber auch skeptisch, was den erhöhten Arbeitsaufwand und die Risiken für den Wasserstress und die Produktivität der Reben betraf. Zum Schlüsselerlebnis sowohl für die Winzer als auch für Delinat wurde hier die Anlage von biologischen Hotspots inmitten der Reben.

Im Seminar erklärten wir zunächst, wie bedeutsam für das Klima des gesamten Weinbergs solche Inseln der Biodiversität sind, wo Aromakräuter und Wildblumen blühen, Steinhaufen als Habitat für Eidechsen aufgeschichtet sind, ein Wildbienenhotel steht, Beerensträucher und ein Obstbaum die vertikale Diversität aufbessern. Gerade ein solcher Baum inmitten einer niederwüchsigen und kaum strukturierten Kulturfläche hat sowohl für Vögel als auch Insekten und andere Tiergruppen eine enorm hohe Anziehungskraft und fördert dauerhaft die Wiederbesiedlung des ökologischen Lebensraums. Biologische Hotspots fungieren wie ein Brückenkopf, der die Verbindung zum natürlichen Habitat rund um die Weinberge wiederherstellt und damit die Ausbreitung einer grossen biologischen Vielfalt im Weinberg fördert. Die Winzer hörten zweifelnd zu und überlegten, wie so etwas denn funktionieren soll, wenn Traktoren zur Bodenbearbeitung oder zum Spritzen durch die Reihen fahren. Nach der Theorie gingen wir hinaus in den Weinberg von Château Duvivier und legten gemeinsam mit den Winzern genau einen solchen Hotspot an. Als wir zeigen konnten, wie sich der Hotspot mit dem geschickten Anlegen von Fahrspuren und der Integration eines Fahrspurwechsels problemlos umfahren lässt, ohne die Mechanisierung der Weinbergsarbeit zu beeinträchtigen, hellten sich die skeptischen Mienen auf. Ein Lächeln trat auf die Lippen der Winzer: Das funktioniert! Und das, genau das ist das Entscheidende, es muss funktionieren, und nicht nur auf dem Papier.

GänseblümchenHeute finden sich auf jedem Delinat-zertifizierten Weingut Dutzende solcher biologischen Hotspots. Die Winzer haben sich nicht nur daran gewöhnt, sondern sie können sich ihre Weinberge gar nicht mehr anders vorstellen. Stolz zeigt der Winzer sie seinen Besuchern und freut sich, wenn sein Auge über die Weinberge schweift und die Bäume das Auge fesseln. Der Schlüssel zum Erfolg der zweiten Biorevolution war die praktische Umsetzung jeder einzelnen Massnahme. Es war keine Bürorevolution, sondern eine, die in enger Partnerschaft mit den Winzern und der Forschung unmittelbar auf dem Feld entwickelt und genau dort auch stets verbessert wurde. Wir haben keine Biologen angestellt, die Wildblumenarten nach einer Biodiversitätsklassifizierung zählen und von Computern in schicke Diagramme übersetzen lassen, sondern wissenschaftliche Praktiker und praktische Wissenschaftler engagiert, um mit den Winzern die Praxis zu verändern.

Das Bodenleben als Grundlage

Die Rebe herrscht über die Mikroorganismen in ihrer Wurzelsphäre wie über einen Kleinstaat. Damit sich dieser Kleinstaat jedoch herausbilden kann, müssen im gesamten Bodensystem die Voraussetzungen für einen stabilen Nährstoffzyklus gegeben sein. Regenwürmer, Arthropoden, Bakterien und Pilze brauchen zu ihrer Ernährung einen stetigen Nachschub an organischer Materie (Blätter, Halme, Zweige, Äste, Wurzeln, Knochen, Exkremente, Exsudate), die sie zersetzen, speichern und im Boden verteilen. Wo diese Nahrungsgrundlage fehlt, weil der Boden blank gespritzt, gepflügt, gebürstet, verdichtet und/oder abgewaschen ist, beginnt der Motor des Bodenlebens zu stottern.

Blumen im Weinberg

Um die Bodenaktivität zu fördern, braucht es eine Vielfalt an verschiedenen Pflanzen, deren unterschiedliche Inhaltsstoffe und Lebenszyklen den Boden das ganze Jahr über mit Nährstoffen versorgen und stimulieren. Aus diesem Grund sind neben der Hauptkulturpflanze (Rebe) zahlreiche Begleitpflanzen nötig, die nicht nur den Boden bedecken und oberflächlich schützen, sondern zahlreiche weitere Funktionen wie Humusaufbau, Bodendurchlüftung, Erosionsschutz und Abbau von Toxinen übernehmen.

Die artenvielfältige Begrünung

Entsprechend diesen Kriterien wurden 2009 im Auftrag von Delinat verschiedene Saatmischungen je nach Bodentyp und Klima entwickelt. Für jede Klimaregion sind die Saatmischungen aus je 40 bis 50 verschiedenen Pflanzenarten zusammengesetzt. Neben zahlreichen Nektarblütenpflanzen, die zum einen Schmetterlinge, Bienen, Käfer und andere Insekten anziehen, zum anderen aber auch die Bodenvielfalt durch sekundäre Pflanzenstoffe bereichern, besteht der Hauptanteil der Mischungen aus Leguminosen verschiedener Wurzeltiefe und Wuchskraft. Dank des hohen Anteils an Leguminosen fördert die Begrünung nicht nur die Biodiversität, sondern versorgt zudem die Reben mit natürlichem Stickstoff, wodurch Düngemittel eingespart werden.

Weitere Massnahmen zur Biodiversifizierung

EidechseAuch bei der verpflichtenden Einführung der Begrünung galt es, viel Flexibilität und Geschick zu zeigen. Zu viel Begrünung droht den Reben insbesondere Wasser und manchmal auch Nährstoffe streitig zu machen. Jeder Biowinzer kennt die Anzeichen, wenn eine Rebe wegen falscher oder zu üppiger Begrünung zu leiden beginnt. Mit Blühstreifen, alternierenden Begrünungen, Wintereinsaaten und neuen Bodenbearbeitungsmaschinen hat das Delinat-Beraterteam für jeden Winzer individuelle Lösungen geschaffen, sodass es heute von Sizilien und Andalusien bis an die Mosel keinen Delinat-Weinberg mehr ohne Begrünungssystem gibt.

Neben der Pflege artenvielfältiger Begrünung zwischen den Reben und der Anlage von biologischen Hotspots umfasst die Delinat-Charta für Biodiversität im Weinberg noch weitere Massnahmen wie die Anpflanzung von Sträuchern an den Zeilenenden, die Pflanzung von Hecken als Zwischenlinie in den Reben, die Anlage von Teichen, Brutkästen für Fledermäuse, Sitzstangen für Greifvögel und eine Vielzahl weiterer innovativer Elemente.

Wie kommt Biodiversität im Wein zum Ausdruck?

Schmetterling

Einen wissenschaftlichen Beweis, dass Reben, die in hoher Biodiversität heranwachsen, eine spürbar höhere Weinqualität ergeben, gibt es bisher nicht. Biodiversität kann man nicht kleinparzelliert einmal hoch und gleich daneben niedrig halten, um den Einfluss auf den Wein zu untersuchen. Schliesslich handelt es sich bei der zweiten Biorevolution um die Reorganisation des gesamten Ökosystems Weinberg. Allein schon ein Baum beeinflusst die Biodiversität im Umkreis von über 500 Metern und ein Blühstreifen die Hefepopulation vieler Zeilen. Ich bin der Überzeugung, dass die Delinat- Weine in den letzten fünf Jahren noch besser geworden sind, und die Weine jener Güter, die die höchsten Anforderungen an die Biodiversität erfüllen, die Aushängeschilder sind. Aber es könnte ja auch sein, dass die Winzer, die sich für hohe Biodiversität in ihren Weingärten entscheiden, einfach sensibler und näher an der Seele ihrer Weine sind und so stärker den Charakter und die Nuancen ihrer Weine formen. Für die Natur und damit uns alle hat es sich auf jeden Fall gelohnt.

Josep Maria Albet i Noya und Massimo Maggio sind unsere Biodiversitätswinzer des Jahres 2015. Setzen Sie ein Zeichen für mehr Artenvielfalt im Weinberg und bestellen Sie unser spezielles Probierpaket zum Delinat-Tag der Biodiversität (22. Mai). Es enthält drei Flaschen Weisswein von Albet i Noya und drei Flaschen Rotwein von Maggio. Sie erhalten die Weine zum Sonderpreis von CHF 12.70 statt 13.50 / € 9.20 statt 9.90. ->Zum Angebot

WeinLese 38 Angebot

Der Weinberg als Tummelfeld für Nutztiere

Noch vor 50 Jahren waren die meisten Winzer wie selbstverständlich auch Tierhalter. Nicht nur, dass sie auf Pferde oder Maulesel als Zugtiere angewiesen waren, sie hielten zur Eigenversorgung und zur Düngemittelproduktion je nach Gegend auch verschiedene Haustierarten. Wegen der knappen Weideflächen wurden auch die Weinberge wie selbstverständlich als Futtergrundlage genutzt und dabei zugleich der Aufwand für den Misttransport vom Stall zum Feld reduziert.

Was sich da einst so tummelte…

Je nach lokalen Voraussetzungen (Stockdichte, Erziehungssystem, Lage) kam es zu verschiedenen saisonalen Weidefolgen zwischen den Reben. Nach der Weinlese konnte und sollte neben der im Herbst aufgelaufenen Begrünung auch das Reblaub verwertet werden, was insbesondere Schafen und teilweise sogar Kühen Zugang zu den Rebflächen verschaffte.

Schafe weiden im Weinberg

Nach der Schneeschmelze wurden zum Unterhalt der Begrünung wiederum Schafe und gern auch Schweine, oft sogar beide Tierarten gemeinsam eingesetzt.

Mit Beginn des Austriebs der Reben mussten die Schafe jedoch rasch abgezogen werden, da sie eine besondere Vorliebe für frische Knospen und junge Blätter haben. Einigen Winzern soll es gelungen sein, ihren Schafen das Fressen von Rebblättern durch das Spritzen von wermuthaltigen Kräuterextrakten abzugewöhnen, aber für viele war dieser Aufwand wohl zu gross und das Ergebnis zu riskant. Schweine mussten spätestens beim Farbumschlag der Trauben abgezogen werden, da die Beeren für sie schon bei leicht süssem Hauch ein vorzüglicher Genuss sind. Ziegen sind für den Weinbau leider gänzlich ungeeignet, da sie zu gern an Rinde und Holz knabbern und damit die Reben langfristig schädigen.

Über die ganze Wachstumssaison nützlich und damit als besonders geeignete Tierarten gelten seit jeher Hühner und Gänse, was sogar schon im ältesten Lehrbuch der Landwirtschaft, bei Cato dem Älteren, geschrieben steht. Der Weinberg muss dafür aber nah genug am Hof bzw. am Stall gelegen sein, da die Hühner und Gänse nachts in Sicherheit gebracht und auch tagsüber vor Greifvögeln, Füchsen und Hunden geschützt werden müssen. Letzteres wurde am besten durch Mischherden mit Schafen oder/und Schweinen erreicht. Allerdings ergänzen auch Hühner ihr Futter gern mit reifen und unreifen Trauben, was, wie schon oben genannter Cato wusste, durch das Füttern von durchgeseihten grünen Trauben abgewöhnt werden kann.

Nutzen der Tiere

Nutztiere im Weinberg haben den Vorteil, dass sie sich effizient um die Begrünung kümmern, diese in wertvollen organischen Dünger umwandeln und zudem Sekundärprodukte wie Eier, Milch, Wolle und Fleisch liefern.

Gans im Weinberg

Durch ihre Anwesenheit im Weinberg sorgen sie zudem für eine deutlich höhere Vielfalt an Mikroorganismen, was die Gefahr von Schädlingen minimiert. Die Mikroorganismen im Dung sorgen in Kombination mit dem Niedertrampeln der Begrünung für die Förderung des Bodenlebens sowie für Schutz und Aufbau von Humus. So sinnvoll die Verbindung von Weinbau und Tierhaltung auch erscheint, vor etwa 50 Jahren starb die Nutzung der Rebflächen für Nutztiere quasi aus. Dies jedoch nicht vordergründig wegen des erheblich höheren Aufwands im Vergleich zur Weide und zur Stallhaltung, sondern vor allem aufgrund der immer häufigeren Spritzungen giftiger Pflanzenschutzmittel. Die extrem hohen Einsatzmengen an Schwefel und Kupfer, wie sie damals üblich waren, sowie die schon bald darauf üblich gewordenen chemischen Pestizide vergifteten den Tieren das Futter. Erschwerend kam noch hinzu, dass man die Begrünung lieber mit Herbiziden unterdrückte, anstatt sie mit entsprechendem Aufwand nutzbringend zu pflegen. Will man heute wieder Nutztiere im Weinbau einsetzen, gelten folglich als Voraussetzung eine gezielte, nährstoffreiche Begrünung sowie der Verzicht auf Pestizide und die Reduktion von Kupfer und Schwefel auf absolute Minimalmengen.

Zwergschafe im Weinbau

Auf unserem Weingut Mythopia im Wallis werden seit acht Jahren im Frühjahr Schafe zum Unterhalt der Begrünung eingesetzt. Da die Begrünung in der Regel zwei Monate vor dem Austrieb der Reben in vollem Wuchs steht, können kleine Schafherden hier sehr effizient und ohne grossen Aufwand eingesetzt werden.

Schafe im Weinberg

Diese zwei Monate sind allerdings zu kurz, als dass sich eine eigene Schafherde lohnen würde. So kommen Kleinherden von regionalen Schäfern zum Zug. Bei einer Reihe von Delinat-Winzern in südlicheren Lagen (Lignières, Duvivier, Quaderna Via) verbringen ebenfalls schon seit einigen Jahren grössere Schafherden die Winterzeit zwischen Ernte und Austrieb in den Reben. Die meiste Arbeit mit der Begrünungspflege fällt jedoch auf die Monate von Mai bis Anfang August. Deshalb haben wir im Frühjahr 2013 auf Mythopia einen Versuch mit Zwergschafen der Rasse Ouessant gestartet. Er soll Möglichkeiten aufzeigen, Tiere auch in dieser intensiven Zeit der Begrünungspflege einzusetzen. Der entscheidende Vorteil der Rasse besteht darin, dass die Tiere zu klein sind, um an die Knospen und Rebblätter heranzureichen. Sie fressen daher nur die Begrünungspflanzen und die an den Stämmen wachsenden Seitentriebe. Letzteres bedeutet eine zusätzliche Arbeitsersparnis, da der Arbeitsgang des Stammputzens wegfällt.

Erheblicher Aufwand

Die kleine Schafherde (zunächst nur fünf Zwergschafe) wird mit einem Elektrozaun vor Füchsen und Hunden geschützt. Die Installation dieser Zäune ist in den engen Rebenreihen etwas aufwändig. Einmal installiert, lässt sich die Herde jedoch relativ rasch von einem Weinberg zum nächsten umweiden. Bei einer Begrünungsintensität, wie sie auf Mythopia anzutreffen ist, sind in der Hauptvegetationszeit pro Zwergschaf etwa 200 m2 Rebfläche notwendig, in der Nebensaison braucht es gut doppelt so viel und im Winter natürlich zusätzliches Heufutter. Die Erfahrungen, die wir im ersten Jahr mit den Zwergschafen gemacht haben, sind im Ganzen gesehen als durchaus positiv zu bewerten. Es sollten allerdings grössere Herden vorgesehen werden, da sich solche viel leichter von Weinberg zu Weinberg umsetzen lassen. Bisher einziger Wermutstropfen dieses Versuchs ist, dass die Tiere die Stämme der jungen Apfelbäume sowie die Büsche an den Zeilenenden benagt haben. Für diese müssen wir im nächsten Jahr einen geeigneten Schutz anbringen, was kein unerheblicher Mehraufwand ist. Für Vegetarier und Winzer mit Kindern, die schnell eine besondere Beziehung zu den niedlichen Schafen aufbauen, kann an eine wirtschaftliche Nutzung der Tiere mit Hilfe des Metzgers freilich nicht gedacht werden. Und nur für die natürliche Düngung lohnt sich der ganze Aufwand auch nicht.

Mobiler Hühnerstall

Huhn im WeinbergWirtschaftlich interessanter scheint da schon die Haltung von Hühnern zwischen den Reben. Zu diesem Zweck haben wir einen mobilen Hühnerstall gebaut. Wie einen grossen Wohnanhänger können wir den Stall so alle drei Wochen von Parzelle zu Parzelle fahren, um den Hühnern stets grünen Auslauf und einen hygienischen Stallvorhof zu bieten. Ausgestattet ist der mobile Stall mit einer solargesteuerten Tür, die sich morgens öffnet und abends bei Einbruch der Dunkelheit automatisch wieder schliesst. Auf diese Weise sind die Hühner weitestgehend autonom. Wir müssen nur jeden zweiten Tag nach dem Rechten sehen, einige Essensresten und Körner als Zusatzfutter bringen und natürlich die gelegten Eier einsammeln.

Der Elektrozaun hat bisher alle vierbeinigen Räuber fernhalten können. Grössere Probleme bereiten Bussard und Adler, die nach etwa drei Wochen auf den Geschmack gekommen waren. Erst als wir mehrere Spiegel in der Nähe des Stalls und auf dessen Dach anbrachten, einige Schutznetze befestigten und Silberpapier aufhängten, waren die Greifvögel schliesslich irritiert genug, um aufzugeben. Seither haben wir kein Huhn mehr verloren. Der Aufwand ist freilich erheblich, da die Hühnerweide ja regelmässig gewechselt wird.

Reicher Eiersegen

Die 30 Hühner legten im Schnitt knapp 30 Eier am Tag. Die Versorgung der Hühner liegt traditionell in den Händen der Kinder, und so dürfen sie auch einmal pro Woche die Eier auf dem Markt in Sion verkaufen. Seit dem Sommer haben sie sich so schon ein erkleckliches Taschengeld mit «ihren» Hühnern erwirtschaftet. Rechnet man den Hühnerversuch im Weinberg auf die natürliche Flächenkapazität hoch, so könnten leicht 150 Hühner pro Hektar gehalten werden. Das ergäbe rund 40 000 Eier pro Jahr und Hektar. Bei einem Biopreis von 50 bis 80 Rappen pro Stück im Direktverkauf, klingt dies nach einem beachtlichen Zubrot für den ökologisch arbeitenden Winzer. Aber 150 Hühner, die alle drei Wochen umgesetzt, vor Greifvögeln geschützt, denen zugefüttert, deren Stall ausgemistet, die im Winter versorgt, gesund erhalten und deren Eier vermarktet werden müssen, machen auch beachtlich viel Arbeit, die mit dem Metier des Winzers nur entfernt zu tun hat. Ausserdem können die umzäunten Flächen nur mühsam mit Maschinen befahren werden. Alle Arbeitsschritte im Weinberg sind behindert und brauchen mehr Zeit. Früher oder später wird sich der Winzer so fragen, warum er sich dies antut und die Hühner nicht auf einer Fläche hält, wo sie niemanden stören. Und ausserdem will er ja noble Weine an Operngänger und nicht alltägliche Eier an Hausfrauen verkaufen.

Kurz, die Idee ist wunderbar, und in Notzeiten sind Hühner sicher eine Möglichkeit, die Flächen besser zu nutzen. In einer Welt der Arbeitsteilung und des Zwangs zu wirtschaftlicher Effizienz werden Hühner im Weinberg allerdings weiterhin eine Seltenheit bleiben. Für einige wenige Familienhühner, die Kinder Verantwortungsgefühl lehren und Taschengeld bringen sowie die Essensresten aus der Küche verwerten, ist der Weinberg ein schöner und geeigneter Ort. Für eine wirtschaftliche Nutzung im Sinne einer Sekundärkultur wohl eher nicht …