Guter Wein wird besser

karaffieren
Dekantieren oder karaffieren? Darüber mögen sich Fachleute streiten. Junge Weine sind oft verschlossen, sie brauchen nach dem Öffnen der Flasche Luft – mehr, als durch den schmalen Flaschenhals kommt. Ältere Weine hingegen vertragen kaum noch Sauerstoff; in der Flasche hat sich aber oft ein Depot gebildet, und dieses muss nach dem Öffnen entfernt werden. Ob junge Weine nun in eine bauchige Karaffe karaffiert oder ältere Weine in einen schmalen Dekanter dekantiert werden, bleibt dem Geniesser überlassen.

kurzinfoUnter Dekantieren versteht man das Umgiessen eines Weines von der Flasche in ein anderes Gefäss. Was bringt das? Im Beitrag werden die wichtigsten Schritte erklärt.

Die Zeremonie des Dekantierens

Ein Depot lässt sich am besten mit Sieb und Trichter entfernen – oder für gut sortierte Weintrinker mit dem Trichtersieb. Das Umgiessen in einen Dekanter, ein schmales Glasgefäss, erhältlich von billig bis sündhaft teuer (gut sortierte Weintrinker!), ist sicher eine stimmungsvolle Zeremonie: Romantiker schwärmen vom «Wein zelebrieren». Falls der Wein liegend gelagert wurde, was irrtümlicherweise noch immer als ein Muss gilt, stellt man die Flasche zwei, drei Stunden aufrecht, damit sich das Depot am Flaschenboden sammelt. Dann wird die Kapsel komplett vom Flaschenhals entfernt, ebenso der Korken. Als Rechtshänder stelle ich nun den Dekanter links vor mich hin, gleich rechts davon eine brennende Kerze. Nun leere ich die Flasche vorsichtig in den Dekanter, so dass der Wein sachte am Dekanterrandhinuntergleitet. Gegen Ende schaue ich von schrägoben durch den Flaschenhals auf die Kerzenflamme. So sehe ich, wenn das Depot kommt, und kann rechtzeitig stoppen. Nun kommt entweder das Sieb zum Einsatz – oder der Weinrest wird anderweitig verwendet: Kenner von altem Burgunder oder Merlot schätzen diese Delikatesse und kauen das Depot genüsslich.

Gut, sind die Weinkörbchen und Flaschenhalter meistenorts verschwunden, allenfalls trifft man sie noch in gutbürgerlichen Restaurants. Darin lässt sich die Flasche dem Gast zwar schön präsentieren; doch der Wein kann nach dem Entfernen des Korkens nicht genügend Luft aufnehmen, um sich zu entfalten. Zudem bleibt ein allfälliges Depot nicht in der Flasche: Beim Einschenken schwappt der Wein vor und zurück, feines Depot wird aufgewirbelt und gelangt in die letzten zwei, drei Gläser.

Rotwein mag keinen Salat

Die meisten jüngeren Weine, ob weiss oder rot, mögen etwas Luft, nachdem die Flasche geöffnet wurde. Dabei vertragen tannin- und farbstarke Weine mehr Sauerstoff als tanninarme, leichte Rotweine. Sauerstoff beschleunigt die Entfaltung der Aromen. Wir können das einfach feststellen,wenn wir den ersten Schluck mit dem zweiten oder dritten Glas vergleichen. Vorerst verschlossene Weine duften nun intensiver. Am einfachsten belüften wir einen Wein, indem wir ihn in grossbauchige Gläser einschenken, zu gut einem Drittel gefüllt. Ein erstes Schnuppern gilt den flüchtigen Duftnoten und allfälligen Fehlaromen. Nach ein paar kräftigen Schwenkern probiert der Geduldige einen Schluck, lässt das Glas zehn Minuten stehen und isst in dieser Zeit den grünen Salat, zu dem der Rotwein ohnehin nicht passt. Danach haben sich die meisten jungen Weine soweit entfaltet, dass ihr Aroma schön zur Geltung kommt. Natürlich kann ein Wein auch in eine Karaffe umgefüllt werden. Dochscheint diese Prozedur bei den meisten Weintrinkern nicht sonderlich beliebt. Nur ganz selten erlebe ich es, dass privat oder im Restaurant eine Karaffe zum Einsatz kommt.

Geduld bringt Aromen

dekantieren - karaffieren

Einfache, fruchtige Weine entfalten sich im Glas in ein paar Minuten, gehaltvolle, tanninreiche Weine brauchen etwas länger. Ich hatte schon mit Weinen zu tun, die sich nur sehr langsam öffneten: Zeigten sie sich anfänglich noch hart und verschlossen, präsentierte sich der Rest in der Flasche am nächsten Tag um Klassen besser. Je länger der Wein noch lagerfähig ist, umso länger darf er nach dem Öffnen der Flasche belüftet werden – aber eigentlich sollte ein solcher Wein noch in Ruhe gelassen werden, denn er ist noch weit von seinem Höhepunkt entfernt!

Erfahrung statt Regeln

Ebenso wichtig wie der Sauerstoff ist die Temperatur, mit welcher der Wein serviert wird. Wir wissen, dass ein gehaltvoller Rotwein mit 16 bis 19 Grad am besten mundet. Während des Belüftens nimmt der Wein die Umgebungstemperatur an. Gerade im Sommer erwärmt er sich rasch auf über 20 Grad, die feinen Aromen verdunsten, der Alkohol steigt in die Nase, süssliche Noten wirken rasch pampig.

Alte, noch trinkbare Weine haben ein Depot, also feste Ablagerungen – junge Weine müssen belüftet werden. Diese Aussagen stimmen zu 80 Prozent. Ausnahmen sind einerseits ältere Rotweine mit wenig Tannin, die kaum ein Depot bilden – oder es sind junge, meist grosse Weine, die nicht belüftet werden dürfen.

Einige dieser hochkarätigen Lagerweine zeichnen sich in jungen Jahren durch eine kurze Fruchtphase aus. Verspüre ich Lust, von einem Kistchen bereits jetzt eine Flasche zu probieren, bevor ich die anderen Flaschen in den Weinkeller lege, dann prüfe ich gleich nach dem Öffnen, ob die Frucht des Weines wahrnehmbar ist. Wenn ja, dann verzichte ich auf ein längeres Belüften, denn dauert dies zu lang, kippt das Aroma, der Wein riecht rasch nach
getrockneten Kräutern. Welche Weine sind das? – hier gilt: Probieren. Statt eiserner Faustregeln empfiehlt es sich, bei jedem Wein zu entscheiden, in welcher Form er sich von seiner besten Seite zeigen wird. Hier hilft Erfahrung – oder der Rat eines Weinverkäufers.