Die Königin der Toskana stimmt versöhnlich

Beim Stichwort «Sangiovese» kommt mir immer jene Reise in den Sinn, bei der wir auf Reportage in der Toskana unterwegs waren. Sie begann mit einem Albtraum: Als ich in Florenz aus dem Zug stieg und in die Innentasche meines Jacketts langte, fehlten Brieftasche mit allen Ausweisen, Karten und Bargeld ebenso wie das Handy. Ich fühlte mich von einer Sekunde auf die andere völlig nackt – entblösst von raffinierten Trickdieben, von denen ich im Zugsabteil keinerlei Notiz genommen hatte. Sangiovese und Toskana – das war mir in diesem Moment so etwas von egal – am liebsten wäre ich gleich wieder umgekehrt.

Essen mit den Salustris
Versöhnung mit der Toskana in entspannter Atmosphäre beim Abendessen: v.l. Nara Salustri (begnadete Köchin), der Autor, Leonardo Salustri (Wildsaujäger und Winzer), Martina Korak (Delinat)

Doch ich hatte mit unserer Önologin Martina Korak und Fotografin Yvonne Berardi einen Treffpunkt abgemacht – schliesslich galt es Eindrücke, Bilder und Informationen für die geplante Toskana-Reportage zu sammeln. Also zogen wir von Florenz aus los Richtung Süden. Als wir zu später Abendstunde auf dem Weingut Salustri zwischen Grosseto und Siena eintrafen, war die Welt schon wieder halbwegs in Ordnung. Die Familie Salustri hatte uns längst erwartet und bat sofort zu Tisch. Zwar wussten wir um die begnadete Kochkunst von Nara und um die Erzählleidenschaft von Winzer und Wildsaujäger Leonardo. Doch was wir dann bei mehr als einem Glas Conterocca bis weit nach Mitternacht erlebten, liess für den Rest der Woche nur noch an das Schöne und Gute auf dieser Welt denken.

Sangiovese-Traube
Sangiovese ist Italiens meistangebaute Rotweinsorte und kommt hauptsächlich in Mittelitalien vor.

Am nächsten Tag weihte uns Leonardo in die Geheimnisse der Sangiovese-Traube ein. Diese widerspenstige und für jeden Winzer höchst anspruchsvolle Diva offenbart ihr Potenzial dann am schönsten, wenn ihr die Hauptrolle zugestanden wird. Sie lässt sich aber immer gerne auf einen Flirt mit anderen Traubensorten ein. In klarer Hierarchie friedlich vereint entstehen wunderbare Toskaner Weine. Einen kleinen Glaubenskrieg gibt es höchstens bei der Frage, ob eine typische Toskaner Cuvée neben Sangiovese auch internationale Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot enthalten darf, oder ob die Nebenrolle ausschliesslich andern autochthonen (einheimischen) Trauben wie Ciliegiolo, Canaiolo oder Mammolo gebührt. Leonardo Salustri und andere Delinat-Winzer wie Alberto Brini von Il Conventino und Roberto Stucchi von Badia a Coltibuono sind sich in dieser Frage einig: Sie alle setzen entweder auf reinsortige Sangiovese-Weine oder klassische Assemblagen mit einheimischen Sorten. Neri Gazulli von San Vito dagegen hat mit seinem Madiere einen Toskaner im Sortiment, der zeigt wie gut sich Sangiovese auch mit Cabernet & Co. verträgt. Wo liegen Ihre Vorlieben? Wir freuen uns über Ihren Kommentar, den Sie gleich unten eintragen können.

PS: Die Toskana-Reportage ist unter dem versöhnlichen Titel «La vita è bella» in der WeinLese 27 (PDF) erschienen.

Hans Wüst

3 comments

  1. Italien ist nicht gleich Italien!

    Da fällt mir auch eine kleine Episode bei einer meiner früheren Toscanareisen ein. Wir pausierten in einer Rastanlage an der Autobahn Nähe Verona. An der Theke, wo wir uns gerade einen Kaffee bestellt hatten, stellte sich ein jüngerer Mann neben meiner Begleiterin und machte sich allerdings etwas ungeschickt an ihrer Handtasche zu schaffen. Als er merkte, dass wir seinen Versuch bemerkten, bückte er sich nach seinen Schuhbändern und da ich ihn nicht aus den Augen ließ, suchte er das Weite. Ich blieb eine Zeitlang hinter ihm, er schlenderte durch den ganzen Laden, nahm sich einen Apfel von der Obstabteilung und ging Richtung Kasse. Dort wurde ihm dann meine Verfolgung so unangenehm, dass er sich plötzlich umdrehte und mich etwas fragte. Ich entgegnete ihm, dass ich ihn nicht vertehe, daraufhin zeigte er mir seine geballte Faust mit einigen schweren Ringen an den Fingern und fragte mich, ob ich das verstehe. Ich verstand sehr schnell, sagte noch etwas wie Dilletant und wenn man zu blöd ist zum Stehlen, sollte man es vielleicht bleiben lassen und ließ ihn ziehen. Was sollte ich auch machen, meine Italienischsprachkenntnisse sind sehr begrenzt und außerdem hatte er seine Tat auch nicht ganz ausgeführt.
    Die (südliche) Toscana, wo haben wir mehrere Jahre sehr oft hinfuhren (ich betrieb auch einen kleinen Weinhandel mit Weinen u. anderem von Monte Cucco und Scansano Nähe Grossetto) ist eine ganz andere Welt. Dort hatten wir nie Probleme mit Dieben und ähnlichen Menschen, im Gegenteil, wir haben selten so liebenswürdige und hilfsbereite Leute kennen gelernt wie in dieser Gegend. Und da ist auch noch das Vertrauen – auch in die Fremden (mit Recht) vorhanden, da erlebten wir öfter (wir waren meistens in Ferienwohnungen in kleineren Orten untergebracht), dass die Häuser offen standen, die Türen nicht versperrt waren, wenn man erwartet wurde und keiner Angst um sein Hab und Gut hatte. Naja – vielleicht hat sich das auch schon ein wenig geändert, ich war die letzten Jahre nicht mehr in der Gegend – wo Massentourismus sich breit macht, ändert sich das sehr schnell. Ich hoffe, dass diese liebenswerte Gegend noch eine Zeitlang davon verschont bleibt. Die Weine aus dieser Gegend haben sich leider sehr viel verteuert, der einfache Landwein aus der Sangiovesetraube ist so gut wie ausgestorben. Es ist halt alles der Veränderung unterlegen, sehr oft halt nicht immer zum Besseren.

    Peter aus dem Bayer. Wald

  2. Beklaut werden gehört bei Reisen sicher zu den größten Gefahren, ich habe es in Italien, in USA, in Ungarn erlebt, ärgerlich für den Augenblick, aber bleibt es nicht eine Episode bei den sonst herrlichen Eindrücken der mit Vorfreuden erarbeiteten Erkundung fremder Welten? Wenn dann noch solche Begegnungen und Genüsse dazu kommen, wie oben geschildert, ist der Gesamteindruck doch kaum geschmälert!

    Fröhliche Reisen und gut aufgepasst!

    Jorgos aus dem Odenwald, den ganz wenige die Hölle nennen

  3. Das erinnert mich an einen Besuch (ca. 1984) im öffentlichen Schwimmbad in Verona:
    Nach der wegen totaler Überfüllung minimalen Erholung war meine Enttäuschung an der Garderobe sehr groß. Meine Tasche mit Ausweis, Führerschein, Fahrzeugpapieren und einem Reserve-100-DM-Schein war nicht mehr auffindbar..
    Das Personal und auch die anderen Badegäste waren alle sehr bemüht um mir klar zu machen, dass nicht alle Italiener Diebe sind – aber die Tasche war nun mal weg.
    Gut, ich bekam dann Ersatzpapiere für die Heimreise, besorgte mir zuhause alles neu und habe das Ganze dann auch recht schnell vergesssen.
    Nach ca. einem halben Jahr bekam ich dann einen Anruf von meiner Gemeinde, dass meine Tasche vom Konsulat in Mailand zurückgeschickt worden sei.
    Und welche Überraschung : Es war der ganze Inhalt vorhanden, selbst der Geldschein war noch drin. Nur das Schloss war kaputt – obwohl es ja gar nicht abgeschlossen war,
    Ich hoffe für Sie, Herr Wüst, dass sich Ihr Fall auch so schön auflöst!

    Viele Grüße
    Kurt aus München

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