Der Weinberg als Tummelfeld für Nutztiere

Noch vor 50 Jahren waren die meisten Winzer wie selbstverständlich auch Tierhalter. Nicht nur, dass sie auf Pferde oder Maulesel als Zugtiere angewiesen waren, sie hielten zur Eigenversorgung und zur Düngemittelproduktion je nach Gegend auch verschiedene Haustierarten. Wegen der knappen Weideflächen wurden auch die Weinberge wie selbstverständlich als Futtergrundlage genutzt und dabei zugleich der Aufwand für den Misttransport vom Stall zum Feld reduziert.

Was sich da einst so tummelte…

Je nach lokalen Voraussetzungen (Stockdichte, Erziehungssystem, Lage) kam es zu verschiedenen saisonalen Weidefolgen zwischen den Reben. Nach der Weinlese konnte und sollte neben der im Herbst aufgelaufenen Begrünung auch das Reblaub verwertet werden, was insbesondere Schafen und teilweise sogar Kühen Zugang zu den Rebflächen verschaffte.

Schafe weiden im Weinberg

Nach der Schneeschmelze wurden zum Unterhalt der Begrünung wiederum Schafe und gern auch Schweine, oft sogar beide Tierarten gemeinsam eingesetzt.

Mit Beginn des Austriebs der Reben mussten die Schafe jedoch rasch abgezogen werden, da sie eine besondere Vorliebe für frische Knospen und junge Blätter haben. Einigen Winzern soll es gelungen sein, ihren Schafen das Fressen von Rebblättern durch das Spritzen von wermuthaltigen Kräuterextrakten abzugewöhnen, aber für viele war dieser Aufwand wohl zu gross und das Ergebnis zu riskant. Schweine mussten spätestens beim Farbumschlag der Trauben abgezogen werden, da die Beeren für sie schon bei leicht süssem Hauch ein vorzüglicher Genuss sind. Ziegen sind für den Weinbau leider gänzlich ungeeignet, da sie zu gern an Rinde und Holz knabbern und damit die Reben langfristig schädigen.

Über die ganze Wachstumssaison nützlich und damit als besonders geeignete Tierarten gelten seit jeher Hühner und Gänse, was sogar schon im ältesten Lehrbuch der Landwirtschaft, bei Cato dem Älteren, geschrieben steht. Der Weinberg muss dafür aber nah genug am Hof bzw. am Stall gelegen sein, da die Hühner und Gänse nachts in Sicherheit gebracht und auch tagsüber vor Greifvögeln, Füchsen und Hunden geschützt werden müssen. Letzteres wurde am besten durch Mischherden mit Schafen oder/und Schweinen erreicht. Allerdings ergänzen auch Hühner ihr Futter gern mit reifen und unreifen Trauben, was, wie schon oben genannter Cato wusste, durch das Füttern von durchgeseihten grünen Trauben abgewöhnt werden kann.

Nutzen der Tiere

Nutztiere im Weinberg haben den Vorteil, dass sie sich effizient um die Begrünung kümmern, diese in wertvollen organischen Dünger umwandeln und zudem Sekundärprodukte wie Eier, Milch, Wolle und Fleisch liefern.

Gans im Weinberg

Durch ihre Anwesenheit im Weinberg sorgen sie zudem für eine deutlich höhere Vielfalt an Mikroorganismen, was die Gefahr von Schädlingen minimiert. Die Mikroorganismen im Dung sorgen in Kombination mit dem Niedertrampeln der Begrünung für die Förderung des Bodenlebens sowie für Schutz und Aufbau von Humus. So sinnvoll die Verbindung von Weinbau und Tierhaltung auch erscheint, vor etwa 50 Jahren starb die Nutzung der Rebflächen für Nutztiere quasi aus. Dies jedoch nicht vordergründig wegen des erheblich höheren Aufwands im Vergleich zur Weide und zur Stallhaltung, sondern vor allem aufgrund der immer häufigeren Spritzungen giftiger Pflanzenschutzmittel. Die extrem hohen Einsatzmengen an Schwefel und Kupfer, wie sie damals üblich waren, sowie die schon bald darauf üblich gewordenen chemischen Pestizide vergifteten den Tieren das Futter. Erschwerend kam noch hinzu, dass man die Begrünung lieber mit Herbiziden unterdrückte, anstatt sie mit entsprechendem Aufwand nutzbringend zu pflegen. Will man heute wieder Nutztiere im Weinbau einsetzen, gelten folglich als Voraussetzung eine gezielte, nährstoffreiche Begrünung sowie der Verzicht auf Pestizide und die Reduktion von Kupfer und Schwefel auf absolute Minimalmengen.

Zwergschafe im Weinbau

Auf unserem Weingut Mythopia im Wallis werden seit acht Jahren im Frühjahr Schafe zum Unterhalt der Begrünung eingesetzt. Da die Begrünung in der Regel zwei Monate vor dem Austrieb der Reben in vollem Wuchs steht, können kleine Schafherden hier sehr effizient und ohne grossen Aufwand eingesetzt werden.

Schafe im Weinberg

Diese zwei Monate sind allerdings zu kurz, als dass sich eine eigene Schafherde lohnen würde. So kommen Kleinherden von regionalen Schäfern zum Zug. Bei einer Reihe von Delinat-Winzern in südlicheren Lagen (Lignières, Duvivier, Quaderna Via) verbringen ebenfalls schon seit einigen Jahren grössere Schafherden die Winterzeit zwischen Ernte und Austrieb in den Reben. Die meiste Arbeit mit der Begrünungspflege fällt jedoch auf die Monate von Mai bis Anfang August. Deshalb haben wir im Frühjahr 2013 auf Mythopia einen Versuch mit Zwergschafen der Rasse Ouessant gestartet. Er soll Möglichkeiten aufzeigen, Tiere auch in dieser intensiven Zeit der Begrünungspflege einzusetzen. Der entscheidende Vorteil der Rasse besteht darin, dass die Tiere zu klein sind, um an die Knospen und Rebblätter heranzureichen. Sie fressen daher nur die Begrünungspflanzen und die an den Stämmen wachsenden Seitentriebe. Letzteres bedeutet eine zusätzliche Arbeitsersparnis, da der Arbeitsgang des Stammputzens wegfällt.

Erheblicher Aufwand

Die kleine Schafherde (zunächst nur fünf Zwergschafe) wird mit einem Elektrozaun vor Füchsen und Hunden geschützt. Die Installation dieser Zäune ist in den engen Rebenreihen etwas aufwändig. Einmal installiert, lässt sich die Herde jedoch relativ rasch von einem Weinberg zum nächsten umweiden. Bei einer Begrünungsintensität, wie sie auf Mythopia anzutreffen ist, sind in der Hauptvegetationszeit pro Zwergschaf etwa 200 m2 Rebfläche notwendig, in der Nebensaison braucht es gut doppelt so viel und im Winter natürlich zusätzliches Heufutter. Die Erfahrungen, die wir im ersten Jahr mit den Zwergschafen gemacht haben, sind im Ganzen gesehen als durchaus positiv zu bewerten. Es sollten allerdings grössere Herden vorgesehen werden, da sich solche viel leichter von Weinberg zu Weinberg umsetzen lassen. Bisher einziger Wermutstropfen dieses Versuchs ist, dass die Tiere die Stämme der jungen Apfelbäume sowie die Büsche an den Zeilenenden benagt haben. Für diese müssen wir im nächsten Jahr einen geeigneten Schutz anbringen, was kein unerheblicher Mehraufwand ist. Für Vegetarier und Winzer mit Kindern, die schnell eine besondere Beziehung zu den niedlichen Schafen aufbauen, kann an eine wirtschaftliche Nutzung der Tiere mit Hilfe des Metzgers freilich nicht gedacht werden. Und nur für die natürliche Düngung lohnt sich der ganze Aufwand auch nicht.

Mobiler Hühnerstall

Huhn im WeinbergWirtschaftlich interessanter scheint da schon die Haltung von Hühnern zwischen den Reben. Zu diesem Zweck haben wir einen mobilen Hühnerstall gebaut. Wie einen grossen Wohnanhänger können wir den Stall so alle drei Wochen von Parzelle zu Parzelle fahren, um den Hühnern stets grünen Auslauf und einen hygienischen Stallvorhof zu bieten. Ausgestattet ist der mobile Stall mit einer solargesteuerten Tür, die sich morgens öffnet und abends bei Einbruch der Dunkelheit automatisch wieder schliesst. Auf diese Weise sind die Hühner weitestgehend autonom. Wir müssen nur jeden zweiten Tag nach dem Rechten sehen, einige Essensresten und Körner als Zusatzfutter bringen und natürlich die gelegten Eier einsammeln.

Der Elektrozaun hat bisher alle vierbeinigen Räuber fernhalten können. Grössere Probleme bereiten Bussard und Adler, die nach etwa drei Wochen auf den Geschmack gekommen waren. Erst als wir mehrere Spiegel in der Nähe des Stalls und auf dessen Dach anbrachten, einige Schutznetze befestigten und Silberpapier aufhängten, waren die Greifvögel schliesslich irritiert genug, um aufzugeben. Seither haben wir kein Huhn mehr verloren. Der Aufwand ist freilich erheblich, da die Hühnerweide ja regelmässig gewechselt wird.

Reicher Eiersegen

Die 30 Hühner legten im Schnitt knapp 30 Eier am Tag. Die Versorgung der Hühner liegt traditionell in den Händen der Kinder, und so dürfen sie auch einmal pro Woche die Eier auf dem Markt in Sion verkaufen. Seit dem Sommer haben sie sich so schon ein erkleckliches Taschengeld mit «ihren» Hühnern erwirtschaftet. Rechnet man den Hühnerversuch im Weinberg auf die natürliche Flächenkapazität hoch, so könnten leicht 150 Hühner pro Hektar gehalten werden. Das ergäbe rund 40 000 Eier pro Jahr und Hektar. Bei einem Biopreis von 50 bis 80 Rappen pro Stück im Direktverkauf, klingt dies nach einem beachtlichen Zubrot für den ökologisch arbeitenden Winzer. Aber 150 Hühner, die alle drei Wochen umgesetzt, vor Greifvögeln geschützt, denen zugefüttert, deren Stall ausgemistet, die im Winter versorgt, gesund erhalten und deren Eier vermarktet werden müssen, machen auch beachtlich viel Arbeit, die mit dem Metier des Winzers nur entfernt zu tun hat. Ausserdem können die umzäunten Flächen nur mühsam mit Maschinen befahren werden. Alle Arbeitsschritte im Weinberg sind behindert und brauchen mehr Zeit. Früher oder später wird sich der Winzer so fragen, warum er sich dies antut und die Hühner nicht auf einer Fläche hält, wo sie niemanden stören. Und ausserdem will er ja noble Weine an Operngänger und nicht alltägliche Eier an Hausfrauen verkaufen.

Kurz, die Idee ist wunderbar, und in Notzeiten sind Hühner sicher eine Möglichkeit, die Flächen besser zu nutzen. In einer Welt der Arbeitsteilung und des Zwangs zu wirtschaftlicher Effizienz werden Hühner im Weinberg allerdings weiterhin eine Seltenheit bleiben. Für einige wenige Familienhühner, die Kinder Verantwortungsgefühl lehren und Taschengeld bringen sowie die Essensresten aus der Küche verwerten, ist der Weinberg ein schöner und geeigneter Ort. Für eine wirtschaftliche Nutzung im Sinne einer Sekundärkultur wohl eher nicht …

Hans-Peter Schmidt
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7 comments

  1. Wegen der angenagten Büsche und Bäume: ich streiche die Obstbäume auf meinen Schafweiden jeweils im Frühling am Stamm mit Schafmist ein (einfach mit der Hand draufstreichen, aber vollständig), dann gehen die Schafe nicht mehr dran (nicht einmal die dafür bekannten Engadinerschafe). Meistens reicht ein solcher Anstrich für die ganze Vegetationsperiode. der Vorteil davon ist, dass es schnell geht, dass man kein zusätzliches Material braucht und dass die Schafe so bis an den Stamm heranfressen und man nicht noch extra etwas mähen muss.

  2. Lieber Marino,
    die 40.000 Eier waren natürlich nur eine Milchmädchenrechnung, um zu verdeutliche, wie viel ökologisches Potential in einer einseitig genutzten Fläche (Weinbau) noch steckt. Wir haben uns ja auch auf 30 Hühner beschränkt. Der Versuch, eine Haltung ohne Zaun zu wagen, gefällt mir sehr, das werden wir probieren. Wir haben den Hühner derzeit die Möglichkeit eingräumt, den Zaun zu verlassen (fliegen), den Zaun aber als Schutzraum gegen Füchse gelassen.
    Besten Dank für den interessanten Kommentar, Hans-Peter

  3. Lieber Herr Loch,
    wir haben es über die Jahre geschafft, die Kupferaufwandmengen auf unter 500 g / ha zu reduzieren. Mit dieser Menge kommen die Schafe offenbar aus. Aber Sie haben schon recht, so richtig naturnah wird auch der Weinbau erst, wenn es keine Pflanzenschutzspritzungen mehr braucht.
    Mit bestem Grusse, Hans-Peter Schmidt

  4. Guten Tag Herr Schmidt,

    die Beweidung mit Ouessant Schafen erscheint mir als guter Ansatz, hautsächlich auch zur gezielten Entblätterung. Die Schafe sind ja nicht sehr groß und werden auch im normalen Drahtrahmen nicht über die Traubenzohne hinaus reichen. Allerdings sehe ich ein Problem bei der hohen Kupfer Unverträglichkeit bei Schafen allgemein. Setzen Sie kein Kupfer ein?
    Ich plante eine Beweidung mit Ouessant Schafen, habe dann aber aufgrund der Kupferproblematik davon Abstandgenommen, die Tiere sollen sich ja wohlfühlen.
    Wie sind Ihre Erfahrungen? Im Voraus besten Dank.

    Mit den allerbesten Grüßen
    Manfred Loch

  5. Jeweilige Beweidungen stehen und fallen mit der Auswahl der richtigen Rasse und auch der Gruppenzusammensetzung. Wenn diese nicht optimal auf das Gebiet, Wiederstandsfähigkeit etc. abgestimmt sind, ist der Arbeitsaufwand markant höher. Nach ihren Angaben und Abbildungen komme ich leider zum Schlusss, dass dies bei ihrem Beweidungsversuch mit Hühnern nicht der Fall war. Bei einem solchen Projekt sollte eine alte Rasse, ein typisches Zweitnutzungshuhn, gewählt werde. Damit wird nicht täglich ein Ei pro Huhn erreicht, wie bei den von Ihnen gewählten Hühnern, jedoch ist der natürliche Verhalten noch eher intakt und der Aufwand merklich geringer.
    Wenn ein elektronischer Stallpförtner zum Einsatz kommt und für jeweils ca. 7 Hennen ein Hahn wacht, wäre eine Haltung auch ohne Zaun einen Versuch wert. Gerade zum Schutz vor Habicht und co. müssen Hähne ‚mitlaufen‘. Wenn eine grosse Rasse (z.B. Riesenbrahma) gewählt wird, ist die Gefahr schon merklich kleiner. Eine Beweidung auf solcher Basis lässt sicher nicht ihre Rechnung von 150 Hühner pro Hektar mit einer Ausbeute von 40 000 Eiern zu; eine Rechnung wie sie fast der Intensivhaltung alle Ehre macht. Doch gerade wenn Sie von Kindern schreiben, die hier die Eier holen, wäre der natürliche Aspekt wichtiger und nur so ist es möglich, eine Beweidung ohne grossen Aufwand zu erreichen.

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