Artenschutz in den Delinat-Richtlinien

Weinberge von einst glichen Naturparadiesen. Zwischen Reben wurden Obstbäume, Beeren und Gemüse gepflanzt, Hühner und Schafe hielten das «Unkraut» in Schach. Erst Monokulturen brachten die grossen Probleme, an denen noch heute der Weinbau krankt: Die Rebe als alleinige Pflanze ist Eindringlingen hilflos ausgeliefert. Stabilität kann nur durch Vielfalt erreicht werden. Dieser Grundsatz, der schon seit Beginn den Kern der Delinat-Methode bildet, ist mit der Ausgabe der Richtlinien 2017 um zwei Aspekte präziser geworden.

Wiedehopf
Wenige Jahre nach grosszügiger Pflanzung von Büschen und Bäumen, dem Anlegen von Stein- und Holzhaufen zwischen und um die Reben ist beim Weingut Roland Lenz im Thurgau der Wiedehopf zurück gekehrt.

Zum einen müssen Delinat-Winzer neu Buch führen über seltene Arten, die in ihrer Region eine Chance für die Wiederansiedlung und Vermehrung haben. Die Weinbauern müssen Massnahmen unternehmen, diese Arten in und um ihre Weinberge zu fördern. Zum Beispiel können gezielt Pflanzen gesät werden, deren Nachbarschaft die seltenen Kräuter, Blumen oder Sträucher mögen oder die als Nahrung von seltenen Insekten, Vögeln, Reptilien dienen. Massnahmen und Fortschritte werden notiert, einfach und unbürokratisch.

Neophyten bedrohen die Biodiversität

Der zweite Aspekt des neuen Artenschutz-Kapitels in den Delinat-Richtlinien regelt den Umgang mit eingeschleppten, invasiven Arten. Pflanzen nennt man «Neophyten», Tiere «Neozoen». Sie verursachen mehr Schäden, als bislang angenommen wurde und die Plage nimmt rapide zu. Auch wenn es darunter giftige Arten wie den Riesen-Bärenklau gibt, der bei Hautkontakt schwere Verbrennungen auslösen kann, so ist das Hauptproblem ein anderes: Die extrem rasche Ausbreitung der «Einwanderer». Wenn der Mensch nicht eingreift, können invasive Arten die einheimischen innerhalb weniger Jahre verdrängen. Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich: Wenn eine Art zurück gedrängt wird, fehlt es spezialisierten Insekten an Nektar und Pollen, Kleintieren an Beute, in Symbiose lebenden Partnern an der Lebensgrundlage. Mit jeder von Invasoren zurück gedrängten einheimischen Art folgt ein grosses Sterben weiterer Arten und eine Verarmung der Biodiviersität.

Ambrosia
Das Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia) wurde unbeabsichtigt aus Nordamerika eingeführt und wächst nun bei uns in Gärten, an Strassenrändern oder Bahndämmen. Es verursacht erhebliche Schäden in der Landwirtschaft, da es die Pflanzen konkurrenziert und die Ernte erschwert. Seine Pollen wirken stark allergisierend und können Asthmaanfälle auslösen (Quelle: Neophyt.ch).

Die Delinat-Richtlinien 2017 schreiben daher vor, dass Winzer die in ihrer Region bekannten invasiven Arten kennen und Vorkehrungen gegen ihre Verbreitung in und um die Weinberge treffen müssen.

Laubholzbockkäfer
Der Asiatische Laubholzbockkäfer wurde durch den Holzhandel und Bonsais aus Ostasien eingeschleppt. Er befällt und schädigt viele Laubbäume und wird so zum Problem für das Ökosystem. Er wird zu den hundert schädlichsten Invasoren gezählt und verursachte in den USA bereits Schäden in Höhe von 150 Millionen Dollar. Seit 2015 werden Freilandbefälle in Deutschland, Österreich und der Schweiz registriert (Quelle: Wikipedia).

Beide neuen Richtlinien-Punkte präzisieren das Delinat-Kernthema. Denn Vielfalt ist nicht gleich Vielfalt. Wichtig ist die Qualität der Artenvielfalt. Im Fall von Neophyten bedeutet eine auftauchende neue Art fast immer einen darauf folgenden Schwund einheimischer Arten und somit eine ärmere Biodiversität.

Die Delinat-Richtlinien-Entwicklung

Jahr für Jahr gibt es neue Anforderungen, die in die Delinat-Richtlinien aufgenommen werden. Diese schreibt Delinat aber nicht einfach vor. Sie werden zuerst von Experten beurteilt. Wenn diese den Nutzen anerkennen, dann werden als nächstes die Delinat-Winzer befragt. Sie haben stets einige Monate Zeit, Stellung dazu zu nehmen, Einwände vorzubringen und allfällige spezifische Problemfälle aufzuzeigen. Im Zweifel wird die Aufnahme der neuen Punkte in die Richtlinien um ein Jahr verschoben. Erst wenn wir sicher sind, dass die meisten Delinat-Winzer keine gravierenden Probleme mit den neuen Anforderungen bekommen und der Nutzen unbestritten ist, werden die Punkte in die Richtlinien aufgenommen. Es ist also ein demokratischer Prozess, der allerdings oft etwas Druck braucht, damit die Entwicklung weiter geht und das Regelwerk sich laufend verbessern kann.

Karl Schefer

13 comments

  1. Als Ökologe würde ich auch Vorsicht anraten. Vieles regelt sich über die Jahre von selbst. Bei Neophyten oder Neozoon ist das ebenso. Manche verschwinden nach einigen Jahren wieder, andere dagegen sind sehr widerstandsfähig und machen Probleme. Trotzdem sollten wir unseren Prinzipien (den Delinat-Richtlinien) treu bleiben. Solange keine erheblichen wirtschaftlichen Schäden entstehen, bzw. diese durch ökologisches Wirtschaften vermieden werden können, ist alles in Ordnung. Erst wenn das nicht mehr gewährleistet ist, und Winzer aufgrund von Neozoon oder Neophyten unter Berücksichtigung der Delinat-Richtlinien in Konkurs gehen, dann müssen wir uns über weiteregehende Maßnahmen Gedanken machen. Erst dann !!

  2. Vor lauter Fremdpflanze und Fremdkäfer ist der wunderschöne Wiedehopf zuoberst fast vergessen gegangen, den sähe ich gerne auch in meinem Garten!
    Möge er doch ab und zu ein asiatisches Menu, wie wir, das wäre eine Lösung gegen den Bockkäfer 😉

    1. Neophyten sollten möglichst sofort nach dem Entdecken mechanisch entfernt werden. Manche müssen ausgegraben werden, bei anderen reicht ein wiederholtes Jäten und/oder Mähen. Wichtig ist, dass der Eingriff vor der Blüte geschieht, weil man sonst durch die Manipulation der Saat hilft, sich zu verbreiten. Pflanzen lassen sich in Weinbergen relativ gut kontrollieren.

      Bei Insekten und Kleintieren ist das schwieriger. Hier gilt der Grundsatz, dem Eindringling möglichst wenig Lebensgrundlage zu bieten (Wohnräume, Nahrung usw.). Dazu braucht es Kenntnisse der Biologie der Spezies, gute Beobachtung und viel Geduld.

  3. Gute Weinkenner bei Delinat wissen um die Wichtigkeit einer gesunden Pflanzen-Symbiose und deren hohe Verletzbarkeit.

    Zum Beitrag von F.J. Stengel: Der Import einer fremden Pflanzenart hat nichts mit Evolution zu tun, sondern eben mit Import.
    Zum Beitrag H. Denzler: Ein afrikanischer Asylbewerber hat sich genau wie ein Deutscher oder ein Schweizer an Bedingungen in einem hiesigen Rebberg zu halten, das ist hier gar kein Thema.

    Max Reutlinger zeigt, wie es geht: Aermel hochkrempeln, zupacken, den Schaden in Grenzen halten. Danke für Ihren Beitrag!

  4. Höre ich da bereits eine gewissen Resignation aus einigen Kommentaren? Das wäre sehr schade. Sollen wir denn einfach akzeptieren, dass eine durch uns Menschen selbst herbeigeführte Fehlentwicklung unsere ureigenen Ideale bedroht? Hätte Bio-Weinbau und Biodiversität mit einer solchen Einstellung überhaupt je eine Chance gehabt? Wo stünde die Menschheit und unsere Natur wohl bereits heute, wenn es nicht immer wieder Mutige gäbe, die sich Missständen entgegenstellen, wie zum Beispiel Herr Schefer und seine Mitstreiter?

  5. Ich denke, wir können auf Dauer nicht gegen die Natur arbeiten.
    Sie wird immer Sieger bleiben.
    …. die Evolution geht ihren Weg.
    Das ist der Preis der Globalisierung.

  6. Durch die weiter zunehmende Globalisierung und Klimaveränderung wird sich auch die „Biodiversität“ in diesem Rahmen ändern bzw. weiterentwickeln. Wäre es daher nicht auch ein langfristiges Ziel in der „Biodiversität «Neophyten» und «Neozoen» mitzudenken, da sie sich nicht vermeiden lassen werden?

  7. Das Problem sehe ich darin wie man diesen ungebetenen Gästen ohne Einsatz von Chemie Herr wird, und letzteres würde wiederum der Delinat-Philosophie wider-sprechen.
    Mit freundlichen Grüßen aus der Wachau
    Otto Backknecht

    1. … durch ausrupfen. Ich mache das seit vielen Jahren in einem Naturschutzgebiet. Das drüsige Springkraut und das einjährige Berufskraut lassen sich so einfach eliminieren. Schwieriger ist es bei der Goldrute und dem Japanknöterich, weil ein kleiner Wurzelrest genügt, dass sie wieder austreiben. Die verlangen Ausdauer.

      Mit freundlichen Grüssen
      Max Reutlinger

      1. Das mache ich genau so und habe beim drüsigen Springkraut Erfolge erzielt. Voraussetzung ist, dass man rasch eingreift, bevor die befallene Fläche zu gross wird. Personen, die zufällig vorbeigehen kann man aufklären und zum Mitmachen animieren.
        Zum Glück ist der lokale Forstbetrieb auf Draht und kämpft mit.

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