Weniger ist mehr

«Unbändige Kraft wie von einem bengalischen Tiger beim Angriff.» Eine kuriose Weinbeschreibung kann Interesse wecken – aber auch abschrecken. Degustationsnotizen sind als Hilfe gedacht, führen aber oft in kryptische Dunstwolken.

Weine sind vielfältig mit entsprechend unterschiedlichen Eigenschaften. Wo Herkunft, Traubensorte, Jahrgang und Preis nicht genügen, versehen Weinhändler ihr Angebot oft mit einer kurzen Beschreibung als Entscheidungshilfe für den Kauf: «sehr geschmeidig, stoffig.» Doch kann sich der Laie unter «stoffig» etwas vorstellen? Und was ist wohl gemeint mit «am Gaumen sehr saftig und dicht mit hoher Struktur»? Von einem Getränk erwarte ich eh, dass es flüssig und somit saftig ist – aber in welche Gläser füllt man einen Wein mit hoher Struktur? Und riecht ein Wein nach «nassem Aschenbecher», verkehrt der Degustator wohl oft in dunklen Spelunken.

«Seidiger Gaumenfluss» und «kalter Rauch»

Die grosse Mehrheit der Kundinnen und Kunden verwendet ein ganz einfaches Vokabular, wenn sie einen Wein beschreibt: Der schmeckt mir, der passt, ein feiner Tropfen oder ein schöner Wein. Zu oft hört man auch ein banales «lecker». Oder dann «nichts für mich», «sauer», «schwer». Wäre es da nicht angebracht, dass auch Winzer und Weinhändler ihre Weine mit ähnlich einfachen Ausdrücken beschreiben? Oder ist es so, dass sich der Laie zwar einfach ausdrückt, wenn er einen Wein beschreiben muss, wortreiche Beschreibungen aber durchaus schätzt – und die Verfasser solcher Duftund Geschmacksorgien heimlich bewundert? «Karamellisierte Mandarinenschalen, seidiger Gaumenfluss » oder «kalter Rauch, Speck und dunkle Rosen mit getrockneten Veilchen» können durchaus die Fantasie anregen.

In Fachkreisen kam irgendwann einmal der Wunsch auf, Weine mit einheitlichen Begriffen zu beschreiben (siehe Infografik). Doch dem sind Grenzen gesetzt, denn nicht jede Person riecht und schmeckt dasselbe. Jancis Robinson schreibt in ihrem «Oxford Weinlexikon»: «Der Geruchssinn ist ein ausserordentlich persönliches Wahrnehmungsorgan, für das es keinen gemeinsamen, in klaren Normen fassbaren Massstab gibt. Es ist deshalb ratsam, bei Weinbeschreibungen nicht zu sehr ins Detail zu gehen, insbesondere bei Geruch und Geschmack: fruchtig, blumig, würzig genügt, einzelne Früchte, Blumen und Gewürze sind individuelle Eindrücke und nicht immer nachvollziehbar.» «Am Gaumen wilde schwarze und blaue Fruchtaromen» erschliesst uns eher den Charakter des Degustators als des Weines.

Weinsprache Infografik
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Fantasiegeplagte Verkoster

Fantasievolle Beschreibungen sollen Lust auf den Wein wecken. Das mag wohl gelingen, löst aber ebenso oft Kopfschütteln aus: Wer sich für einen Chardonnay zu 4.70 Franken mit «komplexem Körper, guter Struktur und feinem Abgang» überreden lässt, ist selber schuld. Genauso, wer beim «frischen Rosé mit Aromen voller Finesse » für 2.99 zugreift. Und «ein schlankes Kraftbündel, das wie eine Feder über die Zunge streicht» hinterlässt wohl manchen Leser sprachlos. Ob es sich beim «sagenhaft raffinierten Filigrantänzer, der schwerelos über die Zunge tänzelt» tatsächlich um einen Wein handelt und nicht eher um den fantasiegeplagten Verkoster, sei dahingestellt.

Erotik im Wein

Dass Wein auch erotisierend wirken kann, ist bekannt. Das bestätigen Degustationsnotizen wie «eng gewobener Körper, geschmeidige Muskeln», «agil, so richtig zischend, mit maskuliner Eleganz» oder gar «wollüstig reife Frucht». Wenig hilfreich ist auch die «vibrierende mineralische Spannung», die eher auf ein bevorstehendes Erdbeben hinweist. Voll und ganz einverstanden bin ich mit dem «wunderbar fröhlichen Wein», spätestens nach dem vierten Glas. Und endgültig die Endstation erreicht hat, wer sich an ein Glas des Weines wagt, bei dem es «am Gaumen bumm macht».

Begriffe, die verwirren, weil sie für uns nicht verständlich sind, führen zu negativen Gefühlen, einer sogenannt kognitiven Dissonanz. So kann eine an sich positive Weinbeschreibung dennoch vom Kauf abschrecken. Bleiben wir also dabei: Weniger ist mehr.

Falls Ihnen dieser Artikel gefallen hat, legen wir Ihnen auch den Beitrag «Wein beschreiben leicht gemacht» aus der WeinLese 37 ans Herzen.