Bereits 3,5 Prozent sind zu viel

Eigentlich sollten ab dem 1. Januar 2024 auf mindestens 3,5 Prozent des Schweizer Ackerlandes ökologische Ausgleichsflächen entstehen, doch die Agrarlobby im Parlament hat die Auflage erneut hinausgezögert. Dabei wäre dieses Minimum an Artenvielfalt dringend nötig. Zum Vergleich: Delinat-Winzer fördern die Biodiversität auf mindestens zwölf Prozent ihrer Flächen.

Die Biodiversität in der Schweiz ist in einem besorgniserregenden Zustand: Die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten sind bedroht. Der Verlust an Lebensräumen und Artenvielfalt sowie die Verschlechterung der Lebensraumqualität konnte in den letzten Jahren nicht gestoppt werden. Die Biodiversität und die damit verbundenen Ökosystemleistungen sind die Grundlage des Lebens auf dieser Erde. Ihr Verlust bedroht die Existenzgrundlage der Menschen und die Wirtschaftsleistung eines Landes. Es wäre also höchste Zeit, dass die Politik aktiv wird und wirksame Massnahmen ergreift, um Gegensteuer zu geben.

Von Intention und Umsetzung

Einen Versuch hat der Bund als Reaktion auf die Pestizid- und Trinkwasserinitiative gemacht: Ursprünglich war vorgesehen, bereits per 1. Januar 2023 auf mindestens 3,5 Prozent des Ackerlandes die Biodiversität zu fördern. Was nach wenig klingt, wäre immerhin schon eine Verbesserung zu heute: Derzeit gibt es in der Schweizer Landwirtschaft nur rund ein Prozent biodiverse Ausgleichsflächen.

Bei der neuen Vorschrift gäbe es einen Zuwachs der Biodiversitätsflächen von etwa 14’500 Fussballfeldern. Zum Vergleich: Die Delinat-Richtlinien schreiben derzeit mindestens zwölf Prozent ökologische Ausgleichsflächen vor, welche jeder Winzer in seinen Weinbergen haben muss. Das ist dreimal mehr Biodiversitätsfläche als die neue Regelung vorschreiben würde und rund zehn Mal mehr, als die jetzigen Ausgleichsflächen in der Schweizer Landwirtschaft darstellen.

Weinberge mit deutlich über 12 Prozent an ökologischen Ausgleichsflächen beim Delinat-Weingut Lenz im Thurgau.

Sogar der Tropfen auf den heissen Stein scheint zu viel

Dennoch scheinen diese 3,5 Prozent für einige Entscheidungsträger immer noch zu viel zu sein. Denn eigentlich hätte die Auflage bereits am 1. Januar 2023 in Kraft treten sollen. Doch wegen des Ukraine-Kriegs und Sorgen bezüglich eines tieferen Selbstversorgungsgrads der Schweizer Landwirtschaft entschied das Parlament, die neue Regelung um ein Jahr hinauszuschieben, also auf den 1. Januar 2024. Und nun wird die Auflage erneut hinausgezögert – weil angeblich noch «zu viele Unsicherheiten» bestehen.

Besonders fragwürdig und undurchsichtig ist dabei die Rolle von Bio Suisse, welcher vorgeworfen wird, dass sie zur Verzögerung der Auflage beigetragen hat. Auch wenn die Schuld für die erneute Verschiebung nicht direkt der Organisation zugeschoben werden kann, wird doch deutlich, dass sie – einmal mehr – zweifelhafte Interessen verfolgt und sich nicht ernsthaft für eine ökologische Landwirtschaft einsetzt. Dass die 3,5 Prozent Biodiversitätsflächen per 1. Januar 2025 umgesetzt werden, ist mittlerweile schwer zu glauben.

Noch ist nichts entschieden. Es ist aber kaum damit zu rechnen, dass in der kommenden Wintersession des Schweizer Parlamentes noch anders entschieden wird. Dadurch entsteht einmal mehr der Eindruck, dass die vollmundigen Versprechen der Schweizer Agrarlobby nicht mehr als leere Worthülsen bleiben und eine weitere Chance verpasst wird, die Schweizer Landwirtschaft in eine ökologisch nachhaltige Zukunft zu führen. Ähnliches ist derzeit leider auch in der EU zu beobachten.

Olivier Geissbühler

4 comments

  1. Ich habe das gefühl hier werden Zahlen vertauscht! Die im Beitrag gezeigten BFF Flächen sind im Weinberg und zählen nicht zu den neu geforderten 3.5 BFF im Ackerbau. Genauso bezweifle ich dass die 12% Delinat Anforderung auf Ackerflächen umgesetzt werden müssen! Sondern wie die herkömmlichen BFF Flächen auch im Grünland (oder im Weinberg) angelegt werden dürfen.

    Hier die richtigen Zahlen:
    BFF pro Betrieb Mindestanforderung ÖLN: 7% der LN (ohne Spezialkulturen, bei Spezialkulturen 3.5 der LN)
    BFF pro Betrieb Mindestanforderung Delinat: 12%
    Durchschnitt Schweizer Landwirtschaft: 19%

    (https://www.agrarbericht.ch/de/politik/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege#:~:text=Die%20Biodiversitätsförderflächen%20(BFF)%20insgesamt%20sowie,der%20LN%20bleibt%20bei%2019%20%25.)

    Sie sehen Schweizer Landwirte bieten schon jetzt viel mehr für die Biodiversität als von ihnen verlangt wird und auch viel mehr als die Delinat Mindestanforderung vorsieht.

    1. Sie haben natürlich recht; für Ackerflächen gelten andere Vorgaben als für Weinberge. Der Vergleich mit den 12% ökologischen Ausgleichsflächen bei Delinat hatte lediglich zum Zweck, diese 3,5% in ein Verhältnis zu stellen.

      Allerdings lassen sich die 19,3% Biodiversitätsförderflächen (BFF) in der Schweizer Landwirtschaft auch nicht mit den 12% von Delinat vergleichen, denn da werden auch Wiesen mitgerechnet. Ein Grossteil davon liegen in den Bergzonen (etwa 45% BFF), die gar nicht anders bewirtschaftet werden können. In den Tal- und Hügelgebieten ist der Anteil viel geringer. Und in dieser Zone liegen ja auch die Rebberge. Dazu kommt: Entscheidend für die Förderung der Biodiversität sind auch Qualität und Vernetzung der Biodiversitätsfläche. Drei viertel der Flächen in der Tal- und Hügelzone weisen die tiefste Qualitätsstufe aus und bringen für die Biodiversität nur sehr wenig.

      Das Problem aus meiner Sicht liegt direkt auf der Ackerfläche, wie es auch im Bericht steht: „Der Anteil der BFF-Elemente auf der Ackerfläche (Bunt- und Rotationsbrache, Saum auf Ackerfläche, Ackerschonstreifen und Blühstreifen für Bestäuber und andere Nützlinge) ist mit 3713 ha resp. 0.96 % der Ackerfläche (1,14 % der offenen Ackerfläche) noch immer sehr tief und im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken“.

      1. Sie vergleichen wieder Äpfel mit Birnen. Haben Sie bei Delinat Vorschriften, wie die BFF ausgestaltet sein müssen, oder reicht eine einfach Q1-Wiese?
        Ackerfläche: sämtliche Flächen, die in den letzten Jahren zu BFF umgewandelt wurden oder potenzielle Ackerflächen sind, werden nicht dazugezählt! Ökobüros selbst haben lieber auf Q2-Wiesen gesetzt als auf Buntbrachen, Rotationsbrachen, Blühstreifen, usw., weil sie länger bestehen und wertvoller sind!
        ihre 12% sind in keinster Weise positiv zu bewerten – da liegt mehr drin. Zudem liegen Ihre Weinberge kaum auf potenzieller Ackerfläche, wie Sie hier behaupten. Und das ist auch gut so!
        Arbeiten Sie für Qualität und Quantität, damit Sie wirklich besser sind und das nicht einfach nur ohne Grundlagen behaupten müssen. Der Fingerzeig gegen die Landwirtschaft erfordert jedendalls ein differenzierteres Auseinandersetzen, als das hier der Fall ist. Denn dann würden Sie auch verstehen, weshalb Bio Suisse gegen die 3.5% ist.

        1. Bezüglich Biodiversität hat Delinat sehr detaillierte Vorschriften im Weinbau, die weit über die anderen Bio-Labels hinausgehen. Sie können Sie hier im Detail nachlesen (ab Seite 22 und ab Seite 83): https://www.delinat.com/pdf/richtlinien/Richtlinien-2023.pdf

          Für die eine intakte Artenvielfalt wäre beides wichtig; sowohl dauerhafte und vernetzte Ausgleichsflächen wie auch zeitlich begrenzte Blühstreifen, Buntbrachen etc.

          Der Fingerzeig galt primär der politischen Vertretung im Parlament und weniger der Landwirtschaft an sich. Gemäss Sprecher David Herrmann ist Bio Suisse ja eigentlich für die 3,5-Prozent-Regel, aber hat anscheinend trotzdem zu deren Verzögerung beigetragen. Eine klare politische Linie sieht für mich anders aus.

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