Wie schlimm war der Spätfrost bisher?

Der Weinstock treibt seine ersten zarten Spitzen, die Temperaturen gehen unter null: Der gefürchtete Spätfrost hat dieser Tage einige unserer Delinat-Winzer heimgesucht. Vom österreichischen Burgenland bis an die deutsche Mosel hat der Spätfrost grosse Schäden verursacht. Ein Problem, das mit dem Klimawandel leider verstärkt auftritt.

Die Reben treiben Jahr für Jahr früher aus. Grund dafür sind die milden Temperaturen während der Wintermonate. Der vergangene Winter war in Europa der wärmste seit Messbeginn. Der Austrieb war mancherorts Wochen früher zu beobachten, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Mit dem frühen Austrieb erhöht sich auch die Gefahr von Ernteverlusten durch Spätfrost.

Kerzen in den Weingärten sind eine teure aber effektive Methode gegen Spätfrost.
Kerzen in den Weingärten sind eine teure aber effektive Methode gegen Spätfrost.

Nach Temperaturen von knapp 30 Grad und dem massiven Austreiben der Reben, stellte der erneute Kälteeinbruch nördlichere Weinregionen Europas vor eine grosse Herausforderung. Delinat-Winzer erklären: Die Frostschutzmechanismen in der Rebe sind ab Erscheinen der «Wolle» nahezu nicht mehr aktiv. Das bedeutet somit: Sobald es friert, dehnt sich das Wasser aus und sprengt die Zellen. Der junge Trieb stirbt ab.

Massive Einbussen an der Mosel

Delinat-Winzer Timo Dienhart aus Maring-Noviand kämpft 2024 mit den grössten Frostschäden seiner Winzerlaufbahn: «Aktuell kann ich es noch nicht genau beziffern, aber es ist verdammt viel kaputt», berichtet uns Dienhart. Zwei Drittel seiner Ernte dürften so früh im Weinjahr schon zerstört sein. Auch seine Premium-Steillagen sind betroffen. «Angesichts der vielen Steillagen in unserem Betrieb waren wir historisch gesehen sehr gut gegen Frost geschützt. Das ändert sich aber scheinbar durch den verfrühten Austrieb», so Dienhart. Versuche mit Baldrian und Co. seien bei ihm bisher nicht erfolgreich gewesen: «Eine aktive Frostabwehr ginge nur mit rabiateren Mitteln, also Frostkerzen, Nebel, Helikopter, oder Sprinkleranlagen. Was aber ökologisch und ökonomisch schwierig ist», sagt Timo Dienhart.

Der Winzer Alexander Pflüger in der Pfalz ist dagegen mit einem blauen Auge davon gekommen: «Es war äusserst knapp und es gibt auch hier und da etwas Schaden. Allerdings sind es „nur“ angefrorene Blätter. Das sollte sich auswachsen», teilt er Delinat mit. Spätfrost war auch bei ihm in Bad Dürkheim in den letzten Jahren immer wieder ein Thema. «Die Einflüsse der Umgebung, also Windoffenheit, Hanglage und Biodiversität, können den Unterschied machen», ist er überzeugt.

Zur Prävention setzt Pflüger auf niedrige Begrünungen durch Walzen und verzichtet auf Bodenbearbeitung. Kurz vor potenziellen Frostnächten spritzt er Baldrian in den Gärten aus.

Vernebelter Baldrian beim Weingut Moser
Vernebelter Baldrian beim Weingut Moser

Grosse Spätfrost-Schäden auch in Österreich

Niki Moser vom Delinat-Weingut «Vitikultur Moser» bei Krems blickt ebenfalls auf schwierige Tage zurück: «In den Ortschaften der Nachbarschaft in der Donauregion hat der Frost in den letzten Tagen teils massiv zugeschlagen». Sogar in den Hanglagen habe es grosse Schäden gegeben, ganz zu schweigen von den ebenen Lagen. Manche Winzerkollegen sprächen demnach von 60 bis 80 Prozent Ausfall.

Der Delinat-Winzer hat dieses Jahr an den Vorabenden der Frostereignisse ebenfalls ein Baldrian-Präparat in den ebenen Lagen ausgebracht. «Wir haben den Eindruck, dass das den negativen Einfluss des Frosts mildert. Aber mehr als 1–2°C kann man sicher nicht wettmachen», so Niki Moser. Im Jahr 2016 hatte der Delinat-Winzer als drastische Massnahme gemeinschaftlich mit dem Weinbauverein geräuchert. Das sei recht effektiv gewesen, berichtet der Winzer rückblickend, müsse aber gut organisiert sein.

Frosträuchern beim Weingut Moser

Bei Niki Moser sind zehn Prozent der Kremstaler Flächen in der Ebene betroffen. «Eine 1,5-Hektar-Lage hat es jedoch voll erwischt. Dort sind 90 Prozent der Triebe kaputt». Der Delinat-Winzer hatte in den letzten Jahren viel mit Frösten zu kämpfen. Im Burgenland, wo er ebenfalls Rebflächen bewirtschaftet, gab es im Jahr 2016 etwa 80 Prozent Ausfall, im Jahr 2017 rund 40 Prozent und im Jahr 2021 etwa 50 Prozent Ernteverlust.

Kerzen, Feuer oder Räuchern kann eine effiziente Massnahme sein, um Spätfrost bei Reben zu verhindern.
Kerzen, Feuer oder Räuchern kann eine effiziente Massnahme sein, um Spätfrost bei Reben zu verhindern.

Delinat-Winzerkollege Andreas Harm aus Krustetten (ebenfalls in der Nähe von Krems) verzeichnete bis jetzt noch keine grösseren Schäden an seinen Reben. Doch die Gefahr ist dort noch nicht gebannt. In der Region ist weiterhin mit Minusgraden zu rechnen. Stärkere Ausfälle durch Spätfrost hatte Andreas Harm in den Jahren 2012 und 2016: «Das Problem bei Spätfrösten ist der Stress für die Pflanzen und die steigende Anfälligkeit gegenüber Falschem Mehltau». Daher sind laut Delinat-Winzer Harm Spätfrostschäden auch weit schlimmer als Hagelschäden. Diese kämen jedes Jahr kleinräumig vor.

Schweiz: Frostschäden im Wallis, Thurgau hatte Glück

In der Schweiz war vor allem das Wallis von Spätfrost betroffen. Der Thurgauer Delinat-Winzer Roland Lenz verzeichnete ebenfalls mehrere Nächte um den Gefrierpunkt. Bis jetzt haben seine Reben die Kälteperiode gut überstanden. Vorbeugend setzt Roland Lenz ebenfalls auf Hilfsmittel: «Baldrian kann helfen, Zuckerlösungen ebenfalls. Hat die Rebe genügend Reservestoffe in den Vorjahren aufbauen können, hilft das auch. Bei trockenen Verhältnissen können da auch -5°C überstanden werden. Sehr effektiv ist auch ein später Winterschnitt und Frostreserven», erklärt der Delinat-Winzer. Eine Frostreserve, wie sie Delinat-Winzer Lenz in der Regel stehen lässt, bezeichnet eine zusätzliche Rute, die gewöhnlicherweise später austreibt. Sie kann bei spätem Frost daher als Rettung für einen gewissen Ertrag dienen. Falls kein Spätfrost eintritt, wird sie Ende Mai einfach abgeschnitten.

Zwischen den verschiedenen PIWI-Sorten, also den robusten Rebsorten, die der Delinat-Winzer im Anbau hat, beobachtet er eine grosse Bandbreite: «Regent, Cabertin, Satin Noir treiben eher später aus. Auch Souvignier gris. Generell kann man sagen, je mehr Zuckerlösungen, also Glyzerin, in den grünen Teilen ist, umso frostbeständiger sind die Zellen.»

Einen grossen Vorteil bei Frostereignissen sieht der Delinat-Winzer auch in Sorten, die ein weiteres Mal austreiben können: «Da die PIWI-Sorten meist in den Nebenaugen fruchtbar sind, gibt es bei einem Neuaustrieb oft trotzdem noch einen Ertrag». Durch das Wegbrechen geschädigter Triebe könne man bei manchen robusten Rebsorten den Austrieb der Beiaugen forcieren. Das bringe je nach Sorte zwischen 50 und 60 Prozent einer Normalernte.

Die Gefahr von Spätfrost ist leider noch nicht ganz gebannt. Die gefürchteten «Eisheiligen», so werden im Bauernkalender die Tage von 11. bis 15. Mai bezeichnet, bahnen sich noch an. Währenddessen und bis dahin kann es noch (zu) kalt werden. Doch ob diese Regel angesichts des Klimawandels noch Bestand hat, bleibt auch abzuwarten.

Olivier Geissbühler

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert