Holunderduft oder Katzenpipi

Über Gerüche und Geschmack kann man sich streiten, und nicht jeder empfindet süss, sauer, salzig oder bitter gleich stark. Unsere Sinneswahrnehmungen sind individuell geprägt. Darum lässt es sich auch genüsslich über einen Wein diskutieren.

Beschreiben wir einen Wein, dann schildern wir meistens Sinneseindrücke: Er duftet fein, ist rassig und kräftig. Den feinen Duft registriert die Nase, also unser Geruchssinn. Rassig, das heisst eher säurebetont, sagt unser Geschmackssinn. Der kräftige Eindruck stammt vom hohen Extraktgehalt, vor allem vom Tannin. Es wird vom Tastsinn (pelzig) und vom Geschmackssinn (bitter) registriert. Die Sinneswahrnehmungen unterscheiden sich von Mensch zu Mensch. Ebenso könnte der gleiche Wein so beschrieben werden: «Ich finde den Duft verhalten, er könnte intensiver sein, dafür ist mir der Wein zu sauer und am Gaumen zu kratzig.» Warum dieser grosse Unterschied? Unsere Sinnesrezeptoren sind unterschiedlich entwickelt und auch genetisch geprägt. Ein Beispiel: Nicht jeder Gaumen produziert gleich viel Speichel; je weniger, umso stärker attackiert das Rotweintannin die Schleimhäute.

Superschmecker

Die Forscherin Linda Bartoshuk untersuchte, wie viele Geschmacksknospen die Zunge des Menschen enthält. Sie stellte fest, dass diese Anzahl beträchtlich variiert. Je mehr Knospen, umso besser schmecken wir. Bartoshuk unterscheidet drei Gruppen von Schmeckern: Supertaster, Normaltaster und Nontaster. Besonders deutlich zeigte sich der Unterschied bei bitterem Geschmack, doch auch bei süss, sauer, salzig und umami (fleischig und herzhaft) ist die Anzahl Knospen ausschlaggebend für unser Geschmacksvermögen.

Wunderschön stinkig

Auch der Duft wird unterschiedlich wahrgenommen. Die Medizin unterscheidet verschiedene Geruchsstörungen: Die Anosmie, das Fehlen des Geruchssinns, die Hyposmie, der schwache, sowie die Hyperosmie, der übersteigerte Geruchssinn. Dann die Geruchsagnosie: Gerüche können nicht erkannt und benannt werden. Beschwerlich wird es auch bei der Kakosmie, bei der ein Wohlgeruch als stinkig empfunden wird, und umgekehrt bei der Euosmie: Ein übel riechender Wein entzückt die Nase. Beinahe unheimlich wird es bei der Phantosmie, dem Riechen von Gerüchen, die gar nicht da sind. Beruhigender ist dagegen die Entdeckung von Forschern, dass Verliebte salzig und sauer stärker empfinden, süss und bitter dagegen schwächer. Riechen ist sehr individuell und lässt gerade beim Weindegustieren viel Raum für interessante Gespräche.

Gerüche wecken Emotionen

Und noch etwas beeindruckt: Wir erinnern uns nach Jahrzehnten noch an Gerüche: Düfte aus der Kindheit, wie beispielsweise Omas Apfelkuchen. Gerüche gelangen direkt ins limbische System unseres Gehirns, das für Emotionen zuständig ist. Bevor wir einen Duft benennen können, müssen wir ihn einmal gerochen haben. Wer eine Katze hat, umschreibt den Duft von reifem Holunder schon mal als Katzenurin, in Weinkreisen vor allem bekannt beim Sauvignon Blanc.

Unser Wohlbefinden hängt stark ab von unseren Gefühlen, von unseren Sinneseindrücken. Es lohnt sich, schwach ausgebildete Sinne zu trainieren. Ein Grund mehr, Wein nicht einfach zu trinken – sondern bewusst zu geniessen; darauf zu achten, was bei einem Wein besonders auffällt. Was uns gefällt und warum. So bringt uns ein Glas Wein bis ins hohe Alter ein Stück Lebensfreude.

Tipps zur Geruchsschulung
An Getränken und Speisen riechen – und den Geruch beschreiben (= speichern)

Wein-Degustationsnotizen lesen – und mit eigenen Wahrnehmungen vergleichen

Dunkle Schraubgläser mit Gewürze füllen, regelmässig daran riechen und erraten, was es ist

Neue Düfte kennenlernen

Sich aufs Riechen konzentrieren: Sich Zeit nehmen. Störend dabei sind Hitze, Kälte, Lärm, grelles Licht und Fremdgerüche.

Durch die Stadt schlendern und bewusst Düfte wahrnehmen und beschreiben