Winzer steigen auf die Barrikaden

Die Bilder aus der gestrigen Westschweizer Fernsehsendung Temps Présent unter dem Titel «Gift in den Weinbergen» sind furchterregend: Im Tiefflug donnern Helikopter über das Weingebiet Lavaux am Genfersee – notabene ein UNESCO Welterbe – und das Wallis. Ganze Reblandschaften werden aus der Luft mit giftigen Pestiziden eingenebelt, um die Trauben gegen Schädlinge und Pilzkrankheiten zu schützen.

Jetzt fliegen sie wieder

Pestizideinsatz aus der Luft: Helikopterflüge über den Weinbergen sorgen für
kontroverse Diskussionen.
Hier die Delinat-Anzeige «Jetzt fliegen sie wieder.»

Winzer machen mobil

Was jahrelang völlig normal schien, gerät jetzt bei Wissenschaftlern, ja selbst bei Winzern zunehmend in die Kritik. Auslöser für die TV-Sendung war eine kleine Gruppe von Westschweizer Winzern, die neuerdings gegen solche Helikopterflüge auf die Barrikaden steigen, weil sie zunehmend um die eigene Gesundheit und nachhaltige Schäden an Fauna und Flora fürchten. Neuste Untersuchungen und Studien zeigen nämlich, dass die Pestizide ihre Wirkung nicht auf die Ernte gefährdenden Pilze im Weinberg beschränken. Schmetterlinge, Bienen und andere Nützlinge, aber auch Gewässer und Trinkwasserquellen werden durch die Giftbrühe aus der Luft ebenfalls beeinträchtigt. Wie stark bleibt zwar vorderhand offen. Für Hans-Peter Schmidt, Winzer und Leiter des Delinat-Institutes im Wallis, aber ist klar: «Die Menschheit ist mehr denn je daran, sich selbst zu vergiften», sagte er auf eine entsprechende Frage der TV-Reporterin.

Ein langer Kampf für die Natur

Das Delinat-Institut für Ökologie und Klimafarming versucht seit 2009 trotz grosser Widerstände intensiv für das heikle Thema zu sensibilisieren. Unter der Überschrift «Jetzt fliegen Sie wieder» haben wir bei Delinat diese Giftflüge per Helikopter in Inseraten schon vor Jahren angeprangert. Befürworter dieser Art der Krankheitsbekämpfung argumentieren mit der grossen Effizienz, dem Konsumentendruck nach guten, aber preisgünstigen Weinen sowie mit fehlenden Fakten bezüglich negativer Auswirkungen auf Mensch und Natur.

Das Engagement von Delinat und der Stiftung polarisiert in der Region. Während viele dankbar sind, dass endlich jemand den Mut aufbringt und unbequeme Fragen stellt, formiert sich Widerstand unter jenen Winzern, die ihre Weinberge vom Helikopter spritzen lassen. Anfeindungen gehören inzwischen zur Tagesordnung.

Wie ist Ihre Meinung zu diesem Thema? Was könnte und sollte Delinat tun? Sich diplomatisch zurückhalten oder weiter in die Offensive gehen?

Die Sendung Temps Présent «Du poison dans les vignes» vom 16. September 2010 (in französischer Sprache) finden Sie hier: www.tsr.ch/emissions/temps-present/2336721-du-poison-dans-les-vignes.html

Matthias Metze
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14 comments

  1. Wegen der Giftspritzerei habe ich bereits vor Jahren ganz aufgehört, Wein zu trinken. Weintrinken hat ewas mit Kultur, Natur und Genuss zu tun. Mit dem Gifteinsatz werden jedoch Kultur, Natur und Genuss zerstört. Es macht einfach keinen Spass, ein Getränk zu offerieren, bei dem alle wissen, dass es nur mit Hilfe von krebserregenden und die Natur zerstörenden Giften produziert werden konnte. Und ja, da bekommen natürlich auch die Reben der Bio-Bauren ihre Portion Gift ab. Da kredenze ich meinen Gästen lieber ein kühles Glas von bestem Leitungswasser. Es gibt nur eine Lösung: das Spritzen von Umweltgiften ganz zu verbieten. Es ist Zeit, Monsanto, Syngenta und Bayer endlich aus der Schweiz zu verbannen.

  2. seit mehr als 20 Jahren spritzen wir mit dem Heli an der Mosel keine Pestizide ( Gifte ) mehr und haben trotzdem gesunde Weinberge; in den Steillagen, die über 70 % Steigung haben hätten wir ohne den Heli längst keine Reben mehr. Wir arbeiten daran, den Heli für den biodynamischen Weinbau im gesammten Tal einsatzfähig zu machen. Das aber bedeutet, kürzere Spritzabstände mit ungefährlichen nicht systemisch wirkenden Mitteln ( z. B. Mehl, Algen uvm gegen Pilze ) Die Diskussion kocht glaube ich etwas zu hoch im Moment. Der Heli ist ein hervorragendes Instrument, wenn er richtig eingesetzt wir. Bedenken Sie auch, dass er innerhalb weniger Stunden einen wetterbedingt notwendigen Einsatz leisten kann und dass der Mensch dabei geschont wird.

  3. Überall wo ein Produkt neu „erfunden“ wird oder hier im Weinbau, der Produzent ein „qualitativ hochstehender Wein“ herstellen will und deshalb per Helikopter Pestizide und anderes versprüht, immer ist es der Konsument der das will. Ich denke, es ist vielmehr der Handel, der die Winzer unter Druck setzt. Es muss doch niemand sagen, dass keine Rückstände dieser Gifte im Wein nachzuweisen sind. Es ist doch wie in der Fleischindustrie wo mit Antibiotkas und Hormonen gearbeitet wird. Die Fleischesser nehmen Spuren dieser Mittel auf. Die Resistenz vieler Baktrienstämme zeugen davon.
    Warum also den Wein auch noch mit Giften verfeinern?
    Ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die sich gegen die der Menschheit schadenden Machenschaften wehren.

  4. Jede Form, den nötigen Pflanzenschutz überlegt einzudämmen ist unterstützenswert. Helikoptereinsätze haben aber primär nichts mit der biologischen oder biodynamischen Bekämpfung zu tun. Im konventionellen, integrierten Anbau ist der Helikopter gegenüber dem Traktoreneinsatz nicht nur mit dem Ausstoss von Abgasen im Vorteil. Auch die ausgebrachte Gesamtmenge von Pestiziden je Hektare ist besser einzuhalten, wenn professionelle Spezialisten den Flug begleiten, Ein weiterer Vorteil ist klar der Schutz des Spritzpersonals. Ein Einsatz von gefährlichen Insektiziden ist im Flugverfahren nicht vorgesehen. Die Gesamtbilanz (auch des Verbrauches an Betriebsstoffen !) ist bei Einhaltung aller Vorschriften positiv, wenn die Interessen von angrenzenden Bioproduzenten und von wertvollen Ausgleichsparzellen berücksichtigt werden. Die zunehmende Ausdehnung der biologisch angebauten Rebberge wird den Einsatz ganz automatisch zunehmend in Frage stellen. Und das ist gut so, auch wenn dabei die Produktionskosten zwangsläufig steigen werden.

  5. Vielen Dank für die ermutigenden Reaktionen, denn die Realität unseres Alltags spricht eine andere Sprache. Aggressive Anfeindungen, Denunziationen, Sabotage sind Dinge, mit denen wir aufgrund unseres Engagements gegen Pestizide täglich konfrontiert sind. Es ist nicht leicht, im Dorf und unter Kollegen als schwarzes Schaf umherzulaufen. Man schaue nur die über 100 Reaktionen im Forum des Fernsehsenders, der die Reportage über die Helikopterspritzungen gesendet hat: http://www.tsrforum.ch/tp/1748-poison-dans-vignes

    Wir setzen unseren Kampf fort und lassen uns nicht entmutigen, aber es ist schwer für ein Forschungsinstitut, sich in feindlicher Umgebung auf die wissenschaftliche Arbeit zu konzentrieren.

  6. Danke für den Beitrag und macht weiter so: Es ist endlich an der Zeit, dass man das Kind beim Namen nennt! Und, es ist erst der Anfang. Viele Weinbauern haben das Diktat der Chemie satt und wollen andere Wege gehen.
    Nebst all den möglichen negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt dürfen auch die hohen Kosten der chemischen Mittel nicht ausser acht gelassen werden. Für mehr Ertrag werden relativ hohe Kosten akzeptiert. Und, dass immer der Konsument und seine Wünsche als Argument in die Diskussion gestellt werden grenzt bald an eine Frechheit. Ich glaube, dem Endverbraucher sollte klaren Wein eingeschenkt werde!
    Und wie sagte einst Paracelsus: Die Menge macht das Gift aus! Und davon haben wir heute mehr als genug.

  7. Egal, ob der Giftkrieg im Weinberg am Boden oder aus der Luft geführt wird, er hat schlimme Folgen in vielerlei Hinsicht. Ein kleines Beispiel? Beim Bau einer Strasse in der Umgebung von Sion durfte der Aushub nicht in einer normalen Deponie für Inertstoffe abgelagert werden, sondern musste als Sondermüll zu hohen Kosten entsorgt werden, weil die Erde weit über den Grenzwert hinaus mit Kupfer belastet war. Lasst Euch wegen der Stiftung nicht von Anfeindungen in der Region beirren, sondern geht evtl. sogar mit informativen Artikeln in den walliser Zeitungen in die Offensive.

  8. der Kampf aus der Luft oder am Boden mit Gift erscheint mir genauso widersinnig wie die Chemotherapie bei Krebs: wenn eine Pflanze sich gegen Schädlinge und Krankheiten wehren soll,muss sie dabei unterstützt werden, indem man ihre Nahrung und sonstige Lebensbedingungen verbessert. aber doch keinesfalls, indem man sie und ihr Umfeld zusätzlich vergiftet…
    warum ist dies für viele Menschen so schwer zu verstehen? es ist doch so logisch!

  9. Ich ergänze das noch um ein Gespräch, das ich mit einem Bio-Winzer im Tal der Agly (ebenfalls im Roussillon) hatte: Der war jahrelang Sekretär der Cooperative und hat immer versucht, die Kollegen vom Dasein als „chimiste“ – wie er das sarkastisch nannte – abzubringen. Ohne Erfolg. Dann hatte er die Nase voll und es auf eigene Faust versucht. Die ersten 2-3 Jahre war es eine Menge Arbeit, die Schädlinge aus dem Weinberg zu kriegen. Doch dann pendelte sich die Natur ein und wie er sagt „Heute fressen die Spinnen, Vögel und Eidechsen in meinem Weingarten die Schädlinge bevor sie zum Problem werden können“

  10. Ein kleines Beispiel aus Südfrankreich (Collioure im Roussillon): ich verbringe da seit wirklich langer Zeit meinen Urlaub und in den letzten Jahren fehlte immer was. Es hat bis 2009 gedauert, bis ich drauf kam: Die fürs Mittelmeer typischer lauten Zikaden fehlten. Bis 2009 hörte man gelgentlich mal eine, das war’s aber auch schon. Aber 2009 (und auch diese Jahr 2010) waren sie auf einmal wieder da. Ich habe dann meine Freunde da unten gefragt; woher die denn auf einmal kämen. Simple Antwort: Seit 2009 wurde das Spritzen per Heli untersagt oder stark eingeschränkt. Und schwupps sind die Zikaden wieder da; und wahrscheinlich eine Unmenge Getier, das man nicht hört und sieht. Noch Fragen? Leute nicht nachlassen; offensiv vorgehen!

  11. Lassen Sie sich in Ihrem Engagement nicht beirren! Selbst konventionell produzierende Weingärtner stehen dieser Rundum-Totschlagmethode kritisch gegenüber. Es dämmert nicht nur den Produzenten, dass Kostenminimierung und Gewinnmaxmierung höchst schädlich für die Gesundheit aller Beteiligten ist. Aufklärungsarbeit ist freilich unerlässlich. Man muss schließlich wissen, was man da mit der angeblich so preiswerten Flasche mit einkauft und mit unterstützt!

  12. Guten Tag,
    Man muß diese Winzer anzeigen, ggfls. sinnvoll wäre es wenn benachbarte Biowinzer vor dem Europäischen Gerichtshof klagen würden.

    Machen Sie eine Petition (wie compact) fertig, die Ihre Kunden, ggfls. auch Urlauber in der Schweiz unterschreiben, ggfls. an Ihre Wirte senden, die diese an Ihre Gäste senden. Diese senden Sie an den Schweizer Winzerverband.
    Der Chemiemafia muß das Handwerk gelegt werden

    Danke und freundliche Grüße Jörg Unger

  13. Es gibt genügend Erfahrungen, möglichst ohne Gift und mit natürlicher Schädlingsbekämpfung guten Wein anbauen zu können. Delinat und seine Produzenten beweisen dies ausreichend. Klar ist, dass dadurch der Wein wohl etwas teurer wird. Viel teurer wird es aber werden, wenn laufend unsere Böden und Gewässer Schaden nehmen und schliesslich zu befürchten ist, dass das natürliche Ökosystem zusammenbricht und Erträge nur noch mittels Gifteinsatz möglich sein werden – wenn überhaupt.
    Also für mich gibt es hier keine Diplomatie sondern nur klare Argumente und Stellungsnahme gegen Helikopter Gifteinsätze in unseren Reben.
    Ausserdem: Helikopterflüge erzeugen per se zusätzlich auch noch Lärm und Abgase.

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